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DVD-Besprechung

Liebe, Verbrechen und andere Spiele (2)

4 Filme von Claude Lelouch (Box 2)



Ein Leben lang (Toute une vie) ist einer vom Claude Lelouch's ambitioniertesten Filmen, denn er schlägt einen dramaturgischen Bogen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den 1970er Jahren und versucht mit Verweisen auf geschichtliche Ereignisse (die bei ihm meist als Wochenschauaufnahmen dazwischen geschnitten sind) das Gewundene und die Fragilität von Lebenswegen zu illustrieren. Nach einer längeren Exposition fokussiert sich die Handlung auf das Schicksal der dritten Generation: Sarah (eine ebenso charmante wie spielfreudige Marthe Keller) ist das Resultat glücklicher Umstände, denn ihre Eltern sind KZ-Überlebende, wie schon deren Großeltern Glück hatten, den Ersten Weltkrieg halbwegs unbeschadet überstanden zu haben.

Sarah zehrt als Nachkriegsgeborene von den Früchten dessen, was ihr Vater allem vorangegangenem Leid trotzend als Fabrikant aufgebaut hat. Lelouch begnügt sich aber nicht mit Sarahs Porträt, sondern erzählt parallel dazu die Eskapaden des aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Kleinkriminellen (und späteren Filmregisseurs!) Simon (der junge, kraftstrotzende André Dussolier), bis erst ganz am Ende die Wege der im Luxus lebenden Sinnsuchenden und des sich über die Kunst Emanzipierenden zusammengefügt und ‚ein Mann und eine Frau‘ ein Paar werden.

Welche Zufälle und Windungen über Jahrzehnte hinweg nötig sind, damit ein Paar sich findet, das füreinander geschaffen scheint, hat natürlich Charme. Und Lelouch gelingen auch in diesem Film unterhaltsame und sehr ironisch durchwirkte Bild- und Szenenfolgen, wenn beispielsweise Simon und sein bester Kumpel mit dem Drehen billiger Nazi-Pornos wieder einmal im Knast landen, aber kurz darauf auf ausländischen Filmfestivals als provokative Avantgardisten gefeiert werden und sich mit ihrem Trash eine goldene Nase verdienen.

Doch sowohl der große Erzählbogen, den Lelouch hier über zwei Stunden spannt, als auch die Verflechtung von historischen mit fiktiven Ereignissen (u.a. die Ermordung der Zarenfamilie und Hitlers Aufstieg) wirken brüchig. So amüsant viele Details und Motive für sich genommen wirken, so lose und wenig aufeinander bezogen sind sie. Viele hintereinander aufgereihte Episoden und Szenen unterstreichen das Spielerische, Schicksalshafte der Handlung, verstärken aber auch den Eindruck von Beliebigkeit.

Das Einbinden französischer Prominenz unternahm Claude Lelouch schon in seinem Vorgängerfilm Ein glückliches Jahr. Dort gibt es eine Szene, in der Lino Ventura eine Travestieshow besucht, in der vor einer johlenden Menge eine Mireille-Matthieu-Parodie zur besten gegeben wird. Ein Schwenk zur Seite – und mittendrin sitzt die echte Matthieu, die sich ebenfalls amüsiert. In Ein Leben lang spielt Chansonnier Gilbert Bécaud sich selbst, der das Herz Sarahs gewinnt. Aber die Mitschnitte seiner Auftritte geraten etwas zu ausführlich.



Ein Leben lang mit Gilbert Bécaud und Marthe Keller | (C) Studio Hamburg Enterprises


Während der Streifen vor Szenen, Figuren und Schauplätzen geradezu auseinander zu bersten droht, inszenierte Lelouch seinen nächsten Film, Eine Ehe (Mariage) 1974 mit der Fokussierung auf einen wesentlichen Schauplatz und zwei Hauptfiguren wie ein Kammerspiel. Das Drama, das den Niedergang einer Ehe in vier Schritten, die jeweils ein Jahrzehnt auseinanderliegen, schildert, könnte ohne großen Aufwand als Theaterstück umgesetzt werden. In der ersten, fast ohne Schnitte gedrehten Sequenz wird ausführlich gezeigt, wie ein junges, frisch verliebtes Paar 1944 ein kleines Haus besichtigt, das direkt am Strand in der Normandie liegt. Die von der Besitzerin, einer Witwe, verharmlosten Mängel scheint das Paar (Rufus, Bulle Ogier) letztlich nicht vom Kauf abzuhalten – schließlich sind die beiden verliebt und voller Optimismus. Noch während sie dabei sind sich einzurichten, werden sie erst von deutschen Wehrmachtsangehörigen und dann von Mitgliedern der Résistance behelligt – wobei letztere unverfroren das Haus kapern, um von dort per Panzerfaust den Besatzern einzuheizen und die Befreiung durch die Alliierten zu unterstützen. So wird das Paar unfreiwillig in die Weltgeschichte hineingezogen und durch puren Zufall zu Widerständlern.

Dann der Sprung zum selben Tag zehn Jahre später: Der dank seines vermeintlichen Heldenmutes zum Honoratioren des Städtchens aufgestiegene Ehemann verpatzt durch sein Ungeschick fast die Gedenkfeier für die einstigen Résistance-Kämpfer. Indem Lelouch die Reaktion der Ehefrau auf diese Szene zeigt, wird schlagartig deutlich: Diese Frau hat den Respekt vor ihrem Mann längst verloren. Kurz darauf bestätigen die gegenseitigen Vorwürfe: Sie hat erkannt, was für ein trauriger Spießer er ist, er suhlt sich in Rechthaberei und seinen Macken. Die Ehe ist bereits ein Trauerspiel.

Die Teile drei und vier sind mit Resignation und Trauer bzw. gemeinsamer Einsamkeit umschreibbar. Das zunehmend unglückliche Paar macht sich gegenseitig das Leben schwer, was sich in die Gesichter und Körper einprägt wie das zunehmende Alter. Wenn man sich einmal auf die in dicker Sepia gehüllten Bilder und die reduzierte Dramaturgie eingelassen hat, kann man darüber staunen, mit welch einfachen Mitteln Claude Lelouch große und nachhaltige Wirkung entfaltet: Er zeigt dieselben Menschen am selben Ort zu unterschiedlichen Zeiten, die dadurch zu nichts Geringerem als Symbole eines romantisch verklärten Lebensidols werden.

Bei negativer Entwicklung und fehlendem Mut, die alternative Trennung in die Tat umzusetzen, wird dieses Idol zu einem Gefängnis, in dem jede Lebendigkeit erstickt wird. Wohl selten wurde in einem französischen Film eine misslingende Beziehung so wehmütig, ja bitter präsentiert – wie auch das Kriegsgedenken, dessen erstarrte Ritualisierung Lelouch gleichfalls dem (unterhaltsamen) Spott preisgibt.



Eine Ehe von Claude Lelouch | (C) Studio Hamburg Enterprises


In der 1975er Kriminalkomödie Eine Katze jagt die Maus (Le chat et la souris) kommt das Komödiantische leider zu kurz, wie der Film überhaupt ein bisschen fahrlässig und schnell heruntergedreht anmutet. Die Figur des unkonventionellen, aber vorurteilsbehafteten Kommissars Lechat (der herrlich grummelige Serge Reggiani), der den Mord an einem reichen Unternehmer aufzuklären hat und sich dabei auf dessen Witwe (Michèle Morgan) kapriziert bzw. verliebt, ist zu unsympathisch gestaltet. Die Handlung schlägt unnötige Kapriolen, die nicht spannend wirken, sondern höchstens merkwürdig. Was Lelouchs Stories bei aller Konstruktion meistens auszeichnet, nämlich lässig hingeworfene Episoden und dramaturgische Girlanden, gewinnt hier keine überzeugende Form.

*

Große Raffinesse bei der Verflechtung unterschiedlicher Schicksale zu einem zeitgeschichtlichen Panorama gesellschaftlicher Verhältnisse bietet wieder der Film Der Gute und die Bösen (Le bon et les méchants) von 1975. Es geht um zwei kleine Gauner (Jacques Dutronc, Jacques Villeret), die sich in den 1930er Jahren mit Kaufhaus- und Autodiebstählen über Wasser halten und von einem gewissenhaften Kommissar (Bruno Cremer) gejagt werden, der gerne seine Autorität ausspielt. Zu Zeiten der deutschen Besatzung zeigt sich, dass die Gauner in Extremsituationen zwar nicht zu einer bürgerlichen Moral, aber zu einer stärkeren Menschlichkeit finden, während der Polizist als Karriererist bereit ist, mit den Nazis zu kollaborieren und notfalls auch die durchaus vorhandene Moral an der Garderobe abgibt.

Ohne dass die Gauner dies so beabsichtigten, werden sie zu Unterstützern der Résistance, und ohne dass der Kommissar dies so beabsichtigt hätte, wird er vom Kollaborateur und Täter (Mörder sogar) zum Häftling und Opfer. Auch die Nebenfiguren – die Partnerinnen der Kontrahenten (Marlène Jobert, Brigitte Fossey) sowie Komplizen auf beiden Seiten – bewegen sich in Grauzonen statt Schwarz-Weiß-Fronten. Das Gut-und Böse-Schema hält weder dem schnellen Urteil noch der angeblichen Beweiskraft der Fakten stand. Lelouch demonstriert mit seiner Fabel, dass Menschen insgesamt eher von ihren Neigungen als ihren Überzeugungen geleitet werden, sie aber mit ihren Taten dennoch Fakten schaffen, die sich als Schicksal erweisen und die Verursacher überrollen können. Ein intelligenter, vielschichtiger, großer Film!



Die Guten und die Bösen von Claude Lelouch | (C) Studio Hamburg Enterprises


Max-Peter Heyne - 11. Januar 2018 (2)
ID 10465
4 Filme von Claude Lelouch (Box 2)
Anbieter: Studio Hamburg (Cinéma Classique)

- Ein Leben lang (Toute une vie), 142 Min, Farbe
- Eine Ehe (Mariage), 94 Min, Farbe
- Eine Katze jagt die Maus (Le chat et la souris), 103 Min, Farbe
- Der Gute und die Bösen (Le bon et les méchants), 117 Min, Farbe


Bildformat: 4:3
Tonformat: Stereo
Sprache: Deutsch / Französisch
Keine Extras
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 19,95 EUR
EAN: 4052912672680


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