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DVD-Kritik

Unsichtbares

Leben



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Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão ist ein modernes Melodrama des brasilianischen Filmregisseurs und bildenden Künstlers Karim Aïnouz, das von den erwachsenen Schwestern Eurídice (Carol Duarte) und Guida Gusmão (Julia Stockler) handelt, die im Jahr 1950 in Rio de Janeiro leben. Sie wohnen noch im Haushalt ihres Vaters Manoel (António Fonseca), der mit eiserner Hand regiert, aber der lebenslustigen Guida gelingt es gelegentlich, nachts heimlich das Haus zu verlassen, um tanzen zu gehen. Ihre zurückhaltendere Schwester Eurídice deckt sie dabei, obwohl sie sich große Sorgen macht. Die unerfahrene und naive Guida verliebt sich in einen griechischen Matrosen und will mit ihm nach Europa ziehen. Er hat ihr die Ehe versprochen, und Guida ist so verliebt, dass sie ihm alles glaubt. Die Schwestern hängen sehr aneinander, sind sie sich doch gegenseitig Trost und Unterstützung, so nehmen sie schweren Herzens Abschied voneinander.

Das Unglück nimmt seinen Lauf, und eines Tages steht Guida unverheiratet und hochschwanger wieder vor ihren Eltern. Der Vater verstößt sie und überlässt sie einem Schicksal in der Gosse und als Prostituierte, während die Mutter dazu schweigt. Guida wird im Glauben gelassen, dass ihre musikalisch begabte Schwester in der Musikhochschule Wien studiere, wovon sie immer geträumt hatte. Der Tochter Eurídice wiederum verschweigt der Vater Guidas Rückkehr, die ihr zwar ständig Briefe schreibt, die der Vater aber nie aushändigt. So leben die beiden Schwestern in der selben Stadt, wissen aber voneinander nicht und tragen ihr Leben lang eine unstillbare Sehnsucht nach der anderen in sich; das ist Leitmotiv des Films.

Eurídice wird an Antenor (Gregório Duvivier), einen Geschäftspartner des Vaters, verheiratet. Sie würde zwar lieber Musik studieren, willigt auf Druck aber in die Ehe ein. Ihren Hochzeitstag begeht sie mit gemischten Gefühlen, denn sie ist nicht richtig aufgeklärt und weiß von Männern noch nichts, nicht einmal, wie sie unbekleidet aussehen. Nach der Hochzeit überwältigt der angetrunkene Bräutigam sie und defloriert sie im Hochzeitskleid auf dem Badezimmerboden. - Aïnouz war es wichtig, sich von den prüden US-amerikanischen Melodramen und den seichten südamerikanischen Telenovelas abzusetzen. Zu seinen Vorbildern gehört Rainer Werner Fassbinder, und Aïnouz verzichtet auf Kitsch, Sentimentalität und Übertreibungen und lässt Raum für tiefe Gefühle und explizite physische Realitäten. Ist man als Zuschauer am Anfang noch empört über den Fatalismus der Mutter, muss man später – in einer weiteren gefühllosen Sexszene - Eurídices Kapitulation mit ansehen. Innerfilmisch gibt es keinen Aufschrei, nur Hoffnungslosigkeit. Vielleicht könnte man sich gegen einen einzelnen Ehemann erfolgreich auflehnen, nicht aber gegen ein ganzes chauvinistisches System.

Das Drehbuch schrieb Murilo Hauser nach dem Debütroman von Martha Batalha, der aus dem Brasilianischen übersetzt Das unsichtbare Leben der Eurídice Gusmão heißt. Regisseur Aïnouz ist von seiner Mutter und seinen Tanten groß gezogen worden und hat eben jenes unsichtbare Leben der Frauen in Brasilien mitbekommen. Dieses Leiden, das sich meist im Privaten abspielt und stumm verläuft, hat durch Batalhas Roman eine Stimme bekommen und durch den Film zwei starke Frauengesichter: Carol Duarte und Julia Stockler spielen sehr intensiv, nuancenreich und verletzbar. Beim Dreh hatten die Schauspieler und Schauspielerinnen die Freiheit, sich einbringen zu dürfen. Die Kamerafrau Hélène Louvart hat schon mit Wim Wenders, Alice Rohrwacher und Agnès Varda gearbeitet und fängt die Einblicke in das Seelenleben der Protagonistinnen wunderbar ein. Das Rio de Janeiro der 1950er Jahre, die üppige Natur, die Ausstattung, die Kostüme, die Filmmusik fügen sich zu einem filmischen Meisterwerk zusammen. Das zarte Gefühlsleben der Frauen wird durch die harsche Wirklichkeit gespiegelt und die Gefangenschaft und beinahe Rechtlosigkeit der Frauen in diesem System mit der Liebe der Schwestern zueinander kontrastiert.

*

Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão ist ein tieftrauriger und erschütternder Film, der mit immens starken Bildern arbeitet. So viel vertane Chancen, so viel vertanes Leben. Die Kritik am partriacharlischen System ist innerhalb der Geschichte verhalten, und ein kämpferischer feministischer Ansatz wäre hier eher unpassend. Antenor ist sich nicht richtig bewusst, was er seiner Frau antut, denn es ist zu dieser Zeit und in dieser Gesellschaft üblich, Frauen zu dominieren. Die Erbärmlichkeit dieser Macht- und Kontrollausübung wird dem Kinopublikum indirekt über die Gefühle der Frauen vermittelt, aber die männlichen Protagonisten sind blind für die Tapferkeit, die innere Stärke, die Begabungen und die Liebe der Schwestern. Doch sind genau das Qualitäten, die beide Geschlechter zu empfindenden Wesen und letztendlich zu Menschen machen.



Die Schwestern Eurídice (Carol Duarte) und Guida Gusmão (Julia Stockler) geben einander Halt und lieben sich sehr | © Piffl Medien

Helga Fitzner - 4. Mai 2020
ID 12214
Beim Filmfestival in Cannes gab es für Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão den Preis Un certain regard und viele andere internationale Würdigungen.

https://die-schwestern-gusmao.de/


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