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DVD


Ein Kriegsfilmklassiker restauriert auf DVD

Verdun (1928) – Ein Film von Léon Poirier

Stummfilm mit Klavierbegleitung, 151 Min. Spielzeit, 58 Min. Bonusmaterial
Mit frz. Zwischentiteln sowie dt., engl., span. und jap. UT
© absolut MEDIEN GmbH 2006
Empf. Verkaufspreis: 19,90 Euro
ISBN: 978-3-89848-864-8


Bilder vom ertrotzten Sieg

Langsam, ganz langsam verschwindet der Name Verdun aus der allgemeinen Erinnerung – weniger als nordfranzösisches Städtchen am Oberlauf der Maas, das es noch zu entdecken gilt, denn als Synonym für eine der größten und blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs. In Deutschland mag das daran liegen, daß die allumfassende Erfahrung des Zweiten Weltkriegs das Wissen um gigantische Materialschlachten und Sturmangriffe an der Westfront der Jahre 1914 bis 1918 regelrecht verschüttet hat. In Frankreich ist diese Erinnerung lebendiger, schon allein dadurch, daß die Jahre zwischen 1940 und 1945 vornehmlich als Zeit der deutschen Besatzung und, sieht man von der 1944/45 extrem umkämpften Normandie ab, weniger als Kriegsszenario erlebt wurden. Noch heute kann man die französischen Schauplätze und Ehrenmale der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs besichtigen. Aber auch in Frankreich sterben, 90 Jahre nach dem Geschehen, die letzten poilus, wie die französischen Soldaten genannt wurden, allmählich weg.
Da paßt es gut, daß die Cinémathèque de Toulouse im Jahr 2006 einen französischen Kriegsfilmklassiker in einer aufwendig restaurierten Fassung wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, der jüngst auch für den deutschen Markt beim Berliner Filmverlag absolut MEDIEN als DVD herausgekommen ist: Verdun von Léon Poirier wurde 1928 an Originalschauplätzen gedreht und gehört zu den frühesten filmischen Auseinandersetzungen mit dem Sujet überhaupt. Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist der Schock in den kriegsbeteiligten Ländern soweit überwunden, daß er zum Thema gemacht werden kann. In Deutschland hatte Ernst Friedrich mit seinem Anti-Kriegs-Bilderbuch Krieg dem Kriege 1924 noch für einen handfesten Skandal gesorgt. Erst 1929 konnte ein Roman wie Remarques Im Westen nichts Neues zu einem Bestseller werden, und die – amerikanische – Verfilmung ein Jahr später, erstmalig als Tonfilm, wurde von Millionen Menschen gesehen.

Viel Lärm um nichts – mit 700.000 Toten

Poirier traf mit Verdun den Nerv seiner Zeit. Selbst Kriegsteilnehmer bei Verdun und zu Kriegsende hochdekorierter Artillerieoffizier, hat er mit den Mitteln des Stummfilms versucht, das unbegreifliche Geschehen anschaulich zu machen. Doch um welches Geschehen geht es überhaupt?
Nach eineinhalb Jahren Stellungskrieg beginnt die deutsche Armee unter dem Kommando des Kronprinzen Wilhelm am 21. Februar 1916 mit einem massierten Großangriff auf die französischen Stellungen bei Verdun. Trotz Trommelfeuer und ständiger Sturmangriffe können sich die deutschen Truppen bis zum Sommer nur um wenige Kilometer an die Stadt heranarbeiten. Am 1. Juli startet an der Somme, einem weiter westlich gelegenen Frontabschnitt, eine großangelegte französisch-britische Gegenoffensive, die den deutschen Angriff bei Verdun endgültig zum Stehen bringt – mehr noch: bis Jahresende gehen die wenigen eroberten Hügel und heftig umkämpften Forts wieder verloren, die Deutschen werden fast auf ihre Ausgangspositionen vom Februar zurückgedrängt.
Was sich so lapidar bis unspannend liest, hat auf beiden Seiten etwa 700.000 Männern das Leben gekostet und ein Maß an Zerstörung entfaltet, das bis zu diesem Zeitpunkt seinesgleichen suchte. In den Hügeln bei Verdun stand kein Baum mehr, die Ortschaften, die ins monatelange Trommelfeuer gerieten, waren vaporisiert. Es gibt Luftaufnahmen vom Fort Douaumont, dessen Gewinn und späterer Verlust das deutsche Scheitern vor Verdun symbolisiert, auf denen nurmehr Umrisse in einer Mondlandschaft aus Kratern zu sehen sind.
Poiriers Verdienst – und auch das des Kamerateams um Robert Batton und Georges Million – ist es, diese „Hölle“, als die sie damals schon bezeichnet wurde, zu einem erlebbaren Geschehen zu machen. Anders als bei Lewis Milestones Verfilmung von Im Westen nichts Neues, deren ortlose Angriffsszenen zu filmischen Universalbildern für den sinnlosen Stellungskrieg an der Westfront geworden sind, ist bei Poirier das Geschehen von vornherein auf den konkreten Ort festgelegt. Der dokumentarische Zugang wird nicht nur durch das Drehen am Originalschauplatz, sondern auch durch die geschickte Einspielung von historischem Material unterstrichen. Für die Dreharbeiten ließ Poirier sogar einen der kommandierenden Generäle, den späteren collaborateur Pétain, noch einmal die Treppe seines alten Hauptquartiers in Souilly herabschreiten. Auch die Schauspieler, die die Kampfszenen spielen, haben den Krieg miterlebt. Vielleicht liegt es daran, daß die irrwitzigen Aktionen der von ihnen gespielten Soldaten, die wie die Erdmännchen durch eine unförmige Matschwüste krabbeln, für den Zuschauer so verblüffend selbstverständlich wirken.
Anders als bei der Remarque-Verfilmung, wo der Gefreite Paul Bäumer mit seinen Kameraden im Vordergrund steht, erzählt Poirier mit Verdun keine konkrete Geschichte. Es kam ihm darauf an, aus französischer Perspektive das abstrakte Geschehen der Riesenschlacht greifbar zu machen. Das geschieht, außer in den Kampfszenen, sowohl mit eingeblendeten Reliefkarten, Trickfilmen von Truppenbewegungen oder Zwischentiteln mit Tagesbefehlen als auch durch die Einführung von etwas holzschnittartigen Typenfiguren. Da ist der französische Soldat (gespielt von Albert Préjean), der uns unverwundbar, wie ein roter Faden, durch den Film führt. Es gibt den Sohn (Pierre Nay), der sich freiwillig meldet, der durch die Schlammwüste kriecht und verwundet wird, seine Mutter ist in ständiger Sorge um ihn. Da ist die Bauernfamilie, die aus ihrem Dorf in der Kampfzone vertrieben wird, der Mann fällt, die Frauen werden in die Etappe evakuiert, wo sich die Tochter unter dem melancholischen Blick ihrer Mutter (Suzanne Bianchetti) in einen Soldaten verliebt. Der alte Bauer (José Davert) streicht währenddessen wie ein Irrwisch immer wieder durch die französischen Linien. In einer Nebenrolle als „der Intellektuelle“ ist der junge Antonin Artaud zu sehen.
Den französischen Soldatencharakteren steht als ihr Ebenbild auch ein deutscher Soldat gegenüber, verkörpert von dem deutschen Schauspieler Hans Brausewetter. In seinem immer wiederkehrenden, nachdenklichen Gesicht wird die unterschwellig mitschwingende Frage nach dem Irrsinn des Krieges besonders anschaulich. Auf seiten der Deutschen stehen die Militärs im Vordergrund, neben dem Soldaten der schneidige Offizier (Thomy Bourdelle) und besonders der wie eine Karikatur wirkende alte Marschall (Maurice Schutz), dessen unverbesserliche Hartnäckigkeit in die Katastrophe führt.

Visionen der Echtheit

Poirier hat, obwohl er zeitlich noch so nahe am Geschehen stand, einen Film gedreht, der frei ist von heldischer Vereinnahmung – die nach wie vor lärmende Hollywood-Propaganda unserer Tage könnte sich davon eine Scheibe abschneiden. Natürlich steht auch am Ende dieses Films ein Sieg – aber es ist kein glänzender, sondern, worauf Film-Konservator Christophe Gauthier in einem als Bonusmaterial beigegebenen Interview hinweist, ein ertrotzter Sieg aus der Defensive heraus. In Verdun hat sich die französische Nation bewiesen, daß sie auch der größten Wucht eines Aggressors standzuhalten vermag, freilich unter kaum vorstellbaren Opfern. Das ist die Symbolhaltigkeit dieser Schlacht, die sich im Film entfaltet.
Und er ist trotzdem, ganz gegen den chauvinistischen Trend der Zeit, kein revanchistischer Film. An einer Stelle liegen zwei gegnerische Soldaten sterbend im nächtlichen Niemandsland – der eine ruft „Mama!“, der andere „Maman!“. Und als wären ihre Schreie erhört worden, treten als Erscheinung zwei Krankenschwestern auf, die die beiden sanft aufheben, auf eine – gemeinsame – Bahre legen und damit Richtung Himmel aufsteigen. Diese im Grunde kitschige Szene unterstreicht den universalen Anspruch des Films. Poirier hat das im Untertitel zu Verdun, der „Vision d’histoire“, Geschichtsvision, lautete, selbst angedeutet. Dieses Element durchzieht auch die Dramaturgie, denn der Film gliedert sich in drei „Visionen“, die mit „Stärke“, „Hölle“ und „Schicksal“ überschrieben sind.
Grenzwertig ist vor allem die Länge des Films, dessen zweieinhalb Stunden Frontgeschehen, unterbrochen immer nur von kurzen „menschlichen“ Episoden, irgendwann ermüdend wirken. Fast schon als Glücksfall zu werten ist dabei die Tatsache, daß es sich um einen Stummfilm handelt und daß das, was da 151 Minuten lang auf der Leinwand explodiert, klanglich nur die Finger von Hakim Bentchouala-Golobitch auf den Klaviertasten sind, der die Originalpartitur von André Petiot für die DVD neu eingespielt hat. Wer sich für die Umstände der Restaurierung interessiert, dem seien die Bonustracks empfohlen, etwa die beiden Interviews mit der französisch-italienischen Crew. Für Nicht-Frankophone sind die Aussagen der Produzenten, Konservatoren, Historiker und Musikwissenschaftler im ausführlichen, von Valeska Bertoncini redigierten Booklet übersetzt. Um zu begreifen, was Poirier mit seinen Bildern vom Krieg sichtbar macht, ja authentisch vermittelt, sollte man sich auch den halbstündigen Dokumentarfilm nicht entgehen lassen, den der französische Armeefilmdienst im Herbst 1916 von der Rückeroberung der Forts Vaux und Douaumont drehte.

Jenseits von Pickelhaube und Stahlhelm

Die Macher der Neuedition von Verdun haben nicht nur einen Filmklassiker vor dem Verschwinden bewahrt – die Öffnung russischer Archive, in denen seit 1945 die beste und vollständigste Kopie lagerte, machte es möglich. Sie haben auch dazu beigetragen, ein Ereignis im Bewußtsein zu erhalten, das langezeit sprichwörtlich war und als Synonym für das Grauen des modernen Massenkrieges galt. Für das deutsche Publikum bietet der Film außerdem die Möglichkeit, den Ersten Weltkrieg einmal nicht nur aus der Perspektive von Pickelhaube und Stahlhelm wahrzunehmen – eine gute Gelegenheit, sich zu vergegenwärtigen, daß auch die Schlachtfelder von Verdun noch lange nicht vom grünen Moos der Geschichte überwuchert sind.


p.w. – red. / 26. März 2007
ID 3115
Verdun (1928) – Ein Film von Léon Poirier
Restaurierte Fassung auf DVD, mit frz. Zwischentiteln sowie dt., engl., span. und jap. UT
Stummfilm mit Klavierbegleitung, 151 Min. Spielzeit, 58 Min. Bonusmaterial
(Restaurierung: Cinémathèque de Toulouse, Cineteca di Bologna, 2006)
© absolut MEDIEN GmbH in Zusammenarbeit mit ARTE Deutschland
ISBN: 978-3-89848-864-8
Empf. Verkaufspreis: 19,90 Euro

Weitere Infos siehe auch: http://www.absolutmedien.de





 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


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