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Filmkritik

Mythos als

Möglichkeit



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So kann man Kunst sonst nirgends zu sehen bekommen. Wim Wenders hat sich mit seinem 3D-Film Anselm – Das Rauschen der Zeit einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart gewidmet: Anselm Kiefer. Es ist zumindest partiell ein Dokumentarfilm, lässt sich vom Genre her aber genau so schwer einordnen wie sein Sujet. Es gibt keinen Off-Kommentar, aber eine Flut aus Bildern und Musik, die das Publikum nach und nach in die immer mythischer werdende Kunst Kiefers hineinzieht. Historisches Filmmaterial vermischt sich mit aktuellem, Kiefers Sohn Daniel spielt ihn als Anselm in mittleren Jahren und Wim Wenders Großneffe Anton Wenders den Künstler als Knaben. Die Aufnahmen seiner Skulpturen inmitten verschiedener Landschaften und in seinen riesigen Ateliers sind einfach sensationell. So nah und plastisch kommt man sonst nicht an seine Werke heran. Wim Wenders hat einen hehren Anspruch:


„Für Anselm haben wir die erstaunlichsten Kunstwerke, Leinwände, Skulpturen, Zeichnungen, Gebäude und Landschaften gefilmt. Das gehört zum Dokumentarfilm dazu. Aber wir haben auch Szenen aus der Kindheit des Künstlers erfunden und sind tief in seine Geschichte eingetaucht. Dadurch lassen wir oft die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Diese Freiheit haben wir uns herausgenommen, denn wenn man mit Kunst konfrontiert ist, muss man sich selber frei machen, sonst wird man nicht Teil der Transzendenz, die sich vor den eigenen Augen abspielt. Der Film entwickelte sich ganz intuitiv und viele Szenen entstanden völlig spontan.“


Die Drehorte sind Kiefers Ateliers im französischen Croissy, im Odenwald und in Barjac in Südfrankreich, das sind riesige Bauten, die seine oft überdimensional großen Werke beherbergen und wo er an neuen arbeitet. Er fährt sogar Fahrrad im Atelier, weil es so weitläufig ist, und es ist auch sehr hoch, denn in Aufnahmen aus luftiger Höhe wirkt Kiefer winzig klein neben seinen Leinwänden. Um diese bearbeiten zu können, benötigt er eine mobile Hebebühne, mit der er mehrere Meter hoch fahren kann. - Die Autoren Paul Celan und Ingeborg Bachmann haben ihn beeindruckt, und von ihnen hat er sich zu Kunstwerken inspirieren lassen, weshalb auch aus deren Schriften zitiert wird.

Anselm Kiefer wurde 1945 kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, sozusagen in die Trümmer hinein, den realen wie den metaphorischen durch den verlorenen Krieg. Damit ist er ein Zeitgenosse von Wim Wenders, ebenfalls Jahrgang 1945, der sich als Erwachsener in regem Austausch mit Kiefer befand, bis dieser nach Frankreich umzog. Kiefers Werk ist komplex und hat eine absichtliche Schwere, weil er mit seiner Kunst versucht sich der Kriegsvergangenheit zu stellen. Farbe gibt es kaum, selbst Sonnenblumen sind schwarz. Ein paar Motive tauchen immer wieder auf, darunter riesige Bücher, die partiell aus Blei bestehen, oder ganze Bibliotheken.

Im Film erleben wir ihn, wie er schwarze Farbe auf eine Leinwand schlägt, er traktiert sie mit einem Flammenwerfer, Wasser und flüssigem Blei. Viele Bilder sind mehrdimensional, weil er verschiedene Materialien in mehreren Schichten aufträgt. Da ist Asche dabei, angekokeltes Holz, Stroh, Sand, Ton und Stoffteile. Manchmal sind seine Bilder auch konkret, wie diejenigen, auf denen er mit Hitlergruß zu sehen ist. Das war ein riesiger Skandal Ende der 1960er Jahre, denn die deutsche Vergangenheit wurde massiv verschwiegen und verdrängt, was schließlich die Studentenrevolte verursachte. Kiefer hat dies zu einem zentralen Thema seines Schaffens gemacht. In Deutschland war er in dieser Zeit sehr umstritten, aber da er im Ausland gefeiert wurde, namentlich in den USA, konnte man auch in der Heimat nicht umhin, ihn in seiner Bedeutung anzuerkennen. Er erzählt im Film, dass er „immer auf dem Weg“ sei, und ist mit seinen nunmehr 78 Jahren immer noch aktiv.

Im Lauf seines Schaffens bedient er sich verstärkt verschiedener Mythen, es kommen Engel in seinen Arbeiten vor, die für ein Quäntchen Hoffnung sorgen. Kiefer erklärt: „Der Mythos ist eine Möglichkeit Geschichte zu begreifen auf eine andere als eine rationale Art.“ - Wim Wenders versucht, durch Spielszenen und den Einsatz von Dokumentarmaterial sich möglichen Interpretationen anzunähern. Die fragilen an Türme erinnernden Skulpturen [s. Plakatmotiv o. re.] montiert er mit Aufnahmen aus dem zerbombten Berlin nach dem Krieg. Einige der Ruinen ragen genau so instabil heraus wie die Skulpturen. Aber nichts ist definitiv, wie auch die Bilder, die mehrere Schichten aufweisen. Doch so nah ist vermutlich noch niemand der Person und dem Schaffen Kiefers gekommen, auch wenn beide sich einfacher Deutung entziehen. Der Einfluss der Kriegsvergangenheit auf diese Generation ist anhaltend und noch nicht erlöst. Ob Kiefers Kunst es schafft diese Erlösung herbeizuführen, hängt wohl vom einzelnen Betrachter ab. Am Schluss trägt Kiefer den kleinen Anton als sein kindliches Selbst auf den Schultern, möglicherweise symbolisch für die Last, aber auch die Verantwortung, die er auf sich genommen hat. Wim Wenders sagt über seine Absicht:


„Was wünsche ich mir für das Publikum von Anselm? Dass es Kategorien, Haltungen und alle vorgefertigten Meinungen darüber, was Kunst sein oder erreichen kann, hinter sich lässt und so ohne 'Vor-Bild' oder 'Vor-Urteil' die unglaubliche Vielfalt dieses deutschen Romantikers, Dichters, Denkers und Visionärs Anselm Kiefer in sich aufnehmen kann.“/i> (Wim Wenders)



Anselm Kiefer setzt seine Kunstwerke den Elementen aus | (C) Road Movie

Helga Fitzner - 12. Oktober 2023
ID 14427
Weitere Infos siehe auch: https://dcmstories.com/movie/anselm/


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