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Rezension


„Sommer in Orange“ (Deutschland 2010), Regie: Marcus H. Rosenmüller


Starttermin: 18. August 2011

Im Sommer 1980 sehen die Bewohner des bayrischen Dorfes Talbichl nicht nur rot, sondern erst einmal orange. Ein langhaariger, bärtiger Typ, der orangefarbene Kleidung trägt, hat dort einen Bauernhof geerbt und ist mit seiner Berliner Kommune von ebenfalls orange tragenden, dubiosen Gestalten nach Talbichl gezogen. Der Erbe trägt den fremdländischen Namen Siddharta (Georg Friedrich), seine – derzeitige – Freundin heißt Amrita (Petra Schmidt-Schaller) und da sind auch noch Kinder mit im Spiel, die aber kaum von Siddharta sind. Die Invasoren stoßen der katholischen Dorfgemeinschaft gewaltig auf, zudem sie auch wüste Rituale feiern und halb-nackert auf der Wiese herumtanzen. Sie verehren einen indischen Guru namens Bhagwan, umarmen Bäume und essen kein Fleisch. Und das mit der freien Liebe, die sie praktizieren, das geht gleich gar nicht im sauberen Talbichl. Hier prallen Welten aufeinander und entfalten ein komisches Potential, das mit Humor und Charme umgesetzt ist, wenn Siddharta, zum Beispiel, heimlich Würstchen kaufen geht oder der Postbote sich in eine von denen Fremden verliebt. Sommer in Orange hat das Zeug, sich zum deutschen Sommerfilm 2011 zu entwickeln.


Siddharta (Georg Friedrich) beim Metzger. Die Dorfbewohner sind verunsichert © Majestic Filmverleih

Dem Regisseur Marcus H. Rosenmüller hat das Drehbuch sofort zugesagt. Zum einen wird die Geschichte aus der Sicht eines Kindes, der zwölfjährigen Lili (Amber Bongard), erzählt, wie auch Rosenmüllers Erfolgsfilm Wer früher stirbt, ist länger tot (2006) aus der Perspektive eines Heranwachsenden geschildert wird. Der bekennende Bayer Rosenmüller mochte das Drehbuch auch, weil es im ihm vertrauten bayrischen Umfeld spielt und wegen der Konfliktkonstellation: „Für mich lag der Reiz in dieser Geschichte darin zu beschreiben, wie dieses wilde, dieses andere Leben nach Bayern kommt und die Regeln sprengt. Mich interessieren Situationen, in denen Menschen etwas Fremdes begegnet, auf das sie erst einmal mit einer ganz natürlichen Abwehr reagieren, aber auch, welche Ängste entstehen, wenn man selbst irgendwo neu ist und auffällt. Mich reizt dieses Grundproblem, das jeder Integration zugrunde liegt.“

Die kleine Lili und ihr jüngerer Bruder Fabian (Béla Baumann) werden in der Schule ausgegrenzt. Sie tragen auffälliges Orange, essen kein Fleisch, können das morgendliche „Vater unser“ nicht beten. Ihre Erklärungen und Integrationsversuche scheitern kläglich. Lili wünscht sich sehnlichst, dazu zu gehören, also führt sie ein Doppelleben. Zu Hause gibt sie sich, wie gewohnt, in der Schule trägt sie normale Kleidung, Zöpfe und lernt ganz schnell das „Vater unser“. Lili und Fabian versuchen, in einen Verein aufgenommen zu werden, weil sie nur so etwas zur bevorstehenden 350-Jahr-Feier des Dorfes beitragen können. Das geht nicht ohne Verein, lernen sie. Aber keiner will sie haben. Lilis Mutter Amrita hat kein offenes Ohr für ihre Kinder. Sie ist so mit der Sinnsuche beschäftigt, dass sie den Sinn fürs Muttersein irgendwie verloren hat. Sie fährt ohne ihre Kinder auf einen Workshop und lernt dort einen Workshopleiter kennen, der als Bhagwans rechte Hand bezeichnet wird. Er kennt den Guru persönlich. Dieser Prem Bramana (Thomas Loibl) beginnt ein Verhältnis mit Amrita und es entsteht viel Wirbel, als er den Talbichlern Sannyasins (sanskrit für Wahrheitssucher) den „Stein der Erleuchtung“ schenkt, der direkt aus Bhagwans Ashram in Poona stammen soll. Damit können sie eine „heilige“ Verbindung zum Guru herstellen. Bhagwan plant, ein spirituelles Zentrum in den USA zu errichten, wohin seine rechte Hand Prem Amrita mitnehmen will. Da wäre aber kein Platz für Kinder...


Die gemeinsam verbrachte Zeit ist selten geworden, Amrita (Petra Schmidt-Schaller) mit ihren Kindern Fabian (Béla Baumann) und Lili (Amber Bongard) © Majestic Filmverleih

Das Drehbuch basiert auf Erfahrungen, die die Drehbuchautorin Ursula Gruber und ihr Bruder, der Produzent Georg Gruber, als Kinder einer Sannyasin gemacht haben: „Ich wünschte mir nichts sehnlicher als Freunde im Dorf, eine normale Familie und nicht so viele Freaks um mich herum. Heute bin ich so alt wie meine Mutter damals. Es hat lange gedauert, bis ich die Dinge von damals mit etwas Abstand und mehr Verständnis betrachten kann. ‚Sommer in Orange’ ist meine persönliche Auseinandersetzung und ‚Versöhnung’ mit unserem Heranwachsen im Chaos“.

Der Aufstieg des indischen Gurus Bhagwan (1931 – 1990) in der westlichen Welt war keine Überraschung, denn er hatte die fernöstlichen Lehren der westlichen Gesellschaft angepasst und damit finanzkräftige Anhänger angezogen. Waren die Meditationstechniken, Yogaübungen und die Psychotherapie-Workshops damals noch exotisch, so haben sie heute zum großen Teil Anerkennung erfahren. Weltweit gibt es 300 Meditations- und Informationszentren in 45 Ländern. Sein Ashram in Poona, heute Pune, zählt jährlich um die 200.000 Besucher. 1989, ein Jahr vor seinem Tod, nannte Bhagwan sich in Osho um. Unter diesem Namen werden heute noch erfolgreich seine Schriften vermarktet. Die Namensänderung erleichterte sicher die Verabschiedung von ein paar unschönen Begleiterscheinungen, die die Organisation erschütterten. Bhagwan und sein innerer Kern sollen sich bereichert und die Anhänger ausgebeutet haben, als sie in der Wüste von Oregon eine Ranch anlegten, die sie Rajneeshpuram nannten, die Stadt der neuen Menschen.

Die Zeit war geprägt von Extremen. Durch den Vietnam-Krieg (ca. 1965 bis 1975) , den Besuch der Beatles beim indischen Guru Maharishi in den 1960-er Jahren hatte sich der Blick der Welt auf Fernost gerichtet. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West war ungelöst. 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. Im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses, der die Stationierung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern in Westdeutschland vorsah, blühte die Friedensbewegung wieder auf. 1980 wurde die Partei „Die Grünen“ gegründet, die versuchte, auf politischer Ebene Änderungen herbeizuführen. Und viele Menschen entschlossen sich, bei sich selbst anzufangen. Sie wollten sich von Ego-gesteuerten Verhaltensweisen und starken Anhaftungen befreien, die am Ende für Gewalt und Krieg verantwortlich sind. In einer sehr bewegenden Szene des Films entschuldigt sich Amrita bei ihrer Tochter für die Vernachlässigung: „Ich habe noch so viel loszulassen“.


Helga Fitzner, 22. August 2011
ID 5341

Weitere Infos siehe auch: http://www.sommerinorange.de/





 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

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EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

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Gesehen von Bobby King

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