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DVD-Kritik

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1931 in Nordaustralien: Mitten im Outback versucht der britische Kommandant Moran (Jack Thompson) die Macht seines Königs durchzusetzen, und die Szenerie hat schon etwas Absurdes. Der Ort des Geschehens ist eine winzige Mission in der weiten und dünn besiedelten Region, und ihm sitzt der Stammesanführer der Aborigines Dharrpa (Witiyana Marika) mit einigen seiner Männer gegenüber. Es ist der Höhepunkt des Spielfilms High Ground, und die Unterschiede in den Lebensweisen könnten nicht offensichtlicher sein. Die Soldaten tragen trotz der gewaltigen Hitze Uniform, während die Aborigines gerade mal um die Hüften herum bekleidet und mit weißer Körperfarbe bemalt sind.

Moran lässt die „Verhandlung“ fotografieren, auch als Zeichen seiner Überlegenheit, und zeigt auf das Emblem an seinem Helm. Er repräsentiere den König des Britischen Empires, dessen Gesetz er die Pflicht habe zu vollziehen, sagt er stolz. Der Aborigine Gutjuk (Jacob Junior Nayinggu) übersetzt das so: „Das glitzernde Ding auf seinem Kopf lässt ihn glauben, dass er der Boss ist.“ Der Älteste Dharrpa erklärt den Briten, dass dies sein Land ist und die Aborigines eigene Gesetze haben. Die kommen von dem Land, auf dem sie geboren wurden, und er beruft sich auf keinen Anführer, sondern auf Mutter Erde und Vater Himmel. „Mein Gesetz ist vollkommen, nachhaltig und es macht uns besser“, erklärt er. Doch das Gesetz der Briten setzt auf Bestrafung, und Moran verlangt, dass Dharrpa seinen Sohn Baywarra (Sean Mununggurr) ausliefert. Baywarra widersetzt sich der Besiedelung seines Landes, indem er Farmen niederbrennt. Nun ist beim letzten Brand eine weiße Frau dabei ums Leben gekommen, und das muss Moran natürlich ahnden. Doch die Aborigines machen den Soldaten klar, dass alles mit den Eindringlingen angefangen hat und nicht mit Baywarra. Wenn die Briten wollen, dass die Ureinwohner das koloniale Gesetz respektieren, wollen sie vorher Gerechtigkeit für ein Massaker erlangen, das zwölf Jahre zuvor verübt wurde.

High Ground – Der Kopfgeldjäger basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 1919, als eine Gruppe ehemaliger Soldaten, die danach als Polizisten im Nordterritorium eingesetzt wurden, zwei Aborigines verfolgten, die eine Kuh gestohlen hatten. Diese suchten Zuflucht bei einer Großfamilie, die am Fluss lebte. Die Lage eskalierte, und die Soldaten richteten ein Massaker an, bei dem fast alle Aborigines getötet wurden, sogar ein Säugling. Einzig der kleine Gutjuk überlebte, weil er im Wasser untergetaucht war. Der Scharfschütze Travis (Simon Baker - bekannt aus der TV-Serie The Mentalist) hatte das von seiner erhöhten Position aus durch das Fernrohr seines Gewehres gesehen, er fischte den Kleinen aus dem Wasser und brachte ihn zu der kleinen Mission. Als der Großvater Dharrpa heimkam, waren die Soldaten und der kleine Gutjuk verschwunden. Er fand aber noch seinen schwer verletzten Sohn Baywarra vor, um den er sich kümmerte. Der Scharfschütze Travis verließ nach den Ereignissen die Einheit, wird zwölf Jahre später aber genötigt, als Kopfgeldjäger Baywarra zu jagen. Dabei soll ihm der mittlerweile erwachsene Gutjuk helfen, dem Travis damals das Leben gerettet hatte und der angepasst in der Mission aufwuchs. Doch die Dankbarkeit seinem Retter gegenüber würde einen Verrat an seinem Onkel Baywarra bedeuten. Trotzdem ziehen die beiden gemeinsam los, heimlich verfolgt von Soldaten, die ihnen misstrauen und unter den Augen von Aborigines, die selbst nahezu unsichtbar bleiben.

*

High Ground ist eine Geschichte, die in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vorkommt. Der (weiße) australische Regisseur Stephen Maxwell Johnson hat zwanzig Jahre lang an der Idee zu dem Film gearbeitet, dessen erstklassiges Drehbuch schließlich von Chris Anastassiades umgesetzt wurde. Der Kameramann Andrew Commis sorgte für spektakuläre Landschafts- und Naturaufnahmen im Kakadu Park und Arnhem Land, die er teilweise mit Drohnen filmte. Die Darstellung der Aborigines ist zwar dokumentarisch korrekt, es überwiegt aber ein künstlerischer und respektvoller Blick auf sie. Der Name Gutjuk bedeutet Falke, und die Aufnahmen von Falken, die über die beeindruckenden Landschaftsformationen fliegen, unterstreichen die höhere Perspektive, von der aus die ursprünglichen Kulturen der Aborigines die Welt sehen. Sie leben im Einklang mit der Natur und setzen in ihrer Rechtsprechung auf die Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts. Das geschieht durch das Erzählen der Wahrheit, dem „Truth speaking“, bei dem alle Beteiligten zu Wort kommen und nach Lösungen zur Aussöhnung gesucht wird. Die ist nicht leicht, und Dharrpa sagt traurig, dass aus Baywarra ein großer Lehrer hätte werden können, wenn ihn nicht die Wut erfasst hätte. Auch die junge Gulwirri (Esmerelda Marimowa) schwört auf die Wut. Sie rät Gutjuk dazu, wütend zu sein: „Die Wut ist alles, was wir haben." In einem ruhigeren Moment erzählt sie ihm, dass ihre Familie von Weißen getötet wurde und ihr Boss sie anschließend „seinen Männern gab“. Keine schaurigen Einzelheiten, aber Marimowas Spiel ist so intensiv, dass es einem schaudert und man versteht, dass sie mit den Aborigine-Männern unterwegs ist und auch tötet. Ihre Rolle ist nur klein, aber trotzdem von zentraler Bedeutung.

Unterm Strich geht es um Macht, Kontrolle und Spaltung. Travis lässt Gutjuk durch das Zielfernrohr seines Gewehrs schauen. Als Scharfschütze hat er gelernt, sich auf eine Anhöhe [= high ground] zu begeben, weil er von da aus alles im Blick und unter Kontrolle hat. Als Gutjuk das Gulwirri erzählt, sagt die nur, dass er wie ein Weißer denke. Deren Sicht ist im Verhältnis zum ganzheitlichen Weltbild der UreinwohnerInnen ziemlich eingeschränkt. Der Unterschied wird durch die freie Sicht des Falken im Gegensatz zur begrenzten Sicht durch das Fernrohr mehrfach verdeutlicht. - Gutjuk ist die erste Filmrolle des jungen Aborigine Jacob Junior Nayinggu, der zusammen mit Simon Baker den Film weitgehend trägt. Gutjuk ist zwischen den zwei Welten hin- und hergerissen, hatte aber auch das Glück, von der Missionarin Claire (Caren Pistorius) und ihrem Bruder, Pfarrer Braddock (Ryan Corr), in Liebe großgezogen zu werden. Im Prinzip sehen wir die Lage durch die relativ vorurteilsfreien Augen von Gutjuk, der durch die Weißen auch viel Gutes erfahren hat. Er trifft keine Entscheidung, ob er sich der Lebenswirklichkeit der Invasoren anschließt oder dem andersartigen High ground, der spirituellen höheren Warte der Aborigines. Letztendlich ist das auch schwierig, weil diese Welten parallel zueinander existieren und eine Rückkehr in den vorkolonialen Urzustand nicht mehr möglich ist. Es war auch die Zeit, deren Unruhen in den Zweiten Weltkrieg mündeten mit seinem ungeheuren Ausmaß an bis dahin noch nie erlebten Unmenschlichkeiten. Seit dem Massaker sind nun rund 100 Jahre vergangen und vieles hat sich geändert.

* *

Regisseur Johnson und Witiyana Marika, der die Rolle des Großvaters Dharrpa spielt, sind befreundet und politische Aktivisten für die Rechte der Aborigines. Marika ist auch Musiker, und so spielt und singt er im Film die traditionellen Gesänge selbst. High Ground soll für das Anliegen der UreinwohnerInnen sensibilisieren und lief auf der Berlinale 2020 noch erfolgreich. Durch die Schließung der Kinos konnte er nicht starten und kommt deswegen nur auf DVD/BD heraus. Das ist sehr schade, denn die Aufnahmen verlangen förmlich nach einer großen Leinwand. Wegen der Gewaltszenen wurde die Altersfreigabe auf 16 Jahre festgelegt. Der Vorteil des Digitalen liegt darin, dass man sich den Film mehrfach anschauen kann, was sich wegen der vielen Feinheiten und tiefen Gedanken lohnt. Ein kleiner Trost ist das Ende des Films, an dem eine Art höhere Gerechtigkeit stattfindet.



High Ground: Der Kopfgeldjäger Travis (Simon Baker) und der Aborigine Gutjuk (Jacob Junior Nayinggu) sind auf der Suche nach Gutjuks Onkel. | © Koch Films

Helga Fitzner - 9. Dezember 2020
ID 12642
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/de/archiv-auswahl/archiv-2020/programm/detail/202005255.html


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