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Essay


Das Leben, ein Tanz


Frances Ha ist ein postmoderner Coming-of-Age Film, ein bisschen, als hätte man den Fänger im Roggen ins New York des 21. Jahrhunderts verfrachtet. Er erzählt die Geschichte von Frances, einem Mädchen aus der Provinz, das versucht, sich eine Karriere als Tänzerin in der Großstadt aufzubauen. Der Tanz dient als Metapher für das Erwachsenwerden der Protagonistin. Vom unbeholfenen Stolpern, der scheinbar zufälligen Aneinanderreihung zahlloser unsicherer, mit vielen Stürzen verbundener Schritte entsteht langsam eine weniger willkürliche Schrittfolge, die am Ende einer beschwerlichen Reise in einer raffinierten Choreographie aufgeht.



Greta Gerwig und Mickey Sumner in Frances Ha - Foto © MFA Filmdistribution



Das Grundprinzip von Komik ist das Lachen über die Missgeschicke anderer; die Schadenfreude kaschiert dabei meist die Erleichterung, mit seiner eigenen Unvollkommenheit nicht allein zu sein. Vielleicht ist das Leben auch nichts Anderes als eine Aneinanderreihung komischer, manchmal schmerzhafter und, in seltenen Fällen, durch Schönheit bestechender Momente. Frances Ha gibt all diese Nuancen wieder. Die Komik überwiegt dabei. Zahlreiche Details lassen an ein Remake eines Charlie-Chaplin-Klassikers denken: Frances Ha ist durchweg in Schwarzweiß gehalten; Frances' komische Posen werden durch leichtfüßig daherkommende Klaviermelodien untermalt. Ihre häufigen Missgeschicke lassen die Protagonistin sympathisch, ja menschlich erscheinen, denn Frances kann über sich selbst lachen. Ihr Leben gleicht einem Potpourri an Unfertigkeiten. Der Titel des Films drückt dies bildlich aus – „Frances Ha“ ist die Abkürzung von Frances Halladay – da ihr Nachname für ein Briefkastenschild zu lang ist, kürzt sie ihn einfach auf die beiden Anfangsbuchstaben ab. Ähnlich unbeholfen (und daher umso rührender) mutet Frances' Versuch an, einen Freund zum Essen einzuladen, nachdem sie endlich ihre langersehnte Gage erhalten hat. Beim Bezahlen stellt sich heraus, dass doch nicht genug Geld auf ihrem Konto vorhanden ist; auf ihrer Odyssee durch das nächtliche New York, in der Hoffnung, einen Geldautomaten zu finden, stürzt sie, schürft sich das Bein auf und kommt blutend, außer Atem und peinlich berührt schließlich wieder im Restaurant an. Wie im „echten“ Leben. Fehlt nur der plötzlich einsetzende Regen.

So unstet wie die Eingänge auf ihrem Bankkonto sind Frances' Wohnorte – ihre Adresse ändert sich alle paar Wochen. Die Reise beginnt in Brooklyn, wo sie sich mit ihrer besten Freundin Sophie ein Appartement teilt, führt über eine Künstler-WG mit zwei Jungs in China Town über Uptown (hier wird sie auf dem Sofa einer Tanz-Kollegin geduldet) und das New Yorker Hinterland (wo sie einen Sommer über als Mentorin auf ihrem alten Campus gegen freie Kost und Logis arbeitet) bis nach Brooklyn zurück, wo sie sich am Ende des Films endlich eine eigene Wohnung, und damit ein Stück Unabhängigkeit, leisten kann.



Adam Driver und Greta Gerwig in Frances Ha - Foto © MFA Filmdistribution



Frances Ha gewährt einen realistischen Einblick in die prekäre Lebenswelt von der Mittelschicht entstammenden Endzwanzigern im 2.0-Zeitalter, die sich alle mit dem gleichen Virus infiziert haben – dem der Einsamkeit. So changiert auch Frances (wie alle ihre Freunde) ständig zwischen zwei Polen – sie ist zerrissen zwischen dem Bedürfnis nach Nähe (wovon die quasi symbiotische Beziehung zu ihrer Freundin Sophie zeugt, „We are the same person but with different hair“) und der Unfähigkeit, Nähe zuzulassen. Den Wunsch ihres Freundes, mit ihr zusammenzuziehen, quittiert sie postwendend mit Trennung. Als ihr neuer Mitbewohner Dan, mit dem sie, teils aus Sympathie, teils aus Geldmangel, schon recht bald auf dem WG-Sofa ihre gesamte Freizeit verbringt, versucht, sie in einem Moment der Vertrautheit zu berühren, schneidet sie eine Grimasse und reagiert mit einer grotesken Tanzfigur. Die per Whatsapp erfolgte Kontaktaufnahme eines Verehrers beantwortet sie mit einer schnippischen, sexuell anzüglichen Bemerkung.

Regisseur Baumbach thematisiert Sex durchaus offen. Der in Frances Ha dargestellte/erzählte Sex hat jedoch jegliche Magie eingebüßt – und von Leidenschaft kann erst recht keine Rede sein. Auch beim Vollzug des Akts der Symbiose par excellence scheitern die Protagonisten daran, Nähe zuzulassen. Der Geschlechtsakt als solcher reicht nicht mehr aus, um den Höhepunkt zu erreichen; stattdessen bedarf es anderer, weniger persönlicher Praktiken, um sexuelle Erfüllung zu erlangen.

Unzufrieden sind dabei alle in ihren emotionalen Glashäusern. Frances' Exfreund lässt sich die „Setkarten“ von Katzen kommen, die er zu neuen Mitbewohnern machen will (man denke an den in Tokyo geborenen, nun auch nach Europa kommenden Trend von Katzencafés, wo der vereinsamte Großstadtmensch für ein paar Euro - alles ist käuflich – zusammen mit seinem Latte Macchiato Decaf Double auch ein wenig Nähe konsumieren kann; die Katzen gehören dabei zum Inventar wie die Ohrensessel bei Starbucks). Der immense Druck der scheinbar zu einem Religionsersatz gewordenen Selbstverwirklichung (quasi das Opium der 2.0-er) hat eine Generation neurotischer, autistoider und depressiver Großstadtnomaden geschaffen; sie als Weiterentwicklung des Woody-Allen-Typus zu beschreiben, wäre schlichtweg untertrieben. Alle in Frances Ha porträtierten Charaktere sind „undateable“ (wie es Frances' Mitbewohner nennt) – zu schrullig, zu kantig, zu fordernd, schlichtweg anstrengend und daher nicht der Mühe wert. Doch vielleicht hat auch der Kampf der ewigen Selbstbehauptung zur Folge, dass die Kraft fehlt, in menschliche Beziehungen zu investieren, zumal in Menschen, die ja sowieso nur auf Durchreise sind.



Szenenfoto aus dem Spielfilm Frances Ha - Foto © RT Features



Frances Ha ist entgegen seiner Fotografie alles andere als ein Schwarzweißfilm. Er zeigt auf eindrucksvoll realistische Weise, dass Erwachsenwerden heißt, Kompromisse einzugehen und mit Ambiguitäten leben zu können. Vielleicht lässt sich das Leben ja auch mit den Gemälden der Pointilisten vergleichen - klebt das stets analytisch operierende Auge direkt vor der Leinwand, sieht es nichts als unfassbar viele Punkte; erst mit einem gewissen Abstand fügen sich die vielen Kleckser zu einem harmonischen Ganzen – und Frances Ha' komische Hopser verschmelzen in der Schlussszene auf wundersame Weise zu einem eleganten Tanz.


Lea Wagner - 19. August 2013
ID 7067
Weitere Infos siehe auch: http://www.franceshamovie.com/


Siehe auch Nett, aber nerdig von Max-Peter Heyne!

Post an Lea Wagner



 

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