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Filmbiografie

An der Schwelle

zur Ewigkeit



Bewertung:    



Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Im Falle des niederländischen Malers Vincent van Gogh (1853-1890) traf dies mit besonders tragischer Wucht zu: Er war mit seinem spät-impressionistischen, fast schon expressionistischen, subjektiven Malstil den Geschmäckern seiner Zeit weit voraus, wurde als wahnsinniger Kauz abgestempelt und verkaufte zeit seines Lebens vermutlich nur ein einziges Bild, nämlich an seinen Bruder Theo, der sein vagabundierendes Künstlerleben finanzierte. Julian Schnabel, Jahrgang 1951, selbst Maler und inzwischen auch anerkannter Filmregisseur, lässt Van Gogh in seiner irisch-schweizerisch-britisch-französisch-amerikanischen (!) Koproduktion bei aller Geistesumnebelung sehr klar reflektieren: „Vielleicht bin ich ein Maler für Menschen, die noch nicht geboren sind.“ Mag sein, dass van Gogh, der an seinem Stil trotz unbeirrt festhielt, solche tröstlichen Gedanken tatsächlich hegte, um nicht vollends in Verzweiflung und Depression zu versinken. Dass seine Werke eines Tages zu den höchstbezahlten der Kunstgeschichte überhaupt zählen werden, hat er sich aber wohl kaum vorstellen können, als er in einer französischen Nervenheilanstalt einsaß.

Im vergangenen Jahr wurde der wunderbare Spielfilm Loving Vincent zurecht mehrfach preisgekrönt, der van Goghs wichtigste Lebensstationen mithilfe computergenerierter Animation auffächerte und dabei die Bilder des Niederländers als Setting in die Handlung integrierte. Ansatzweise hatte dies schon der japanische Altmeister 1990 im Film Akira Kurosawas Träume getan, als er in der Episode „Krähen“ einen Museumsbesucher in eines von Van Goghs Bildern sich hineinträumen ließ, wo dieser auch van Gogh selbst trifft (der kongenial vom immer etwas unruhig wirkenden Regiekollegen Martin Scorsese gespielt wurde). Lässt sich also über van Gogh und seinen Malstil überhaupt noch Neues sagen?

Nein, aber Julian Schnabel zeigt in seinem Drama die skurrile Welt des Vincent van Goghs erstmals aus dessen eigener Perspektive. Das heißt, wenn der Maler also einmal nicht in Halbnah- oder Nahaufnahme zu sehen ist, sehen wir als Zuschauer vieles aus seinen Augen bzw. mit subjektiver Kamera, den so genannten POV-(point-of-view-)Shots. Oft ist das ein Blick auf die sonnendurchfluteten oder nebligen Landschaften Südfrankreichs, wohin sich der Maler in seinen letzten Jahren aus dem trubeligen Paris zurückgezogen hatte. Manchmal wird verständlich, dass van Gogh von der sonnendurchfluteten Natur wie geblendet war, aber auch seine tiefe Verzweiflung wird deutlich oder die manische Besessenheit, mit der van Gogh seinen Motiven bisweilen zu Leibe rückte. War dies ein französisches Bauernmädchen, führte die Übergriffigkeit auf die Polizeiwache oder in die Psychiatrie.

Die subjektive Kamera von Benoît Delhomme ergibt zusammen mit dem nuancierten Spiel Willem Dafoes, der van Gogh mit der nötigen Mischung aus Melancholie und Lebenshunger ausstattet, tatsächlich eine Sogwirkung und lässt die Entrücktheit van Goghs, die letztlich in Umnachtung endet, nachvollziehbar erscheinen. Schnabel setzt die unterschiedlichen Bildgrößen sehr bewusst ein, um klaustrophobische Zustände zu erzeugen. Allerdings übertreibt er es leider auch manchmal mit den POV-Shots, wenn er zum Beispiel in manchen Szenen das Schwindelgefühl van Goghs in kreisende Reißschwenks übersetzt oder eine lange Dialogszene van Goghs mit dem die Nervenklinik leitenden Priester (Gastauftritt von charming Mads Mikkelsen) vollständig als gegeneinander geschnittene Großaufnahmen inszeniert. Dann bekommt der Gestaltungskniff der subjektiven Kamera etwas Gezwungenes, Aufgesetztes (anders als in Schnabels Schmetterling und Taucherglocke von 2007, in dem der eingeschränkte Blick als der eines Gelähmten immer adäquat erschien).

An der Schwelle zur Ewigkeit hebt auch hervor, dass van Goghs Stil mit Paul Gauguin (Oscar Isaac) und einigen Kunstkritikern gewichtige Fürsprecher hatte, also nicht vollkommen als hässlich-bizarr abgetan wurde. Das Publikum konnte indes mit seinen Bildern wenig anfangen. Dass der mit 37 Jahren bei einem ominösen Zwischenfall mit übermütigen jungen Männern aus Versehen an einer Schussverletzung verstorbene Maler deswegen so faltig und alt ausgesehen hat wie Willem Dafoe, der immerhin 63 Lenze zählt, ist unerheblich. Dafoe ist die beste denkbare Besetzung für die Rolle des verkannten, verhärmten Genies am Rande des Wahnsinns – und der Ewigkeit (Coppa Volpi als Bester Schauspieler beim Venedig Filmfest 2018).



Van Gogh mit Willem Dafoe in der Titelrolle | (C) DCM Verleih

Max-Peter Heyne - 18. April 2019 (2)
ID 11359
Weitere Infos siehe auch: https://dcmworld.com/portfolio/van-gogh/


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