Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Chinesisches Kino

Die Überflüssigen



Bewertung:    



Als der Film Return To Dust des chinesischen Regisseurs und Drehbuchautors Li Ruijun in China startete und sich zu einem Publikumserfolg mauserte, rief das nochmal die Zensur auf den Plan. Oha! Die im ländlichen Milieu angesiedelte Geschichte erzählt vom bescheidenen Glück eines Paares, das es gemeinsam schafft, sich aus der äußersten Armut herauszuarbeiten. Youtie Ma (Wu Renlin) und Guiying Cao (Hai Qing) sind Ausgestoßene in ihrer Gesellschaft. Youtie Ma ist als „nutzloser“ vierter Bruder eine Last für seine Familie, und Guiying Cao ist behindert und inkontinent. Beide waren über das übliche Heiratsalter längst hinaus, als ihre Verwandten sie los werden und die beiden mittels einer arrangierten Ehe aus dem Haus bekommen wollten.

Zur Überraschung aller funktioniert die Ehe, weil Youtie Ma ein Mann ist, der als Bauer eine tiefe Verbindung zur Erde hat und respektvoll mit ihr und allen Lebewesen umgeht. Sowohl er als auch seine Frau haben zu Hause Missachtung, Schläge und alle möglichen Arten der Erniedrigung erfahren und erkennen eine Seelenverwandtschaft zueinander. Beide zeichnen sich durch Genügsamkeit, Rücksichtnahme und Arbeitswillen aus und haben große Freude daran, sich gegenseitig mit Fürsorge zu überschütten. - Man kann nur spekulieren, was der Zensur an dem Werk nicht gefallen hat.

Nun, das Paar ist von Menschen umgeben, die missgünstig und eigennützig sind und bei denen für jemanden mit Anstand, Achtsamkeit und Anspruchslosigkeit kein Platz ist. Das erscheint ihnen als unnütz, aber die Frischvermählten beweisen ihnen das Gegenteil. Zusammen bestellen sie mit ihrem geliebten Esel ihr Land, bauen aus getrockneten Lehmziegeln ein Haus, haben genug zu essen und sind beinahe autark. Sie haben Eier ausgebrütet und nun eigene Hühner und machen Pläne für die Zukunft. Wenn die nächste Ernte wieder so gut wird, wollen sie einen Fernseher kaufen. Soweit ihre bescheidenen Träume.

Die Eheleute können nur mit viel Arbeit ihre Grundbedürfnisse decken, und trotzdem neidet man ihnen ihre Gemeinschaft. Wenn der Mann seine behinderte Ehefrau auf dem Eselskarren sitzen lässt und selber läuft, mokieren sich die Dorfbewohner darüber. Dabei glauben sie, Youtie Ma zu großem Dank verpflichtet zu sein. Der Händler, der ihnen ihr Getreide abkauft, ist erkrankt und braucht regelmäßig Blutspenden. Ma ist der einzige, der die seltene Blutgruppe hat. Obwohl der Erkrankte ihm zu Dank verpflichtet wäre, geschieht dies nicht. Er nimmt zwar das Getreide an, bezahlt aber nur einen Teil davon, so dass die Bauern nicht genug Geld für Saatgut, Dünger und zum Leben haben. Das interessiert ihn aber nicht. Die Ärmsten haben dafür zu sorgen, dass es den Reichen gut geht.

Die kritiklosen Bauern sind obrigkeitsgläubig und hängen an ihrem Ausbeuter. Sie scheinen nicht zu wissen, dass ein neuer käme, wenn dieser nicht mehr da wäre. Allerdings geht das nicht so weit, dass sie Ma und seiner Frau bei der Ernte oder beim Hausbau helfen würden. Im Gegenteil: Zu einer Familienfeier werden sie gar nicht erst eingeladen und bekommen in einer Plastiktüte die Reste vom Hochzeitsessen vorbeigebracht. Obwohl sein Neffe zwei BMWs fährt, sieht er sich nicht verpflichtet, zu helfen. - Die beiden sind aber froh, dass sie einander haben. Sie leben im einem Glücks- und Arbeitsrausch, der erstaunlich lange anhält. Da der Filmtitel (zu deutsch: Die Rückkehr zum Staub) nichts Gutes verheißt, ahnt man trotzdem, dass das nicht währen wird.

Während das Dorf völlig empathielos mit dieser immensen sozialen Ungleichheit umgeht, versucht der Staat wenigstens die Armut der Allerärmsten zu lindern. Doch das Land ist riesig und die Menschen auf ihren Vorteil bedacht. Ein Programm sieht den Abbruch leer stehender Hütten vor, wofür es eine Prämie gibt. Da müssen schon mal Bewohner weichen, damit die Behausung leer wird, und auch eine neu gebaute Hütte wird gnadenlos abgerissen. Ein kleiner Teil der vom Staat neu gebauten Wohnungen wird an die Notleidenden vergeben, so gehört auch das glückliche Ehepaar dazu. Als sie in der Stadtwohnung in luftiger Höhe auf dem Balkon des Hochhauses stehen, fragt sich Youtie Ma, wo er mit seinem Esel, den Hühnern und dem neu erworbenen Schwein hin soll. Es wird zwar im Film nicht thematisiert, aber mit dem, was sich die beiden im ersten Jahr erschaffen haben, gehören sie gar nicht mehr zu den wirtschaftlich Bedürftigsten. Und da sie im Einklang mit der Natur, den Jahreszeiten und sich selbst leben, geht es ihnen gut.

Aber das zählt nicht und ist an Absurdität nicht zu überbieten, denn wie soll der Bauer in der Großstadt seinem Beruf nachgehen? Die Allmacht des Staates, der über Menschen und ihr Leben verfügt und sogar ihren Aufenthaltsort bestimmt, wird da schon erkennbar. Als der Film nach einem geänderten Schluss dann doch in die Kinos durfte, ist dieser völlig unstimmig, und auch unerfahrene Kinobesucher dürften merken, dass da etwas sehr seltsam und unlogisch ist. Er kann auch nicht den Eindruck verwischen, dass sich das Dorf in der Hand der Korrupten und Profiteure befindet. Während Youtie Ma und Guiying Cao eigentlich idealtypische Menschen sind, die mitmenschlich, einfühlsam, barmherzig und spirituell ausgerichtet sind, wird sehr deutlich, dass der überwiegende Rest des Dorfes ziemlich kapitalistisch und menschenfeindlich orientiert ist. Klar, dass der Film beim chinesischen Publikum ein großer Erfolg war, und klar, dass die Zensur versuchte, dem etwas entgegenzusetzen. Zum Schluss bleibt beim Zuschauer das Entsetzen über das erschreckende Fehlen von Mitgefühl, Ehrlichkeit und Anstand sowie über die übergriffige Fremdbestimmung über die Menschen, die innerfilmisch nicht hinterfragt wird. Eine bleibende Metapher sind die von Youtie Ma geforderten Blutspenden, mit denen dem Armen im wahren Sinne des Wortes das Blut ausgesaugt wird. Möglicherweise liegt die Beliebtheit bei den Kinogängern aber gar nicht an der Sozialkritik, sondern an der Vision, dass eine andere Welt möglich ist, in der man den Dingen, der Natur und den Menschen einfach nur genug Zeit und Raum zum Gedeihen gibt, ohne ständig einzugreifen.



Die Ausgestoßenen Youtie Ma (Wu Renlin) und Guiying Cao (Hai Qing) haben ein selbst gebautes Dach über dem Kopf und ihr bescheidenes Glück gefunden | © Qizi Films Limited

Helga Fitzner - 2 März 2023
ID 14078
Weitere Infos siehe auch: https://rapideyemovies.de/returntodust/


Post an Helga Fitzner

Dokumentarfilme

Fernsehfilme

Spielfilme, international

Neues deutsches Kino



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)