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27. Filmfestival Cottbus | 7. - 12. November 2017

3 Beiträge

zur nationalen

Vergangenheits-

aufarbeitung




Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist immer wieder Thema vieler Filme auf dem Cottbuser Festival des osteuropäischen Films. So auch in diesem Jahr, das an Jubiläen nicht arm ist. Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland gab es z.B. die deutsche Animations-Doku 1917 - Der wahre Oktober und einen georgischen Spielfilm über die letzten Tage des bis heute umstrittenen ersten, demokratisch gewählten Präsidenten Zviad Gamsakhurdia zu sehen...

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Khibula / Vor dem Frühling von George Ovashvili lief im offiziellen Wettbewerb. Der georgische Regisseur konnte bereits 2015 mit seinem poetisch stillen Filmdrama Das Maisfeld im Wettbewerb überzeugen. In Khibula kämpft sich ein erschöpfter Ex-Präsident (Hossein Mahjoub) mit ein paar getreuen Kämpfern von Unterschlupf zu Unterschlupf durch die verschneiten Wälder und Berge Georgiens.

Die Männer singen, halten patriotischen Reden zum Zusammenhalt des Landes. Doch den Präsidenten plagen sichtlich Selbstzweifel. Immer wieder träumt er von einer „Judas“ rufenden Menge. Auf die Frage nach seinen Plänen verweist der alte Mann nur auf Gott, den Allmächtigen, dessen Pläne er als sein Werkzeug ausführe. Immer wieder holt er eine Pistole aus seiner Aktentasche, was wohl auf die bis heute ungeklärten Todesursachen in einem verlassenen Haus im besagten Ort Khibula anspielen soll. Der Tod ist hier die ganze Zeit anwesend. George Ovashvili zeigt ein entthrontes Idol, das einst Hoffnung auf Einheit, Brüderlichkeit und Freiheit nun vom Sockel gestoßen nicht abzutreten vermag.

Der Film verliert sich in den Weiten der Natur, deren Stille laut Regisseur ein Symbol für das alles umgebende Chaos sein soll. Es bricht hier mit Granateinschlägen und Hubschrauberlärm ein. Zur Wahrheitsfindung trägt dieser Film sicher nicht bei, dazu gibt es bis auf ein paar Radioeinspielungen kaum Informationen zu den Hintergründen des Putsches und der Rolle Gamsakhurdias, der von der Opposition auch als Diktator bezeichnet wurde. Ovashvili bleibt mit Khibula seinem poetischen Filmstil treu und konzentriert sich ganz auf die Natur und die Einsamkeit seines Protagonisten.

Bewertung:    



Khibula | (C) Pluto Film Distribution Network GmbH




Neben den postsozialistischen Umwälzungen liegt nach wie vor auch der Zweite Weltkrieg im Fokus der osteuropäischen Filmschaffenden. Nach Filmen zum Massaker an polnischen Offizieren durch die Rote Armee im Jahr 1940 und dem Warschauer Aufstand im Jahr 1944 ist nun die filmische Aufarbeitung des 1943-44 von der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) an der polnischen Zivilbevölkerung verübten Massakers von Wolhynien an der Reihe.

Kaum ein Landstrich in Europa ist dermaßen vom Wandel der Zeiten und Regime geprägt worden wie das im Osten der damaligen Republik Polen gelegene Grenzgebiet zur Ukraine. Die Herren wechselten hier immer wieder. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Wolhynien wie das benachbarte Galizien zur Habsburger Donaumonarchie. Nach deren Auflösung fiel das Gebiet an die neu gegründete Republik Polen. Die erste Vertreibungswelle infolge des Ersten Weltkriegs traf die im 19. Jahrhundert dort angesiedelten Wolhynien-Deutschen. 1939 setzte sich die Bevölkerung Wolhyniens aus etwa 70 Prozent Ukrainern, 16 Prozent Polen und 10 Prozent Juden zusammen.

Im Sommer 1939 setzt auch der von Regisseur Wojtek Smarzowski gedrehte polnische Spielfilm Wolhynien ein. Der Streifen lief in Cottbus in der Sektion „Nationale Hits“, was das momentane nationale Interesse des bereits vor einem Jahr in den polnischen Kinos angelaufenen Films bestens wiederspiegeln dürfte. Die Massaker von Wolhynien sind eines der wohl traumatischsten Ereignisse der polnischen Geschichte und wurden während der Zeit des Ostblocks so gut wie totgeschwiegen. Auch jetzt noch sorgt dieses Thema für Unstimmigkeiten in den Beziehungen zum Nachbarland Ukraine. Bereits zum 70. Jahrestag 2013 sprach man von polnischer Seite über ethnische Säuberungen. Im Juli 2016 hat das polnische Parlament, in dem die PiS die absolute Mehrheit hat, eine Resolution verabschiedet, die das Massaker an ca. 100.000 Polen sogar als Genozid bezeichnet.

Der Film hat alte Wunden wieder aufgerissen und einen Streit über alten und neuen Nationalismus in Polen und der Ukraine entfacht, sind doch beide Seiten nicht frei davon. „Reinigen wir das Land von den Polen!“ predigt ein orthodoxer Priester im Film und segnet hochgereckte Äxte, Sicheln und Heugabeln. Das Blut der Polen soll die Flüsse tränken. Was dann auch im letzten Drittel des Films bildlich umgesetzt wird. Die Gräueltaten der Ukrainer kennen da keine Grenze mehr. Dabei lässt Regisseur Smarzowski seinen Film im sommerlichen Idyll einer polnisch-ukrainischen Hochzeit beginnen. Doch schon bei den traditionellen Feierlichkeiten kommt es immer wieder zu Sticheleien und dem Austausch offener Ressentiments zwischen den beiden Volksgruppen. Wolhynien zeigt den Konflikt anhand zweier ethnisch gemischter Liebespaare. Eines, das seine Liebe zunächst feiern kann und eines, das voneinander getrennt Krieg, Hass persönliches Leid erleben muss.

Die Zuschauer erleben die Niederlage der polnischen Armee gegen die deutsche Wehrmacht im September 1939, den Einmarsch der Roten Armee nach dem Stalin-Hitler-Pakt, bei dem die Ukrainer zumeist noch den neuen kommunistischen Machthabern zujubeln, während die als reiche Kulaken verschrienen Polen enteignet und nach Sibirien transportiert werden. Die Fahnen wechselt man wieder, als die Wehrmacht 1941 die Russen vertreibt und Hitler der neue Herr und Garant für die ukrainische Unabhängigkeit wird. Schikaniert stehen dazwischen immer wieder die Polen, sieht man mal vom systematischen Mord an der jüdischen Bevölkerung ab, der hier nicht ausgeblendet wird.

Emotional packend ist die filmische Umsetzung gerade durch die Entscheidung, den Konflikt aus Sicht einer jungen polnischen Frau zu erzählen, die wider Willen einen älteren polnischen Witwer heiraten muss, ihrem ukrainischen Geliebten aber nicht vergessen kann. Zofia (Michalina Łabacz) erwartet ein Kind von ihm und zieht später auch noch die Kinder ihres von Ukrainern ermordeten Manns mit auf. Sie versteckt Juden und pflegt einen verwundeten polnischen Wiederstandkämpfer. Ob nun Opferrolle oder Identitätsfigur für nationales Heldentum, dem aufkeimenden Nationalismus in Polen bieten sich hier natürlich viele Anknüpfungspunkte, auch wenn die Ressentiments der Polen gegenüber den Ukrainern und Racheaktionen von Polen an ukrainischen Familien nicht ausgespart werden. Spätestens wenn die Protagonistin durch die Nacht des Brandschatzens und der äußerst blutig geschilderten Mordtaten der Ukrainer an den polnischen Dorfbewohner geistert und wie durch ein Wunder überlebt, lassen einen die Bilder nicht mehr los.

Der ukrainische Nationalismus wird hier vor allem durch orthodoxe Würdenträger und fanatische Freischärler der UPA geschürt, auch wenn es durchaus mahnende Gegenstimmen im Film gibt. Einerseits feiert man die Mitglieder der UPA in der Ukraine wieder offiziell als nationale Helden, anderseits kniete Präsident Petro Poroschenko bei einem Polenbesuch vor dem Wolhynien-Mahnmal in Warschau. Auch von russischer Seite gab es ein reges Medieninteresse an den Filmarbeiten. Die Versuchung, das Thema propagandistisch auszuschlachten ist groß. Wojtek Smarzowski wehrt sich aber tapfer gegen jede Art der politischen Vereinnahmung und hat polnische Preisgelder für Projekte zur Völkerverständigung gespendet. Der Regisseur will mit diesem Film, wie er selbst betont, Brücken bauen. Ob diese Form der Aufarbeitung dazu taugt, wird sich noch zeigen müssen.

Bewertung:    



Wolhynien | (C) Krzysztof Wiktor, Filmit




Ganz anders geht der junge, in Deutschland lebende, polnische Regisseur Kristof Gerega an das schwierige Thema Wolhynien. In der Reihe „Specials“ zeigte das Festival seinen Dokumentarfilm Nicht mehr unsere Heimat / No longer our Homeland. Geregas Großeltern lebten vor dem Zweiten Weltkrieg im Dorf Hanaczów in Wolhynien. Nach deren Tod tauchten etliche Briefe und Fotografien aus der Zeit und noch mehr Fragen beim 1981 gebornenen Regisseur auf. Er hat sich zunächst mit kleinem Filmteam auf eine Reise nach Radzimów an der deutsch-polnischen Grenze gemacht, wo die Familie seit der Umsiedlung nach dem Krieg lebte. Dort treffen sie zunächst Geregas Onkel Jan und weitere ehemalige polnische Bewohner Wolhyniens, die von ihren Kindheitserlebnissen berichten.

Der Regisseur stellt seinem Film ein Zitat voran, das von der Erinnerung als einem kollektiven Prozess, der einer gewissen Evolution unterworfen ist, spricht. Ein alter polnischer Bauer spricht dann auch davon, die Tragödie endlich ruhen zu lassen. Schlussstrichdebatten sind nicht unbekannt bei der Verdrängung schmerzhafter Ereignisse aus der nationalen Vergangenheit. Andererseits haben sich zwei Seiten der Wahrheit über die Ereignisse herausgebildet, was auch in den Befragungen von den heute in den Dörfern Wolhyniens lebenden Ukrainern zeigt. Es geht Gerega letztendlich aber nicht um die Suche nach einer endgültigen Wahrheit, sondern um das Reden über die Vergangenheit, was für ihn vor allem ein Prozess des Lernens ist.

Während sich in Polen immer mehr Leute dafür interessieren, es einen Rat für das Gedenken an die Opfer gibt und Pfadfindergruppen die alten Friedhöfe in der Ukraine säubern, tut man sich dort mit der Erinnerung eher schwer. Gerega lässt sich die Orte zeigen und die Menschen reden, fragt nur hin und wieder behutsam nach. Alte Frauen singen ukrainische Nationalweisen, bei einem Dorffest preist man die Heimat, aber ein Redner verweist auch auf die einstigen polnischen Mitbürger. Weitere Protagonisten sind Andrij, ein junger polnischer Historiker und der 87jährige Edward, der sich seit den 1970er Jahren für die Errichtung eines Denkmals am Ort des Massakers einsetzt und dem Regisseur seine Pläne dafür vorstellt. Später zeigt Gerega ihm sein Filmmaterial aus der alten Heimat, die der alte Mann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr besuchen kann.

Man erfährt auch von der Errichtung eines Kreuzes, das polnische Pfadfinder ohne Erlaubnis der ukrainischen Behörden dort aufgestellt haben. Wer seine Vergangenheit nicht bewältigt, riskiert, dass national eingestellte Kreise sich dieser bemächtigen. Gerega spricht davon, dass beide Seiten sich als Opfer sehen und gegenseitig beschuldigen. Eine dritte Seite zeigt der Regisseur mit der Vorstellung eines in Niederschlesien aufgewachsenen Deutschen, der Fahrten ins polnische Grenzgebiet organisiert, wo heute die Nachfahren der zwangsumgesiedelten Wolhynier in den Häusern der 1945 vertriebenen Deutschen leben, die ebenfalls noch lange die Hoffnung auf eine Rückkehr hatten. Der Krieg hat Tatsachen geschaffen, denen sich auch spätere Generationen stellen müssen.

Bewertung:    



No longer our Homeland | © Schuldenberg Films


Stefan Bock - 12. November 2017
ID 10364
Weitere Infos siehe auch: http://www.filmfestivalcottbus.de


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