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Filmkritik

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Bewertung:    



Das Mittelalter-Epos Wilhelm Tell des nordirischen Regisseurs und Drehbuchautors Nick Hamm beginnt mit einem Zitat aus Friedrich Schillers gleichnamigem Drama:


„Wenn wir schon kämpfen müssen und Blut vergießen, so lasst es in unserer eigenen Sache geschehen. Die Freiheit kaufen wir billiger als die Knechtschaft.“


Das erweckt den Eindruck, dass es sich im weitesten Sinne um eine Klassikerverfilmung handelt, was aber weit gefehlt ist. Im Grunde wird Schillers Vorlage am Ende ins Gegenteil verkehrt und widerspricht dessen Intention. - Nun, Wilhelm Tell hat es nie gegeben, Schiller selbst hat sich da Freiheiten erlaubt und erlauben können. Dasselbe macht Hamm, nur warum er den großen Sturm- und Drang-Dichter derart vorführt, ist nicht ersichtlich. Er müsste sich nicht auf ihn berufen.

Anders als bei Schiller ist Hamms Tell (Claes Bang) ein ehemaliger Kreuzritter, der Gewalttaten erlebt und begangen hat. Deshalb schwor er dem Krieg ab. Er heiratete die Muslima Suna (gespielt von der Iranerin Golshifteh Farahani), mit der er in der Schweiz ein beschauliches Leben führt. Doch die Steuereintreiber des Habsburger Königs Albrecht (Ben Kingsley) gehen mit brachialer Gewalt vor und rufen den Widerstand der unterjochten Bevölkerung wach, darunter auch den von Walter Fürst (Amar Chadha-Patel). Im Theaterstück ist Fürst der Vater von Tells Frau Hedwig. Von Werktreue gegenüber Schiller kann man sich schon recht früh im Film verabschieden.

Während einer Steuereintreibung wird die Frau von Baumgarten vergewaltigt und ermordet. Baumgarten (Sam Keeley) tötet den Übeltäter, und der hinzugekommene Tell verhilft ihm zur Flucht, um ein Gemetzel auf dem Hof zu verhindern... Doch so richtig entschlossen zum Freiheitskampf ist Tell noch lange nicht, denn er hat der Gewalt abgeschworen und nimmt den Schwur ernst. Er erinnert dabei sehr an den Grübler Hamlet von Shakespeare. Erst als der Landvogt Gessler (Connor Swindells) Tell zwingt, mit seiner Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter (Tobias Jowett) zu schießen, ändert Tell seine Einstellung. Während Tell entgegen anderslautender Zusage verhaftet wird, schließen sich die Bürger mehrerer Orte als Eidgenossen heimlich zusammen, um den Kampf gegen die Tyrannen zu planen. Tell gelingt die Flucht, und er schließt sich ihnen später an.

Danach weicht das Skript doch sehr von dem Mythos um Tell ab, der bis heute als Freiheitskämpfer und Nationalheld gefeiert wird. Vier zentrale Rollen werden von Personen mit außereuropäischer Ethnizität gespielt. Bei Hamm haben indisch-stämmige Schauspieler die weltliche und religiöse Führung inne, Ben Kingsley als österreichischer König; und Chadha-Patel als Walter Fürst ist ein spiritueller Führer, eine Art Guru. Golshifteh Farahani als Tells Ehefrau Suna stammt sichtbar aus dem „Morgenland“, und Tobias Jowett als sein Sohn Walter wird im Film als Mischling beschrieben. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Genannten hervorragende Schauspieler sind, aber es gibt nicht einmal einen erkennbaren Quoten-Schweizer im Filmteam.

Als die Aufständischen einen Überfall planen, werden Frauen in die Burg des verbrecherischen Landvogtes Gessler geschickt, um dort in Form von Lebensmitteln ihren Tribut abzugeben. Die Frauen haben Schwerter unter ihren Gewändern versteckt. Woher die kommen und wieso Frauen im Mittelalter des Schwertkampfes kundig sein sollen, bleibt ungeklärt. Suna sticht aus der Menge der Frauen aufgrund ihres Aussehens hervor und ist sofort als Tells Ehefrau erkennbar. Das war äußerst unklug. Der Überfall mithilfe der Frauen misslingt, und hinterher wundert man sich darüber. Tell gerät so immer mehr ins Visier des Königs und Gesslers.

Achtung Spoiler: Einige Frauen, darunter Suna, gehören auch nach dem Desaster zu den wehrhaften Befürworterinnen des bewaffneten Kampfes. Ellie Bamber als Prinzessin Bertha vom Hofe Albrechts unterstützt die Freiheitskämpfer ebenfalls. Bei Hamm ist sie in der Lage sich in Frauenkleidern im Kampf gegen Männer mit Helmen und Stahlhemden unverletzt durchzusetzen, nimmt ein Pferd an sich und reitet unbegleitet auf dem Schimmel zum Hof Albrechts. Das ist nicht sehr glaubwürdig. In der Burg hält der König gerade eine Ansprache, um seine Männer in den Kampf zu schicken, nachdem die Eidgenossen einen Sieg errungen haben. Bertha fordert ihn öffentlich auf das zu unterlassen und landet im Kerker. Das ist einer der Momente, die unfreiwillig komisch sind, denn der mittelalterliche König lässt sich vor versammelter Mannschaft nicht von einer Frau zurechtweisen. Es ist historisch belegt, dass Albrecht von seinem Neffen ermordet wurde, im Film aber gelingt Bertha aus eigener Kraft die Flucht aus dem Kerker, und sie wird zur Meuchelmörderin an Albrecht. Am Schluss siegt nicht der Freiheitsgedanke, der beim Mythos Tell seit über 700 Jahren gefeiert wird, sondern es wird eine weitere Frau als Rächerin aus dem Hut gezaubert, die begeisterte Männer auf den Kampf einschwört. Der Film endet damit, dass sie das Wort „Krieg“ skandieren. Im Abspann wird allerdings auf eine mögliche Fortsetzung hingewiesen, die wohl noch nicht feststeht.

Wenn der Film ein Spiegel unserer Zeit sein soll, muss man sagen, dass das in Sachen Tell nicht richtig funktioniert, Hamm hätte ihn dann vollständig im Fantasy-Bereich verorten müssen. Der Däne Claes Bang als Tell und der Brite Connor Swindells als sein Gegenspieler Gessler funktionieren gut, die schauspielerischen Leistungen sind insgesamt kompetent, und es gibt einige veritable Kampfszenen. Hamm hat Gessler leben lassen, sodass die Figur für eine Fortsetzung zur Verfügung stünde. Während die Filmkritik insgesamt ziemlich verhalten auf den Film reagiert hat, kommt es jetzt auf die Resonanz beim Publikum an.



Wilhelm Tell (Claes Bang) muss einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter (Tobias Jowett) schießen | © SquareOne Entertainment

Helga Fitzner - 19. Juni 2025
ID 15315
https://www.square-o-n-e.com/movie/wilhelm-tell/?lang=de


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