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Hollywood

Verrat an

den Helden



Bewertung:    



Warum bloß hat der deutsche Verleih hier einen irre irreführenden Titel im Stil der 1980er Jahre zusammengeschustert, der eher an eine „unglaubliche Reise mit einem verrückten Raumschiff“ denn an ein anspruchsvolles, gesellschaftskritisches Drama denken lässt? Ausgerechnet bei einem Film, der um Exaktheit und Ehrlichkeit bei der Behandlung seines unbequemen Themas bemüht ist. Zu diesem Authentizitätskonzept des genauen Hin- statt Wegsehens gehört auch die Anwendung der allerneuesten, super-duper-hochauflösenden Digitaltechnik, die allerdings nur sehr wenige Kinos werden projizieren können, bei denen 4K der unterste Standard ist.

Doch ehrlich gesagt, muss das nicht sein – Ang Lees Drama wirkt auch bei ausreichende Schärfe nachhaltig genug. Erzählt wird von der Rückkehr und der Re-Integration eines Geschundenen, Traumatisierten zu Beginn der 2000er Jahre. Zusammen mit weiteren US-Marines hat der erst 19jährige Soldat Billy Lynn (großartig: Joe Alwyn) die gefährliche Zeit im Irak nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein erlebt. Nach einer besonders dramatischen Situation, die ihrem Vorgesetzten (Vin Diesel) das Leben kostete, werden Lynn und seine Kameraden von den US-Medien als Helden gefeiert. Als Dank der Nation wird das hartgesottene Dutzend in eines der Mega-Sportstadien des Landes zu einem großen Football-Event eingeladen, bei dem sie während der bombastischen Pausenshow auch einen heldenhaften Auftritt haben sollen. Nach außen scheinbar ungerührt lässt Lynn die Widersprüche und Geschmacklosigkeiten dieser Inszenierung über sich ergehen, während einige seiner Kumpels sich in Zynismus flüchten oder auch die Kontrolle über ihre Reflexe und Emotionen verlieren.

In diesen Szenen läuft Regisseur Ang Lee (Tiger and Dragon, Life with PI) zu der gewohnten, großen Form auf: Mit gallenbitterem Spott lässt er die US-Marines auf wohlmeinende, gänzlich naive, teils aber auch auf gerissene Geschäftsleute treffen. Letzterer ist ein scheinbar kumpelhafter, indes intriganter, nur auf Profit schielender Tycoon, der den Soldaten die Rechte an ihrer Heldengeschichte zum Spottpreis abzukaufen versucht. Steve Martin verkörpert ein Trump-Abbild von erschreckender Ähnlichkeit. Vor allem aber zeigt Lee, wie sehr die amerikanischen Medien unmittelbar nach dem Einmarsch in den Irak die damit verbundenen Schrecken und das menschliche Elend – auch an ihren Landleuten – lieber ausgeblendet und sich an vermeintliche Heldengeschichten geklammert haben. Eine bizarre Pressekonferenz, in der die Marines ganz ehrlich auf die stupiden Fragen der Reporter nach ihren Kriegseindrücken antworten und nicht in den wohlgesetzten, üblichen Phrasen – dies aber nur Billy Lynns Kopf! – gehört zu den bissigsten und eindrücklichsten Szenen des Films. Alle betrügen einander, um der Wahrheit aus dem Weg zu gehen.

Doch gerade der junge Lynn trägt ein schweres Trauma mit sich herum, wie der Zuschauer sukzessive in Rückblenden erfährt. Szenen, die zwar stark inszeniert sind, sich aber trotz hochaufgelöster Optik kaum von anderen Kriegsdramen unterscheiden. Dass er dringend psychologische Hilfe und nicht etwa Mitleidsbezeugungen oder Schulterklopfen nötig hat, erkennt einzig seine politisch links denkende Schwester (wieder beachtlich: Kristen Stewart). Doch auch ihr gelingt es nicht, an den innersten Kern des Bruders heranzukommen, der sich des Zwiespalts seiner Entscheidungen für Militär und Vaterland durchaus bewusst ist. Grundsätzlich in Frage stellt er sie aber nicht – letztlich bleiben das Trauma und die "Belohnung", der Heldentrip ins Stadion, ein bloßer Schlenker zurück zu einer Zirkelbewegung. Das Drehbuch (Simon Beaufoy, Jean-Christophe Castelli nach einem Roman von Ben Fountain) beschreibt dies, ohne die Soldaten zu verklären oder zu verurteilen.

Immerhin hat Lynn am Ende viel über die Ignoranz und Borniertheit seiner Mitbürger gegenüber Krieg und Leiden gelernt, zwischen Tür und Angel seine sexuelle Unschuld verloren und vielleicht sogar eine ernsthafte Beziehung gefunden. Dass er sich letztlich doch wieder in den mütterlichen Schoß des Militärs begibt, bleibt durch Lees Inszenierung noch nachvollziehbar: Er zeigt einen bis zum Schluss moralisch integren Soldaten, dessen Sensibilität keineswegs ein Handicap, sondern als Stärke verstanden werden kann. Doch was dem gesamten Film in den allerletzten Minuten viel von seiner Kraft und Schärfe nimmt und beinahe komplett ruiniert, ist das überzogene Maß an Pathos und Gefühligkeit, mit dem Ang Lee seinen Protagonisten sich zu seinen Kameraden als Orientierungsanker bekennen lässt. Lynns ambivalente Haltung und innere Zweifel gibt Lee zugunsten einer rührseligen Opferhaltung der Soldaten auf – alle betrügen einander, um der Wahrheit aus dem Weg zu gehen. Und das nach teils großartigen 100 Minuten. Ein Jammer, nicht zuletzt angesichts der aktuellen Entwicklungen hätte dies hätte ein großer Film sein können!



Die irre Heldentour des Billy Lynn | (C) Sony Pictures

Max-Peter Heyne - 2. Februar 2017
ID 9817

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