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Rezension

David Cronenberg präsentiert Hollywood in Maps To The Stars als einen Käfig voller Narren



Bewertung:    



Wenn das Diktum von Orson Welles stimmt, „das beim Thema Hollywood keine Übertreibungen möglich sind“, dann hat der kanadische Regisseur David Cronenberg einen unmöglichen Film inszeniert. Es sei denn, Maps To The Stars ist gar keine Aneinanderreihung von Übertreibungen, sondern von Situationen, die der Drehbuchautor Bruce Wagner (Wild Palms, 1993) tatsächlich erlebt oder aufgeschnappt hat. Dann wäre Hollywood eine größere moralische Schlangengrube als Putins Regierung und eine neurotischere Welt als ein Tea-Party-Kongress. Cronenberg versicherte in Interviews, dass Wagner, der vor seiner Karriere als Drehbuchautor als Chauffeur für die kalifornische Filmbranche gearbeitet hat, viele Dialoge wörtlich aus dem realen Leben zitiert hat.

Eines jedenfalls muss man dem Duo Wagner und Cronenberg lassen: So ätzend und gnadenlos hat bisher noch kein Mainstream-Film die Absurditäten, Gemeinheiten und Neurosen Hollywoods bloßgestellt. The Bad and the Beautiful (Stadt der Illusionen, 1950) von Vincente Minelli, Sunset Boulevard und Fedora von Billy Wilder (1949 bzw. 1970) waren entlarvende, aber auch melodramatisch-nostalgische Abgesänge auf die Blütezeit der Traumfabrik. Auch Komödienspezialist Blake Edwards fand 1988 versöhnliche Töne in seiner Hollywood-Golden-Age-Parodie Sunset, nachdem er in S.O.B. – Hollywoods letzter Heuler (1981) und Der Partyschreck (1968) immerhin schon einige Prisen gallenbitteren Humors aufgewendet hatte. Selbst der härteste Hollywood-Kritiker unter den US-Regisseuren, Robert Altman („They want soup and I want to make art.“), fand in seiner persönlichen Abrechnung mit „Tinseltown“ in The Player (1992) noch viel Platz für Ironie und schwarzen Humor. Nicht so Wagner/Cronenberg: In ihrer Karte von Hollywood sind nahezu ausnahmslos alle Charaktere vom Ruhm, Reichtum und Karrierestreben, das Hollywood ihnen abverlangt und injiziert, bis in die Knochen korrumpiert. Wir sehen einen Kosmos, der schon allein deshalb von der restlichen Welt abgegrenzt ist, weil in ihm eingebildete oder echte Verrücktheit die Normalität ist, Zynismus und Verlogenheit die Kommunikation bestimmen.

Der abgründige, sezierende Tonfall ihres Filmes lässt sich allenfalls mit demjenigen in den umstrittenen, weil teils spekulativen Skandalchroniken Hollywood Babylon vergleichen, die der Experimentalfilmemacher Kenneth Anger 1965 und 1984 vorgelegt hat. Der erste Band Angers war so vielen juristischen Anfeindungen ausgesetzt, dass er in den USA zehn Jahre lang nicht erscheinen durfte. Dass Statuetten als Mordwerkzeuge benutzt wurden, wurde in Hollywood Babylon (fälschlicherweise) behauptet, und wird in Maps To The Stars vorexerziert. Wie und wann, hieße zu viel zu verraten. Nur so viel sei gesagt: Vom „enfant terrible“ des nordamerikanischen Films darf man erwarten, dass keiner der (fiktiven) Promis im Film ungeschoren davonkommt. Bei denen liegt bereits einiges im Argen, als die junge Agatha (Mia Wasikowska, zuletzt als taffe Australier-Durchquererin in Spuren zu sehen) in Hollywood ankommt. Die junge, etwas spleenige Frau ist die Figur, die die Zuschauer quasi in die verborgenen, grausigen Geheimnisse, die hinter den Türen der riesigen, feinen Villen des Mullholland-Drives versteckt sorgsam werden, einführt.

Agathas Arbeitgeberin, die Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore), der aus Altersgründen schon das berufliche Abstellgleis droht, ist im Neurosenpfuhl der Story die neurotischste. Sie will in einem geplanten biografischen Filmdrama unbedingt ihre eigene Mutter verkörpern, die für alle Welt ein ehemaliger Weltstar ist, laut Berichten Havannas in Wahrheit aber depressiv war und sie als kleines Mädchen missbraucht hat. Ob dies tatsächlich die Wahrheit ist oder Havanna sich aufgrund ihrer eigenen Psychose ein Schreckgebilde von Mutter zusammengereimt und der Öffentlichkeit vermittelt hat, bleibt dabei offen. Jedenfalls wünscht die scheinbar verständnisvolle Havanna ihrer Konkurrenz nur das Schlechteste – und freut sich diebisch, als das auch eintrifft. Die Gradwanderung zwischen Selbstmitleid, Gehässigkeit und Furienhaftigkeit gelingt Julianne Moore mit verblüffender Authentizität und wurde in diesem Frühjahr bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Darstellerinnenpreis belohnt. Etwas weniger labil als Havana, aber ebenfalls Heuchler ersten Grades sind der Plattitüden verbreitende, selbsternannte Lebenshilfe-Experte Stafford Weiss (John Cusack), seine Künstlerfrau Christina (Olivia Williams) und deren Sohn Benjie (Evan Bird), der von seinen Eltern zum Kinderstar aufgebaut wird und daher bereits mit 13 Jahren charakterlich so demoliert ist, dass er sich wie ein emotionsloser, besserwisserischer Mistkerl benimmt. Bemühungen, Benjie nach einem Drogenentzugsprogramm wieder zum Publikumsliebling aufzubauen, scheitern ebenso grausam wie Versuche, sich die leibliche Tochter Agatha vom Hals zu halten.

Die scheinbar so sympathische, naive Agatha entpuppt sich nicht nur als von Staffords und Christinas Tochter, sondern als genauso neurotisch wie diese und – darin ihrem jüngeren Bruder Benjie gleich – als auto- und fremdaggressiv. Abgesehen vom Chauffeur (Robert Pattinson, der als fieser Manager vom Heck in Cronenbergs Cosmopolis nun vorn ans Steuer geraten ist) bezahlen alle für ihre angehäuften Lebenslügen oder nicht bearbeiteten Traumata. Am Ende stapeln sich die Leichen, der Rest ist Schweigen. Wie immer inszeniert Cronenberg optisch elegant und emotional distanziert, was zur zwiespältigen Atmosphäre aus Lug und Trug, die zwischen Art Deko und postmoderner Protzerei hervorblitzt, ganz gut passt. Dennoch bleibt den gesamten Film hindurch das Manko spürbar, dass keine der Figuren zur Identifikation einlädt und der illustrierte Zynismus Hollywoods aus erhabener Distanz bloßgestellt wird.



Dreharbeiten zu Maps To The Stars von David Cronenberg (re.) - Foto (C) MFA+ Filmdistribution


Max-Peter Heyne - 18. September 2014
ID 8105
Weitere Infos siehe auch: http://www.mapstothestars.de/


Post an Max-Peter Heyne



 

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