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Rezension

Er spricht von Bach, sie von Bächen - Nymphomaniac Teil 1 lohnt die Aufregung nicht, aber das Zuschauen




Schweinerei sowas –

so wenig Schweinereien!

Freunden der gepflegten wie ungepflegten Darstellung menschlicher Triebabfuhr sei vorab geraten, sich im Internet nicht weiter mit dem Aufspüren von Clips aus dem neuen Film von Dänemarks Enfant Terrible der Regiezunft, Lars von Trier, abzumühen. Stattdessen sollten sie sich auf YouPorn oder Freeones tummeln, wo die Neugier auf Kopulationen ausreichend gestillt wird. Denn: Es gibt befremdlich wenig und erschreckend unspektakulären Sex in Nymphomaniac zu sehen – auch in der verlängerten Version des ersten Teils, die im Hauptprogramm der BERLINALE zu besichtigen war und in der Trier eher Zeit für elegische Bilder und den Psycho- statt für den Schweinkram aufwendet. Wenn im prüden Amerika die üblichen Messlatten angelegt werden sollten, dann wäre auch die um fast 30 Minuten kürzere Version von Nymphomaniac 1 schon ein „Rated X“, also nicht für Zuschauer unter 18 Jahren freigegeben, denn auch dort sind etliche pornografische Einsprengsel eingebaut (ein Fall für BlueRay-Screenshot-Fans!). Gerade aber wer’s gern lang mag, wird eher mit geistiger als fleischlicher Kost versorgt.




Foto (C) Concorde Filmverleih



Also alles nur heiße Luft, die die beneidenswert lang (seit Ende 2012) und rund laufende PR-Kampagne zusammengeschäumt hat? Bei von Trier muss man auf alles gefasst sein, und es scheint so, dass er damit provozieren will, nur eine Pseudo-Provokation über die Rampe zu schießen. Hinter all dem Gedöns der letzten Monate sollte man sich dessen erinnern, was Lars von Trier ganz zu Beginn über das Projekt gesagt hat, nämlich Themen in einer Story, einem Film zusammenbringen zu wollen, die eigentlich nicht zusammenpassen wollen: allen voran Sex und Philosophie. Und genau das hat er getan, und es ist jetzt als Ergebnis zu sehen. Das selbstgesteckte Ziel, so lässt sich bereits nach der Sichtung von Teil 1 festhalten, hat der dänische Exzentriker auf anspruchsvolle und durchaus ansprechende, unterhaltsame Weise erreicht. Ob aber das Patchwork aus Psychodrama, pseudochristlicher Beichte, kunsthistorischen Exkursen und Sexszenen am Ende auch eine universell gültige Geschichte über die triebbedingten Schwächen der Menschen ergibt – oder doch nur das halbgare Konglomerat eines experimentierfreudigen Künstlers – das lässt sich jetzt noch nicht abschließend beurteilen.

Was also sehen wir? Zunächst nur eine Frau (Charlotte Gainsbourg), die arg verprügelt in einer Gosse gelandet ist. Wer um von Triers Neurosen und seinen aus christlicher Moral begründeten Schuldkomplex weiß, muss vermuten: Wahrscheinlich als Strafe dafür, dass die Frau es wilder getrieben hat als die meisten von uns. So weit, so schlecht. Rammstein brettern „Führe Mich“ auf der Tonspur. Glück im Unglück: Die Gefallene wird von einem reiferen Mann (der betont gelassen agierende Stellan Skarsgård) aufgelesen und versorgt, der sie für ihre Eskapaden weder vorverurteilt noch überhaupt die Moralkeule schwingt. Anlass dazu hätte er spätestens dann, als die Frau nach einer Reihe pubertärer wie spätpubertärer Sexgeschichten bei dem Punkt angelangt ist, an dem sie von vielen wahllos abgeschleppten Liebhaber berichtet, dass die mühevolle kalendarische Planung der Rendezvous nicht verhindern kann, dass die kinderreiche Ehe eines der Männer zerrüttet wird. Aber auch hier erweist sich der Samariter als Gentlemen liberaler Gesinnung. Sein Motto: „Wenn man Flügel hat, warum nicht fliegen“ (und schlussfolgernd: wer Schwanz und Muschi hat, warum nicht…); die Nymphomanin solle nicht so streng mit sich sein.




Foto (C) Concorde Filmverleih



Die Story ist also recht simpel konstruiert und abseits einiger schwarzhumoriger Szenen so mager wie die von Trier sonderbarerweise bevorzugte Charlotte Gainsbourg (wenn man und frau mir bitte diesen Kalauer verzeihen mag), die eben nicht wegen ihrer zerschundenen Gesichtsmaske ausgesprochen unsinnlich und unattraktiv in diesem Film wirkt. Deutlich aufregender, zugleich sensibler und geheimnisvoller wirkt die Neuentdeckung Stacy Martin, die die Sünderin in jungen Jahren spielt bzw. verkörpert. Doch auch mit ihr als Protagonistin wirkt der Sex meist unsinnlich oder mindestens gewöhnlich, so als habe von Trier an dessen Inszenierung kaum wirklich Interesse gehabt. Innovative Ansätze, wie körperliche Lust gezeigt werden kann, sind nicht zu registrieren – vielleicht kommt das noch in Teil 2. Stattdessen verquirlt von Trier die Sexbeichte der Frau mit dem bildungsbürgerlichen Wissen ihres Zufalls-Beichtvaters, dem zu den oft oberflächlichen Episoden wunderbar skurrile oder aufschlussreiche Analogien aus dem Tierreich oder der Musikgeschichte einfallen.

Das allerdings muss man dem einstigen Dogma-Verkünder (der 1995 mit einigen dänischen Kollegen für mehr Naturalismus im europäischen Film plädierte) lassen: Niemand außer von Trier wagt und vermag es, Bachs polyphone Orgelkompositionen und Edgar Allen Poes abgründige Poetik mit Sexszenen zu kombinieren, auf dass sich das Eine mit dem Anderen bereichert. Sterben und Leiden gibt’s beim großen Dänen sowieso. Und so ist das Leben ja auch, eine Mischung aus Banalem und Erhabenem, Traurigem und Absurdem und (wenn man Glück und Interesse daran hat) Schöngeistigem und Sexuellem – was sich in der Komposition von Lars von Trier alles auf Augenhöhe begegnet. Dass die PR vermuten lässt, einen Kunstporno serviert zu bekommen, wo doch im Film der starke Geist das schwache Fleisch eindeutig dominiert, gehört ganz sicher zu von Triers diabolischem Spiel mit den Erwartungshaltungen. Die Vorspeise war lecker und bekömmlich – Teil 2 wird hoffentlich noch etwas deftiger.




Foto (C) Concorde Filmverleih


Bewertung:    


Max-Peter Heyne (3) - 19. Februar 2014
ID 7618
Weitere Infos siehe auch: http://www.nymphomaniacthemovie.com/


Post an Max-Peter Heyne



 

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