Freiheit zu
einem hohen
Preis
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Bewertung:
Die Filmemacher mussten auf ihrer Drehortsuche in Argentinien einige Strapazen auf sich nehmen und sogar einen Teil der Strecke auf dem Pferderücken zurücklegen, um zu einer abgelegenen Gemeinschaft zu gelangen, in der noch die traditionelle Viehhaltung der Gauchos betrieben wird. Die US-Amerikaner Michael Dweck & Gregory Kershaw haben sich auf die Dokumention alter Traditionen spezialisiert und illustrieren in ihrem Film Gaucho Gaucho erneut eine solche, die sich abseits der modernen Welt abspielt und gefährdet ist. Die Wiederholung des Wortes haben sie öfter gehört. Es sind keine Gauchos, die in entsprechendem Kostüm an Rodeos teilnehmen, sondern Gaucho Gauchos sind echte, die auch die Lebensart angenommen haben. Angesichts des zunehmenden Wassermangels und der harschen klimatischen Bedingungen ist dieses Leben ein herausforderndes und physisch anstrengendes. Doch sie nehmen es auf sich, um ihre Selbstbestimmung und ihre Verbindung zur verehrten Pachamama, ihrer Mutter Erde, zu bewahren.
Ihr Leben mag vergleichbar sein mit dem der nordamerikanischen Cowboys aus der Zeit des Wilden Westens, aber Dweck hebt hervor, dass es bei diesen um Herrschaft und Eroberung ging:
„Was wir (aber) erfahren haben sind Gaucho-Gemeinschaften, die in Harmonie mit dem Land leben und europäische Einflüsse und Kulturen miteinander verbinden.“
Das Filmemacher-Duo zeigt die enge Verbindung der Gauchos mit ihren Tieren. Sie kennen ihre Tiere genau und merken, wenn eine Kuh verloren gegangen ist, die sie dann suchen. Als eine Kuh stirbt, nehmen sie ihre Hüte ab und stehen trauernd um sie herum. Sie werden das Kalb per Hand großziehen, obwohl das ein großer Aufwand ist, aber sie lassen es nicht einfach sterben. Die Kälber werden vom Kondor bedroht, der sich in Gemeinschaft über die neugeborenen und sogar ältere Kälber hermacht. In einer Szene stehen kleine Kälber dicht gedrängt um einen Hirten herum, der mit kritischem Blick in den Himmel schaut, in dem rund ein Dutzend Kondore kreisen. Die indigenen Gauchos erdulden, dass der Kondor u.a. durch ihre Kälber erhalten bleibt, weil auch er einen großen Teil seiner natürlichen Nahrungsgrundlage verloren hat. Er gilt bei vielen Andenvölkern als heiliges Tier und ist als Geier normalerweise Aasfresser und damit eine Art Naturschützer.
Einer der Protagonisten ist Lelo, ein älterer Gaucho, der aus seinem Leben erzählt. Er hat als junger Mann seiner Mutter viel Kummer bereitet, weil er zwischendurch ein paar Jahre weg war und sie nicht wusste, wo er war. Einen Teil der Zeit hat im Gefängnis verbracht. Der Wein war schuld, sagt er, den er nach wie vor sehr gerne trinkt. Er bereut in seinem Leben nichts. Irgendwann muss er in die Gemeinschaft zurückgekehrt sein, wo er eine Familie gründete. Es wird nicht gesagt, aber die Erfahrungen mit der modernen Welt mögen dazu beigetragen haben, dass er jetzt ein Vertreter der alten Gaucho-Tradition ist. So berät er sich mit einem katholischen Priester, konsultiert aber auch einen Schamanen wegen seiner Altersbeschwerden. - Einige der aktiven Gauchos machen eine indigene Zeremonie, mit der sie um Regen bitten. Sie opfern Pachamama etwas Wasser, Coca-Blätter und sogar etwas Wein. Danach beten sie mit gleicher Andacht das Ave Maria. Dweck überlegt, ob diese Art der Integration insgesamt eine Möglichkeit wäre, alte Traditionen vor dem völligen Untergang zu bewahren.
Dweck und Kershaw haben auf Interviews verzichtet. Die Kamera beobachtet die Gauchos bei gestellten Dialogen über die Tradition und bei Erwachsenen, die ihren Kindern die nötigen Fertigkeiten beibringen. Da ist Solano, der sein Wissen an seinen fünfjährigen Sohn Jony weitergibt, dem er Messerschleifen, Zaumzeugflechten und das Überleben im Freien beibringt. Wir sehen ihn aber auch beim Einkauf von Schulmaterial für die anstehende Einschulung. Die moderne Welt ist also nicht abwesend. - Eine zentrale Figur ist Guadalupe, ein weiblicher Gaucho, die auf dem Plakat zu sehen ist. Sie wird von ihrem Vater Taty unterwiesen. Gauchas sind eher selten und eine neuere Zeiterscheinung. Die Filmcrew begleitet die Siebzehnjährige bei ihren ersten Zähmungen.
Santino ist ein Tausendsassa, doch die Frage, als was er einmal erinnert werden will, versteht er nicht. Er arbeitet als Zeitungsbote, als Radiomoderator, Ansager bei den rodeo-ähnlichen Zähmungen, als Sänger, Tänzer und Musiker. Er will nur als Santino erinnert werden, denn es sind mehrere Aspekte, die ihn ausmachen. Die Gauchos wissen zu feiern und singen und tanzen hervorragend. Alle machen mit. Als dann der ersehnte Regen kommt, bearbeiten die Männer danach sofort ihre Felder, während die Frauen zu Hause ein Festessen vorbereiten. Dweck resümiert:
„Trotz der Herausforderungen, vor denen diese Gemeinschaften stehen, fanden wir eine immense Freude hier – Sie leben Leben in einer Reichhaltigkeit und Fülle, die in der heutigen Welt selten geworden sind. Mit der Zeit kristallisierte sich für uns das Thema Freiheit heraus. Es war der rote Faden, der all ihre Leben und all ihre Geschichten miteinander verband.“
Dweck & Kershaw haben sich stilisierter Aufnahmen bedient. In Schwarz-Weiß-Bildern lassen sie uns am Lebensgefühl der Gauchos teilhaben. Bei etlichen Kamerafahrten in der Pampa, bei denen sie z.B. galoppierende Pferde filmten, ging so mancher Reifen zu Bruch, und die Trucks blieben liegen. Doch das Ergebnis hat sich gelohnt, so nahe kommt man den Gauchos sonst nicht. Sie reiten in Zeitlupe durch die Pampa zu den Klängen von "Au fond du temple saint" aus Georges Bizets Oper Die Perlenfischer. Musikalisch entstand eine Mischung aus Klassik, Pop und traditionellen Gesängen. Auch wenn die Dialoge inszeniert sind und von Laien dargestellt werden, haben sie doch etwas Authentisches. Die Indigenen verstellen sich nämlich nicht. Wie lange sie sich dem Fortschritt entziehen können, ist ungewiss, und in knapp anderthalb Stunden kann man ihr Leben nur grob zeichnen, aber ein Teil ihrer Kultur wurde nun festgehalten.
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Lelo (re.) und die Gaucho-Gemeinschaft wissen zu feiern | © Rapid Eye Movie
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Der Film wurde 2024 auf dem Sundance-Filmfestival gezeigt und für den Ton ausgezeichnet. Danach folgten einige weitere internationale Nominierungen und Preise.
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Helga Fitzner - 10. September 2025 ID 15453
https://rapideyemovies.de/gaucho-gaucho/
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