Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

DVD-Kritik

3 x Orpheus



Bewertung:    



Manche Filme altern besser als andere. Es gibt eine ganze Reihe von Filmen aus den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die kaum Patina angelegt haben. Die Filme von Jean Cocteau, namentlich Orphée und Le Sang d’un poète (dt.: Das Blut eines Dichters), gelten als Unikate der Filmgeschichte. Als Dichter, Maler und Filmemacher entwickelte Cocteau eine ganz eigene Poetik, in der Fantastisches und Reales zusammenfließen.

Sieht man sich heute Cocteaus Orphée an, wirkt er erstaunlich veraltet. Am Schwarz-Weiß liegt das ebenso wenig wie an der weitgehend konventionellen Kamera. Eher schon dürften die steifen Dialoge und die Schauspielerführung dafür verantwortlich sein. Dabei liest sich die Besetzung von Orphée wie eine Enzyklopädie der zur Drehzeit beliebtesten französischen Topstars. Maria Casares, Jean Marais, Roger Blin, Marie Déa, François Périer, Juliette Gréco – man darf mit Fug und Recht von einem Traumensemble sprechen. Mit Georges Auric, der zur avantgardistischen Gruppe Les Six gehörte, hatte Cocteau auch einen der bedeutendsten Filmkomponisten an seiner Seite. Und dennoch: die Poesie der ins 20. Jahrhundert versetzten antiken Legende ist ebenso verblasst wie die Irritation durch ihre Imagination.

Zwei Jahrzehnte vor Orphée, kurz nach der Durchsetzung des Tonfilms, entstand Le Sang d’un poète. Verglichen mit Orphée wirkt er hochmodern. Le Sang d’un poète ist ein Meisterwerk des Surrealismus und steht in einer Reihe mit René Clairs Entr’acte, mit Luis Buñuels ein Jahr zuvor entstandenem Chien andalou und dem im selben Jahr gedrehten L'âge d'or und weist voraus auf Letztes Jahr in Marienbad von Alain Resnais. Nach einem logischen Ablauf sucht man hier vergebens, und den Zusammenhang mit der Orpheus-Sage kann man allenfalls erahnen.

1960, drei Jahre vor seinem Tod, wurde Le testament d'Orphée ou ne me demandez pas pourquoi, der letzte Teil der Trilogie, in der Cocteau selbst die Hauptrolle spielt, uraufgeführt. Er ist eine seltsame Mischung aus Erinnerung und Fantastik, aus Konvention und schlichtem Illusionismus, aus dichterischer Opulenz und Naivität, aus Zitaten und selbstreferentieller Distanz. Einmal mehr kann Cocteau nicht genug kriegen vom Effekt des rückwärts laufenden Films und der Doppelbelichtung, der so alt ist wie der Film selbst. Einigen Elementen von Cocteaus Filmen – etwa der Gleichzeitigkeit von Figuren verschiedener Epochen – begegnet man schon bei René Clair, wo sie entscheidend zur Komik beitragen. Diesen Aspekt aber schöpft Cocteau nicht aus.

Cocteau wurde, allerdings vor allem für sein Frühwerk, von den Regisseuren jener Jahre bewundert, aber nichts in seinem Testament deutet darauf hin, dass es zur gleichen Zeit entstanden ist wie Außer Atem; Schießen Sie auf den Pianisten oder Paris gehört uns. Es ist weit entfernt von der Respektlosigkeit der Nouvelle Vague, der Cocteau Das Testament des Orpheus gewidmet hat. Das Pathos, mit dem Cocteau, fast im Geist des 19. Jahrhunderts, den genialen Künstler und damit sich selbst feiert, passte schon damals nicht in die Kinolandschaft, auch nicht in die der aufgeschlossenen Besucher von Studios und Cinematheken, und es wirkt heute erst recht deplatziert. Cocteau ist, jedenfalls als Filmemacher, der Monolith geblieben, der er von Anfang an war. Und wie alle Einzelgänger hat er seine Fans, die dazu neigen, ihn zu überschätzen. Sie geben sich selbst damit als die wahren Experten zu erkennen. Wie hoch Cocteau von seinen Kollegen geachtet wurde, davon zeugen Cameos von Yul Brynner, Charles Aznavour, Françoise Sagan oder Picasso. Einige eingebaute Aphorismen und manche Formulierungen, die Cocteau für poetisch hält, sind – sprechen wir es aus – einfach nur prätentiös. Wie sagt Jean Cocteau? „Ein halbleeres Glas Wein ist zugleich ein halbvolles, aber eine halbe Lüge mitnichten eine halbe Wahrheit.“

In einer Einstellung färben sich das Blut des getöteten Poeten und seine Hibiskusblüte rot wie die Fahne in Panzerkreuzer Potemkin. Ein bemerkenswerter Unterschied in der Bedeutung.
Thomas Rothschild – 17. Dezember 2021
ID 13362
DVD-Link zur Orpheus-Trilogie von Jean Cocteau


Post an Dr. Thomas Rothschild

DVD

ROTHSCHILDS KOLUMNEN



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)