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Filmkritik

Von Träumen und

Erschütterungen



Bewertung:    



Die Hochzeitsgäste sind versammelt, der Bräutigam hat schon ja gesagt und nun ist die Reihe an der Frau. Doch die sagt nein. So beginnt der neue Film des mauretanischen Regisseurs Abderrahmane Sissako, der zusammen mit Kessen Tall auch das Drehbuch zu Black Tea schrieb. Sissaki gehört zu den bekanntesten Filmregisseuren aus dem subsaharischen Afrika und erlebte mit Timbuktu (2014) seinen preisgekrönten Durchbruch. Darin schilderte er die Besetzung der weltoffenen Handelsstadt Timbuktu durch Dschihadisten und die schrecklichen Folgen. Black Tea beginnt ebenfalls in Afrika, an der Elfenbeinküste, spielt sich aber im wesentlichen in der chinesischen Hafenstadt Guangzhou ab, in der afrikanische Migranten im Stadtteil Chocolate City untergebracht sind. Doch wer erwartet hat, dass er sich kritisch mit der Lage von Migranten im Ausland auseinandersetzt, wird erstaunt feststellen, dass Sissako eine idealtypische gegenseitige Würdigung verschiedener Kulturen illustriert.

Die Afrikanerin Aya (Nina Melo) taucht nach ihrer verweigerten Eheschließung in Chocolate City auf, wo sie sich bereits mühelos auf Mandarin verständigen kann und integriert ist. Sie arbeitet für den chinesischen Teehändler Cai (Chang Han), der ihr sehr zugetan ist und sie in die Geheimnisse der Teezeremonie einweiht. Die vom Kameramann Aymerick Pilarski kreierten Filmbilder zeigen in warmen Farben und wunderbarer Beleuchtung einen Stadtteil, der in dieser Form nicht existieren dürfte. Guangzhou hat über 16 Millionen Einwohner, die dargestellte Chocolate City (gedreht in Taiwan) ist aber sehr überschaubar. Hier kennt man sich, zwei Polizisten gehen zu Fuß auf Streife und stehen in freundlichem Austausch mit den chinesischen wie auch mit den afrikanischen Bewohnern. Ein von Afrikanern betriebener Friseursalon ist ein beliebter Treffpunkt, die Läden, Garküchen und Restaurants von der Größe her sehr übersichtlich. Das Zusammenleben ist von beiderseitigem Respekt und Interesse aneinander geprägt.

Aya schreitet mit traumwandlerischer Selbstsicherheit durch die Straßen, während die Handlung immer realitätsferner wird. Die Chinesen bewundern die lebenslustigen Afrikaner, die Afrikaner die äußere Ruhe und Achtsamkeit der Chinesen. Cai erzählt Aya, dass seine Ehe unglücklich ist, aber Aya lässt sich davon nicht erweichen. Doch Cai wirbt unaufdringlich, aber beharrlich weiter um sie. Er vertraut ihr an, dass er vor vielen Jahren, als er auf den Kapverdischen Inseln vor Westafrika ein Restaurant betrieb, eine Affäre mit einer Afrikanerin hatte, die eine Tochter von ihm bekam. Darauf reagiert Aya mit Empathie und meint, dass er seine Tochter auf jeden Fall besuchen sollte. Für Cais erwachsenen Sohn Li-Ben (Michael Chang) und Cais Ehefrau Ying (Wu Ke-Xi) bringt Aya Verständnis auf. Sissako lässt die Zuschauer im Unklaren darüber, ob Aya und Cai ein Verhältnis haben und ob Cai wirklich seine Tochter besucht.

Auf einmal beginnen alle, ihre Geheimnisse preiszugeben und von ihren Verletzungen zu erzählen. Wir erfahren, dass Aya einen handfesten Grund hatte, die Ehe abzulehnen. Ayas Kollegin Wen (Huang Wei) aus dem Teeladen beneidet Aya ein wenig, weil diese von Cai geliebt wird und das auch weiß. Die junge Wen hat noch keinen Partner gefunden, obwohl sie ein einnehmendes Wesen besitzt. Raum und Zeit werden im Film immer unspezifischer. Sissako erklärt:


"Was hier zählt, ist nicht der Ort, sondern dass sich diese Frau auf dieselbe Art und Weise bewegt – egal wo sie sich befindet. Dass sie eine Freiheit beansprucht, die sich nicht auf ein bestimmtes Land beschränken lässt. Indem Aya ihre Umgebung beobachtet, erschafft sie diejenige Welt, in der sie lebt. Der Ort, an dem Black Tea spielt, hat damit keine Bedeutung mehr."


Am Schluss des Films löst Sissako das Rätsel auf. Aber unabhängig davon hat er eine Vision präsentiert, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander leben und umgehen können. Das hängt zum einen mit der inneren Befindlichkeit zusammen, bei der Aya mit sich im Reinen ist und Empathie entwickeln konnte. Aber die äußeren Rahmenbedingungen von Menschenwürde und Respekt sind auch essentiell für das Wohlbefinden und den Frieden. Sissako zeigt Menschen, die insgesamt ihr Menschsein gemeinsam haben, deren Sehnsüchte, Träume, Verletzungen und Hoffnungen sehr ähnlich sind. Dann ist auch Raum für Großherzigkeit, sogar Verzicht zugunsten anderer.

Ein Kernpunkt ist die Selbstbestimmung, so widersprüchlich das auf den ersten Blick erscheinen mag: wenn Cais Frau Ying ihre Zurückhaltung aufgibt und vor der Familie erklärt, dass sie sich nicht in einer Opferrolle sieht. Es ist klar, dass die große Liebe, die beide Eltern für ihren Sohn empfinden, der Grund für die gemeinsame Erziehung war. Nun ist Li-Ben zwanzig Jahre alt und zu einem aufrechten jungen Mann herangewachsen. Bei einem Essen mit den konservativen Großeltern äußert auch er seine Meinung. Als die Großeltern befürwortend von einer Fotoausstellung berichten, in der Afrikaner mit Tieren verglichen werden, fragt er sanft und klug, ob die beiden auch nur einen Afrikaner je kennengelernt haben, was diese verneinen müssen. Hier ist sehr schön die Balance zwischen einem eigenen Standpunkt und Respekt anderen gegenüber zu erkennen.

Als im Jahr 2014 Sissakos Film Timbuktu herauskam, fiel der sofort als etwas Besonderes auf. In einer Umfrage der BBC aus dem Jahr 2016 zählte er zu den 100 bedeutendsten Filmen des 21. Jahrhunderts und belegte Platz 36. Seitdem ist Sissako auf Filmfestivals gern gesehenes Jury-Mitglied, hat aber an seinen Erfolg von Timbuktu nicht gleichermaßen anschließen können. Black Tea könnte aber ein solches Potenzial haben, wenn man den Film einen gewissen zeitlichen Abstand gewinnen lässt. Die Migrationsfrage wird bestehen bleiben und da sind zukunftsträchtige Visionen durchaus wünschenswert. Die Ansätze dazu sind erkennbar, aber nie belehrend, sondern in teils betörenden Bildern, z.B. von den Teeplantagen, erst einmal im Märchenhaften angesiedelt.



Der Teehändler Cai (Chang Han) mit seinen Assistentinnen, der Afrikanerin Aya (Nina Melo) und der Chinesin Wen (Huang Wei) | © Pandora Film, Foto: Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

Helga Fitzner - 18. Juni 2025
ID 15314
https://www.pandorafilm.de/filme/black-tea.html


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