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Britisches Kino

Mit Freundschaft Geschichte schreiben



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Ungeschickt kratzt der stoische alte Mann (Bill Nighy) Margarine auf die Toastbrotscheiben. Ein Hauch von Margarine ist alles, was auf die Brote für die streikenden Bergarbeiter kommt. Die Streikkassen sind schon lange leer, genau wie die Gesichter der Menschen. Die Kumpels und ihre Familien sind über lange Zeit systematisch ausgehungert worden. Aber Style muss sein. Als der eingefleischte Junggeselle die zugeklappten Schnitten gerade durchschneiden will, wird er von der resoluten Hefina (Imelda Staunton) korrigiert, es diagonal zu schneiden, das sieht gefälliger aus. Solche kleinen subtilen Szenen und ein liebevoller Blick auf menschliche Schwächen und Eigenarten machen aus einem Sozialdrama eine schwarze Komödie, für die die Briten zurecht weltberühmt sind. Pride ist trotz des ernsten Themas ein Film geworden, der über eine ungeheure Situationskomik verfügt und mal so richtig Spaß macht, auch wenn die anschließenden Schilderungen das vielleicht nicht so vermuten lassen.

Die Handlung basiert auf realen Ereignissen und liegt 30 Jahre zurück, nicht in einer Bananenrepublik fernab, sondern in Großbritannien. Die Eiserne Lady, Premierministerin Margaret Thatcher, bricht mit brachialer Gewalt die Macht der Gewerkschaften, im Fall des Existenzkampfes der Bergarbeiter, die von Minenschließungen bedroht sind, nimmt die Auseinandersetzung erbarmungslose Ausmaße an. Das ruft den jungen homosexuellen Aktivisten Mark Ashton (1960-1987) auf den Plan, auf dessen realen politischen Einsatz für die Kumpels der Film beruht. Ashton gründete die Gruppe LGSM (Lesbians and Gays Support the Miners – Lesben und Schwule unterstützen die Minenarbeiter) und sammelte in London Geld für sie. Der empathiebegabte Schwule sieht große Parallelen zwischen der Situation der Homosexuellen und der Minenarbeiter im Großbritannien der 1980er Jahre, und die war in der Tat ähnlich desaströs. Die Polizei ging mit gleicher Gewalt gegen beide vor. Geoutete Schwule waren eher eine Seltenheit, Homosexualität spielte sich meist in einer Subkultur ab, ein Coming-out für schwule Männer war schwer möglich. "Queerbashing" - das gezielte Zusammenschlagen Homosexueller galt in bestimmten Kreisen als Sport. Die Gay Liberation Front wurde 1970 in London gegründet, erlitt unter dem Thatcher-Regime aber herbe Rückschläge.

Im Film erleben wir die Ereignisse durch die staunenden Augen des jungen Joe (George MacKay), der bürgerlich aufgewachsen ist und seine Eltern nicht enttäuschen will. Er lernt langsam, mit seiner homosexuellen Veranlagung zurecht zu kommen. Für ihn ist der Kontakt zu Marks Gruppe, wie auch der zur Arbeiterschicht in Wales, neu und aufregend.



Mark (Ben Schnetzer) und seine Freunde planen in London die Hilfsaktion für die geschundenen Kumpels in Wales | © Senator Film


Die Bergarbeiterfamilien im Süden von Wales waren eine Gesellschaft für sich. Die Kumpels schwebten in ständiger Unfall- ja sogar Lebensgefahr, verdienten aber trotzdem gerade so viel, dass es fürs Überleben reichte. Die Härte der Arbeit schlug sich in Form einer besonders patriarchalischen Lebensstruktur wider. Der Ernährer war das Zentrum der Familie, die Bedürfnisse der Frauen standen oft in der zweiten Reihe. Das war nicht so schlimm, wie es sich anhört, denn die Frauen waren stark und hielten das Gefüge zusammen, was die Männer auch schätzten. Homosexualität allerdings war in dieser harschen Welt undenkbar. Sensibilität und „Schwäche“ bei Männern war in dieser auf Überleben unter schlechten Rahmenbedingungen geeichten Gesellschaft nicht gefragt und wäre vermutlich auch nicht dienlich gewesen. Deshalb galt sie als tabu.

Als nun ausgerechnet von Schwulen ein Hilfsangebot kommt, ist klar, dass viele walisischen Gemeinden das ablehnen. Hier prallen Gegensätze aufeinander. Aber die Not und der Hass auf Margaret Thatcher führt in diesem Fall zu einer Allianz. Denn die Menschen im Ort Onllwyn erklären sich bereit, das Geld anzunehmen und laden die Gruppe ein, zu der auch Lesben zählen. Die Annäherung ist sehr zögerlich, aber die Neugier der Frauen ist groß. So wollen sie wissen, ob es stimmt, dass alle Lesben Vegetarier sind und sorgen damit für Heiterkeit. Bald ist der Bann gebrochen, und die Schwulen zeigen den Bergarbeitern und ihren Frauen, wie man tanzt. So kehrt wieder etwas Lebendigkeit und Lebensfreude in Onllwyn ein.



Hefina (Imelda Staunton) ist hin und weg, weil der schwule Jonathan (Dominic West) so toll tanzen kann | © Senator Film


Unter den Homosexuellen sind auch Leute mit einer besseren Bildung als die der Kumpels. So kennen sie sich mit Rechtsfragen aus und erreichen die Entlassung von zu unrecht inhaftierten Streikenden. Trotz großer Gegnerschaft der Presse und einiger Dorfbewohner entsteht eine ungewöhnliche Solidarität und Freundschaft. Bei einem Gegenbesuch in London stürmen die walisischen Frauen sogar eine Schwulenbar, nur für Männer. Da das Geld schnell verbraucht ist, muss eine Benefizaktion her. Die Musikgruppe Bronski Beat will ein Konzert geben. Der Gegenwind der Presse ist groß, sie titelt, dass sich die Grubenarbeiter und die Perversen zusammengeschlossen hätten. Wunderbar, denkt Mark (Ben Schnetzer): Dann wird das Konzert „Pits and Perverts“ - Gruben und Perverse - genannt. Es wird ein großer Erfolg. Allerdings hält das Glücksgefühl nicht lange an. Unter dem massiven Druck der britischen Regierung brechen die Kumpels schließlich doch zusammen. (Bis heute haben sich die britischen Gewerkschaften von diesen gewaltsam erzwungenen Einschnitten nicht erholt.) Aber geschlagen ist man erst, wenn man sich geschlagen gibt. Als es die Schwulen sind, die Hilfe beim Kampf um ihre Rechte brauchen...



Die Kumpels unterstützen die Schwulen bei deren Demonstration | © Senator Film


Epilog


Matthew Warchus erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen den Bergarbeitern und den Schwulen als das wunderbare Sozialmärchen, das es tatsächlich auch war. Es ist auch wichtig, solche wahren Begebenheiten in Erinnerung zu bringen, weil sie möglicherweise Mut machen, sich gemeinsam den heutigen, oft ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu widersetzen. Für die Beteiligten waren die Folgen drastisch, und das harte Vorgehen Margaret Thatchers ist bis heute unentschuldigt. Sie bekämpfte ihr eigenes Volk, indem sie die so und so schon hungernden Kinder der Streikenden von der Schulspeisung ausschloss. Wenn die Rechnungen nicht bezahlt wurden, wurde auch im Winter Strom und Gas abgestellt. Der Winter 1984/85 war besonders hart. Die Bergarbeiter verschuldeten sich, und viele hatten aufgrund der vielen Grubenschließungen keine Arbeit mehr und lebten in noch größerem Elend als zuvor. Die Regionen verarmten zusehends. Für die Krankheit AIDS gab es in diesen Jahren noch keine Therapien, und gerade unter den anfälligen Homosexuellen forderte der HI-Virus viele Todesopfer. Auch Mark Ashton verstarb 1987 an AIDS. Es dauerte seit 1984 zwanzig Jahre, bis in Großbritannien ab 2004 gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften geschlossen werden konnten. Seit 2013 ist auch die Ehe erlaubt.

Pride gewann in diesem Jahr die Queer Palm in Cannes.


Helga Fitzner - 30. Oktober 2014
ID 8209
Weitere Infos siehe auch: http://www.senator.de/movie/pride


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