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Dokumentarfilm

Der Garten

als Musikstudio



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Als einige der legendärsten Reggae-Musiker sich wiedervereinten, um mit jüngeren Vertretern der Gattung ein Album aufzunehmen, befand der britische Filmemacher Peter Webber, dass man dieses Ereignis in Form eines Dokumentarfilms festhalten müsse. Die vier Reggae-Veteranen befinden sich bereits in ihrem siebten Lebensjahrzehnt, und nun können wir die Ikonen des Roots-Reggae noch einmal in ihrem Element erleben: Cedric Myton, Winston McAnuff, Kiddus I und Ken Boothe. Sie haben in den 1970er Jahren in der wegweisenden Band The Congos gespielt, als der Reggae seinen Siegeszug um die Welt angetreten hatte und standen mit Jimmy Cliff, Peter Tosh und Bob Marley auf der Bühne. Nun treffen sie sich im Haus des Gitarristen Earl Chinna Smith in den Hängen über Kingston, Jamaica, mit einem Dutzend weiterer Musiker, um die CD Inna de Yard – The Soul of Jamaica aufzunehmen. So heißt auch der Film, der die Musikaufnahmen im Garten dokumentiert, was im heimischen Dialekt „Inna de Yard“ heißt.

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Der Garten ist der traditionelle Entstehungsort der Musik, weil man sich dort aufhält und gemeinsam musiziert. Inna de Yard ist aber mehr als ein Musikfilm, denn es wird auf die Biografien der Protagonisten eingegangen, die in einer Umgebung leben, in der Gewalt und vorzeitiger Tod keine Seltenheit sind. Als Anhänger der Rastafari-Religion wurden sie entweder als Spinner eingestuft oder als Gefahr betrachtet, weil sie sich dem System entzogen. Sie essen kein Fleisch, trinken keinen Alkohol, sind enthaltsam und widersetzen sich damit der kapitalistischen Ordnung. Sie konsumieren regelmäßig Ganja, auch als Cannabis bekannt, um ihre spirituelle Aufnahmefähigkeit zu erhöhen, was sie den Ordnungshütern erst recht suspekt macht.

All diese Erfahrungen fließen in den Reggae mit ein, der nicht nur ihr Lebensgefühl widerspiegelt, sondern aus ihrem Dasein heraus entstanden ist. Das hat etwas Ganzheitliches. Roots-Reggae entwickelte sich aus Ska, Rocksteady sowie Bluebeat und steht mit der Unabhängigkeit der Insel von Großbritannien 1962 in Zusammenhang, weil eine eigene, jamaikanische Musikrichtung geschaffen werden sollte. 2018 wurde der Reggae von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt.



Vier Altmeister des Reggae, Cedric Myton, Winston McAnnuff, Ken Boothe und Kiddus I © Borsalino Productions


Cedric Myton hat mit seinen hellen Dreadlocks und seiner Falsett-Stimme wohl den größten Wiedererkennungswert. Sein Hit Row Fisherman Row ist heute noch genauso mitreißend wie damals. Cedric lebt in einem Bootshaus, das er seit Jahren einrichtet. Kommerziell waren die meisten von ihnen nicht ausgerichtet, obwohl sie bei entsprechender Neigung durchaus zu Geld hätten kommen können. Sie wurden allerdings auch gedeckelt, weil man keine Konkurrenz für Bob Marley wollte. Winston McAnuff leidet immer noch unter dem Verlust seines Sohnes, der ebenfalls Musiker war und 2012 niedergestochen wurde. Es hat etwas gedauert, aber 2017 bekam er einen ordentlichen Grabstein. Ken Boothe ist der Einzige, der es zu etwas Wohlstand gebracht hat. Er gilt als goldene Stimme des Reggae und schrieb mit dem Album Mr. Rocksteady (1967) und dem Hit Everything I Own (1974) Reggae-Geschichte.

Kiddus I ist ein überzeugter Rastafari, hat 1971 sogar ein Rastafari-Zentrum gegründet. Für ihn ist die spirituelle Dimension wichtig, in der es um Liebe und Frieden geht. In den Songs geht es auch um Widerstand; vom Bürgerrechtler Malcolm X handeln die Texte, von Messerstechereien und hungernden Kindern. Trotzdem ist die Botschaft des Roots-Reggae eine positive, während im heutigen Dancehall-Reggae verächtliche und diskriminierende Aussagen vorkommen, was im diametralen Gegensatz zur Rastafari-Religion steht.

Der Film enthält viele dokumentarische Aufnahmen und lässt die gute alte Gründerzeit auferstehen, doch der Roots-Reggae ist längst nicht überholt, und es gibt sogar Frauen, die diese Tradition fortführen wie die Pionierin Judy Mowatt und die junge Sängerin Jah 9, die sowohl das politische wie auch das spirituelle Erbe der Rastafari weiterträgt. Der junge Musiker Var ist mit von der Partie und der Anführer der jungen jamaikanischen Generation, die zur akustischen und organischen Musik zurückkehren will. Der Regisseur Peter Webber schrieb dazu: „Die Aufnahmesessions [...] stehen im Mittelpunkt eines Films, der sich mit der Kultur, Identität und Geschichte Jamaikas, eines faszinierenden und magischen Landes auseinandersetzt.“ Der Film ist eine handwerklich gut gemachte Dokumentation, die nicht nur für Musikfans von Interesse ist. Im März 2019 waren Winston McAndruff, Cedric Myton und Kiddus I auf Promotion-Tour in Deutschland. Dort gaben sie Kostproben ihres Könnens und das Publikum konnte drei aufrechte und begnadete Künstler erleben, deren Leben und Persönlichkeit untrennbar mit ihrer Musik verbunden ist.
Helga Fitzner - 20. Juni 2019
ID 11518
Weitere Infos siehe auch: https://www.mfa-film.de/kino/id/inna-de-yard-the-soul-of-jamaica/


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