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Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile im Dorf. Chrissie (Anna Maria Mühe) ist zurück: die junge Frau, die vor ein paar Jahren bei Nacht und Nebel ihren Heimatort stickum verlassen hatte. Sie war in der Zwischenzeit als Stuntfahrerin unterwegs und hatte sich wegen ihrer riskanten Einsätze einen entsprechenden Ruf erworben. Doch eines Tages ging ein Stunt schief, und sie ist fortan auf den Rollstuhl angewiesen. Da sie nicht versichert ist, musste sie notgedrungen nach Hause zurückkehren, wo sie von unbewältigten Ereignissen in der Vergangenheit eingeholt wird. Doch sie ist nicht die einzige, die sich nun einer zurückliegenden Traumatisierung stellen muss. Sie lebt jetzt bei ihren Vater Werner (Michael Wittenborn) und die beiden triggern sich gegenseitig.

Karsten Dahlem hat sich als Autor bereits einen Namen gemacht (Freier Fall, 2013) und präsentiert nun seinen ersten Langspielfilm, für den er nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch erstmalig Regie geführt hat. Der Titel Die Geschichte einer Familie ist leider sehr allgemein gehalten und trifft auf viele Sujets zu, aber der Film ist inhaltlich und stilistisch sehr ausgefeilt und spezifisch. Chrissie hat vor ihrem Fortgang einen Unfall verursacht, bei dem ihr Bruder ums Leben kam. Ihr Vater war zu dieser Zeit noch Dorfpolizist und veränderte den Unfallort so, dass seine Tochter als Verursacherin nicht ersichtlich war. Danach brach die Familie auseinander: Die Mutter nahm eine Arbeit für ein Wohltätigkeitsprojekt in Afrika an und verschwand, und Werner flüchtete sich in den Alkohol. Danach machte sich auch Chrissie aus dem Staub, ohne sich zu verabschieden, auch nicht von ihrem Freund Sascha (Anton Spieker), der bis heute die abrupte Trennung nicht richtig verwunden hat.

Die beiden Protagonisten halten sich jeweils für eine Insel, aber Dahlem zeigt deutlich, dass sie, wie wir alle, in einem Beziehungsgeflecht leben. Vater und Tochter nähern sich erst allmählich wieder an, denn in erster Linie ist es der Schmerz über den Verlust des Sohnes bzw. Bruders, dem sie bislang ausgewichen sind, der sie aber auch verbindet. Dann kommen immer Gefühle des Versagens und insbesondere bei Chrissie der Schuld hoch. Offensichtlich wollte sie sich durch die Stuntfahrerei beweisen, dass sie sowohl einen Wagen auch ihr Leben unter Kontrolle hatte. Nun, beides traf nicht zu. Auf sich selbst zurückgeworfen und einem Vater ausgesetzt, der zwischen Ablehnung und Fürsorge schwankt, lernt sie langsam, die verdrängten Gefühle anzunehmen, ihren Alltag zu meistern und manchmal Fürsorge, sogar Selbstfürsorge aufzubringen.

Anna Maria Mühe (zuletzt TV-Serie Unsere wunderbaren Jahre) und Michael Wittenborn (Fabian, 2020; Im Westen nichts Neues, 2021) spielen ihre Selbstzerfleischung so intensiv, dass es unter die Haut geht. Das geschieht im Wechsel mit Rückblenden aus glücklicheren Tagen, als die Familie noch intakt war und das Dorfleben harmonisch. Beim Osterfeuer werden fröhlich geistliche Lieder gesungen, die Blaskapelle schafft Gemeinschaft im Dorf, das für junge Leute sonst wenig Möglichkeiten zur Entfaltung bietet. So träumt Chrissies Bruder (Casper von Bülow) davon, der Ödnis zu entrinnen ohne zu erkennen, wie stabilisierend eine solche Gemeinde sein kann.

Der Kameramann Martin Farkas hat viele Dokumentarfilme gedreht und wirft einen durchaus dokumentarischen Blick auf die Geschehnisse. In Die Geschichte einer Familie stimmt so gut wie alles, sowohl vor als auch hinter der Kamera, insbesondere die unterschiedlichen Musikstücke wurden grandios ausgewählt. Das aufwühlende und meisterhafte Drehbuch wurde von eigenen Erfahrungen des Autors gespeist, der in einer ähnlichen Dorfgemeinschaft aufwuchs und einen Freund durch einen tödlichen Unfall verloren hat. Diese Unfälle kamen auf einer Landstraße, auf denen Jugendliche nach der Landdisco nach Hause fuhren, mehrfach vor. In dem kleinen Ort bekamen alle die Auswirkungen auf die Familien und das Umfeld mit. Das allein verleiht dem Film eine ungeheure Wahrhaftigkeit, der insbesondere für Anhänger großartiger Schauspielkunst eine Wundertüte ist, denn was Anna Maria Mühe und Michael Wittenborn da immer wieder an neuen Nuancen aus sich „herausholen“, ist ganz großes Kino.



Chrissie (Anna Maria Mühe) erlebt einen kurzen Moment der Erleichterung | (C) Filmwelt

Helga Fitzner - 14. Juni 2023
ID 14250
Weitere Infos siehe auch: https://www.filmweltverleih.de


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