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Französisches Kino

Die hohe Kunst

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Mein Leben mit Amanda erzählt die zunächst alltägliche Geschichte eines Bruders und seiner Schwester während eines durchschnittlichen Sommers in Paris. Der französische Regisseur Mikhaël Hers hat zusammen mit Maud Ameline das Drehbuch verfasst, und sie erschufen ein erwachsenes Geschwisterpaar, das vom Vater allein groß gezogen wurde, nachdem die Mutter die Familie verlassen hatte. Während seine Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) überlegt, auf den späten Kontaktwunsch der Mutter zu reagieren, legt David (Vincent Lacoste) deren Briefe ungelesen in die Schublade. Es sind diese kleinen Gesten, die ohne Rückblenden und Kommentare zeigen, welche Auswirkungen das Aufwachsen ohne Mutter gehabt haben mag. David ist jetzt 24 Jahre alt, hat mehrere Jobs und genießt sein sorgloses Single-Dasein. Allerdings hat er eine Liebschaft mit Sandrines Nachbarin Léna (Stacy Martin) angefangen, die das Potential zu einer festen Beziehung hat, aber die beiden stehen noch ganz am Anfang. Seine Schwester Sandrine ist Englischlehrerin und die alleinerziehende Mutter der siebenjährigen Amanda (Isaure Multrier), um die sie sich liebevoll kümmert. David wird als ihr Onkel gelegentlich eingespannt, kommt aber aus beruflichen Gründen schon mal zu spät, um Amanda von der Schule abzuholen. Ein ganz normaler junger Mann eben.

Der Film lässt uns fast nebenbei und nur langsam verstehen, was dann geschieht. Sandrine, Léna und viele andere machen an einem schönen Tag ein Picknick im Bois de Vincennes, einem beliebten Naherholungsgebiet in Paris. Es sind nur wenige und kurze Bilder, die ein Attentat dort zeigen, dann sehen wir David vor einem Krankenhaus. Mit David realisiert man erst nach und nach, dass Sandrine tot und Léna schwer verletzt ist. Die Kameraführung von Sébastien Buchmann ist fantastisch. Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben ist, während die Bilder weiter laufen. Diese bleiben selbst jetzt im Persönlichen. Als David am nächsten Tag mit Amanda durch die fast menschenleeren Straßen in den nahegelegenen Park gehen will, um ihr zu erklären, was passiert ist, stehen da bewaffnete Polizisten vorm Tor. So bekommen wir mit, dass sich Paris im Ausnahmezustand befindet und das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist. Auch hier steht der alltägliche Teil für das Ganze.

Sandrines Tod ist ein gewaltiger Einschnitt vor allem in Amandas Leben. David lässt sich beim Jugendamt beraten und erfährt, dass er die Voraussetzungen erfüllt, um das Sorgerecht für Amanda zu bekommen, trotz seiner Jugend. David besucht auch ein Waisenhaus, geht mit dessen Direktor durch den Hof und lässt sich über alles informieren. Das Konzept des Hauses hört sich ganz passabel an, trotzdem steht diese Option nicht mehr zur Debatte. Keine große Überlegungen oder Ähnliches, man kann sich aber zusammenreimen, dass Davids Vater ihm und Sandrine dieses Schicksal erspart hat. Und nun versuchen David und Amanda mit ihrer Trauer zurechtzukommen und ihr verändertes Leben zu gestalten. Inzwischen ist Léna wieder aus dem Krankenhaus zurück. Sie hat überlebt, ist schwer traumatisiert und hat nur noch den Arm in der Schlinge. Da sie Pianistin ist und nicht mehr spielen kann, fährt sie zurück nach Hause in die Provinz. Ihr Überleben hat den schalen Beigeschmack, dass ihr die erwünschte Zukunft genommen wurde, sie versucht sich aber tapfer auf die Veränderungen einzustellen. Mikhaël Hers erklärt: „Das ist mein Ziel. Das Einfache und Alltägliche einzufangen und ihnen Schönheit, Lyrisches und Poetisches zu verleihen. Zum Beispiel schläft David in der Wohnung seiner Schwester nicht in ihrem Zimmer, sondern auf dem ausklappbaren Sofa. Obwohl er dort lebt, ist es für ihn unmöglich, ihr Bett zu benutzen, vor allem aus Rücksicht auf seine Nichte.“

Der ganze Film ist gespickt mit solchen subtilen Details, und Isaure Multrier als Amanda ist mit ihren sieben Jahren von einer erstaunlichen Lebensklugheit. Denn sowohl ihrem Onkel als auch ihr ist die Jugend bzw. die Kindheit gestohlen worden, aber beide versuchen mehr oder weniger gut, sich aufeinander einzustellen. Die Gewalttat führt dazu, dass die beiden einen Zuwachs an Verantwortungsgefühl und Stärke gekommen, auf einem schmerzlichen Weg in ein anderes Leben, dem die zweite Hälfte des Films gewidmet ist.

*

Mein Leben mit Amanda kommt ohne Effekthascherei und sogar ohne Fokus auf das Attentat aus, dessen Auswirkungen sich aber anhand der Umbrüche im Leben der Betroffenen hautnaher entfaltet als durch Nachrichtenbilder oder Verallgemeinerungen. Das sind diese kleinen fast schleichenden Veränderungen nach den Attentaten in Paris im Jahr 2015. „Ich wollte keinen gesellschaftskritischen Film über Anschläge machen, aber ich musste diese Bedrohung in meinen Film mit aufnehmen, weil sie zeigt, wie unser Leben damit auf die Probe gestellt wird“, erläutert Mikhaël Hers.



Amanda (Isaure Multrier) und ihr junger Onkel David (Vincent Lacoste) wachsen nach dem Tod von Amandas Mutter zusammen. | © 2018 Nord-Ouest Films – Arte France Cinéma

Helga Fitzner - 12. September 2019
ID 11672
Weitere Infos siehe auch: https://www.mfa-film.de/kino/id/mein-leben-mit-amanda/


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