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DVD-Besprechung

House of

Horrors


Die HAMMER FILM EDITION



Die Veröffentlichung von Filmen der auf Thriller, Horror- und Science-Fiction-Filme spezialisierten, legendären britischen Produktionsfirma Hammer (1935-1979) verläuft bedauerlich schleppend und inkonsequent. Der niederländische Fernsehkonzern Endemol (ja, die auch Wer wird Millionär? und Traumhochzeit produzieren) wiederbelebte das Unternehmen zwar unter gleichem Namen in 2007, aber eine gut betreute, sukzessive Editierung der teils zu Klassikern avancierten B-Pictures von Hammer ist bis heute auch in Großbritannien nicht erfolgt. Die Firma Studiocanal besitzt offensichtlich die Rechte an den älteren Werken und hat kürzlich sieben neu digital restaurierte Filme, von denen einige bereits als DVDs, nicht aber als BluRays erhältlich waren, als Paket herausgebracht. Die Kollektion bietet einen aufschlussreichen Querschnitt aus dem späten Hammer-Filmschaffen Anfang der 1970er Jahre, als neben viel Routineprodukten (wie Scars of Dracula, 1070) gelegentlich auch originelle oder schräge Genrefilme (wie Straight On Til Morning, 1971) möglich waren. Zu jedem Film gibt es 15minütige Clips mit Interviews, in welchen ausgewiesene Hammer-Experten und (wenn noch unter den Lebenden weilend) ehemalige Beteiligte die Filme rückblickend neu bewerten und einordnen. In fast allen Filmen fallen die herausragenden Musiken auf.

* * *


Furcht in der Nacht | (C) Studiocanal


Furcht in der Nacht (früherer DVD-Titel Nachts kommt die Angst, 1972)

Fear in the Night war einer von mehreren Thrillern, mit denen die Hammer-Firma Anfang der 70er neue Wege beschritt, als die Monster sich tot zu laufen drohten und die amerikanischen Koproduzenten sich zurückzogen. Dies bedeutete für die Kreativen, aus geringeren Budgets noch mehr herauszuholen, und so wurde ein Drehbuch herangezogen, das schon fast zehn Jahre lang bei Hammer in der Schublade lag. Dieser wie auch die anderen Hammer-Thriller nutzten zwar noch gruselige Schauplätze und Effekte, setzen ansonsten aber eher auf Spannung, die aus Alltagssituationen erwuchs; genauer gesagt: die Bedrohung, die von Männern aus der Nachbarschaft ausgehen konnte. Fear in the Night wurde in Großbritannien mit dem thematisch sehr ähnlichen Ehe der Morgen graut als Doppelvorstellung angeboten – Motto: „Women in Terror!“

In diesem fast wie ein Kammerspiel aufgebautem Film mit nur wenigen Schauplätzen bleibt über lange Strecken unklar, wer der naiven, freundlichen Heldin Peggy (Judy Geeson) ans Leder will. Die junge Lehrerin wird eines Abends in ihrer Wohnung von einem unbekannten Eindringling hinterrücks überfallen und erleidet ein Trauma. Doch niemand scheint Peggy zu glauben, zumal sie wegen psychischer Labilität bereits in therapeutischer Behandlung ist. Auch ihr Ehemann Roger (wieder der zwielichtige Ralph Bates) zweifelt, ob es den Einbrecher, der eine Armprothese tragen soll, gegeben hat. Doch immerhin scheint der Umzug von London in die englische Provinz nun umso willkommener, wo Peggy ebenso wie Roger an einem Privatinternat für Jungen unterrichten soll.

Doch schon bald lauert der Unbekannte Peggy auch in dem abgelegenen Landsitz auf, kaum dass sich Roger auf einem Kongress befindet. Auch der Internatsdirektor Carmichael (Hammers Frankenstein und Van Helsing Peter Cushing) – ein distinguierter Sonderling – scheint vor Peggy Geheimnisse zu verbergen, während dessen deutlich jüngere Frau (Joan Collins in einer Vorwegnahme ihrer Rolle als Denver Clan-Biest) Peggy gegenüber kaum ihre eifersüchtige Feindseligkeit verbergen kann. Peggy wird eines nachts wieder bedroht und greift zur Waffe – nicht ahnend, dass sie ganz gezielt in den Wahnsinn getrieben werden soll.

In Deutschland kam der Film nie ins Kino, sondern wurde zunächst im DDR-Fernsehen (1976) und 1988 auf RTL2 ausgestrahlt, was angesichts seines Potentials an Kinotauglichkeit verwundert. Aber auch schon in seinem Entstehungsjahr 1972 – also lange nach vergleichbaren Werken wie Die Teuflischen (1955), Mitternachtsspitzen (1960) oder Ein Toter spielt Klavier (1961) – wird ein halbwegs erfahrener Thriller-Gucker geahnt haben, wer was für ein falsches Spiel mit der süßen Peggy spielt. Dennoch halten die schnörkellose Regie (Jimmy Sangster), die Eleganz der Ausstattung und die überzeugenden Schauspieler das Interesse ebenso aufrecht wie die überraschenden Wendungen, von denen es durchaus einige gibt. Bis zum Schluss beleben ambivalente Stimmungen die Story, bei der man sich wie die verunsicherte Protagonistin fragt, wie es wohl weitergeht.




Ehe der Morgen graut (1971)

Der Fall Peter Collinson ist der wohl tragischste der Hammer-Chronik: Der ambitionierte Theater- und TV-Regisseur inszenierte mit 31 Jahren seinen ersten Kinospielfilm und machte sich rasch einen Namen als jemand, der es verstand, klassisch gestrickte Krimis und Thriller mit Sarkasmus und Sozialkritik aufzuwerten. Collinson war neben Alfred Hitchcock einer der wenigen Filmschaffenden, der sich nicht scheute, in seinen Drehbüchern Bösewichter zu entwerfen, die aus purem Sadismus, aus Arroganz oder wegen Geisteskrankheit ihre Untaten begehen – ohne dass die Geschichten deswegen ins Spekulative abglitten wie bei den italienischen "Giallo"-Thrillern der 70er Jahre.

Nach dem ungemein spannenden Psychothriller Die Fratze (Fright, 1970) drehte er den ähnlich gelagerten Straight until Morning und schockierte anschließend mit dem Action-Thriller Open Season – Jagdzeit, in dem eine Bande Ex-Soldaten Menschen wie Wildtiere jagt und tötet. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Collinson ein Remake eines der frühesten (1945) und raffiniertesten Psychothriller der Filmgeschichte, Die Wendeltreppe (unter dem deutschen Verleihtitel Das Geheimnis der Wendeltreppe) drehte, der aber im Vergleich mit dem Vorbild von Robert Siodmak bei der Kritik keine Gnade fand. Damit begann Collinsons Abstieg als innovativer Genre-Regisseur, der eventuell noch einige gehaltvolle Thriller hätte drehen können, wäre er nicht mit 44 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

Straight On Till Morning zeigt bereits in den ersten Minuten, zu welcher Virtuosität Collinson fähig war: Er mutet dem Zuschauer mehrere Minuten eine rasche Abfolge von parallel geschnittenen, sehr unterschiedlichen Situationen vor, mittels denen wir sowohl die naive Heldin Brenda (Sixties-Ikone Rita Tushingham) als auch den Anti-Helden Peter (Shane Briant) und deren Lebensumstände kennenlernen. Durch den Aufbruch Brendas nach London bewegen sich die Wege der Protagonisten zwar aufeinander zu, aber erst einmal bietet Cutter Alan Patillo ein Stakkato an Eindrücken von der pulsierenden Londoner City der ausgehenden Swinging Sixties. Und kaum ist diese assoziative Montage etwas ruhiger geworden, durchbrechen Regisseur und Cutter die Handlung schon wieder. Diesmal durch Rückblenden, die beunruhigende Erwartungen schüren: Der blond wallende, Siegfried-gleiche Schönling Peter hat offensichtlich nicht nur eine Schwäche für reifere Geliebte, sondern auch eine schwere Meise und ist ein Frauenmörder.

Brenda wiederum erfindet Märchen, die sie ihre Hemmungen vergessen lassen. Mit dem Umzug nach London möchte sie sich zwar ebenso selbstverwirklichen wie andere Mädchen, aber nicht indem sie das Partyleben und die lockeren Sitten auskostet. Stattdessen sucht Brenda einen Mann, der ihr ein Kind machen möchte, damit sie ihr eigenes Leben in ein Märchen verwandeln kann. Dabei gerät sie zunächst an den eitlen Boutiquenbesitzer Jimmy Lindsay (Tom Bell), dessen Gespielin Caroline (Katya Wyeth) und dem Mitarbeiter Joey (James Bolam), die der Landpomeranze grundsätzlich wohlgesonnen sind.

Brenda aber ist viel zu tapsig und linkisch, um sich in Gegenwart der Fashion-Follower wohlzufühlen. Nachdem ihr nachts ein Hund zuläuft, gerät sie bei der Suche nach seinem Besitzer an den ebenso charismatischen wie psychopathischen Peter – eine verhängnisvolle Bekanntschaft. Brenda verkennt an Peter die dunklen Anteile, was ihrer durchaus sympathischen Naivität geschuldet ist, während Peter offenkundig aus schwerer Schizophrenie heraus die eigentlichen Bedürfnisse Brendas missdeutet. Kurzum: wir erleben eine (böse) Karikatur einer Liebesbeziehung, in der die Partner die egozentrischen Seiten des jeweils Anderen auf groteske Weise ausblenden, um an ihren Idealvorstellungen festzuhalten. Bis zum bitteren Schluss erlaubt sich Regisseur Collinson erfrischende avantgardistische Akzente.




Dämonen der Seele (1972)

Nur wenige Monate nach dem Psycho-Doppelprogramm brachte Hammer einen weiteren unkonventionellen Thriller in die englischen Kinos, wobei Regisseur Peter Sykes und Drehbuchautor Christopher Wicking sich vieler Zutaten der Hammer-Horrorfilme bedienten, um Spannung und Grusel zu erzeugen. Schon zu Beginn des Films wird eine junge, hübsche Frau von einem unbekannten Wesen im Wald gemeuchelt, ohne dass klar würde, ob es sich beim Täter um eine Art Monster oder einen Menschen handelt. Die Bewohner des fiktiven bayerischen Dorfes, in dem die Handlung gegen Ende des 19 Jahrhunderts angesiedelt ist, tendieren zum Aberglauben. Doch was sich im riesigen Schloss des Baron Zorns abspielt (Robert Hardy aka Cornelius Fudge in den Harry Potter-Filmen), lässt beim Zuschauer Zweifel aufkommen:

Dort nämlich regiert der Schlossherr mithilfe seines Adlatus Klaas (Kenneth J. Warren) und seiner Verwandten Hilda (Yvonne Mitchell) mit herrischer Attitüde gegenüber seiner Tochter (Gillian Hills) und seinen Sohn (diesmal nicht ganz so schön aufgemotzt: Shane Briant), die er getrennt voneinander einsperrt und gezielt körperlich schwächt – offenkundig aus Angst vor einer inzestuösen Verbindung, denen die Geschwister nachgeben könnten. Die fiebrigen Schübe, unter denen insbesondere Zorns Sohn fortwährend leidet, lassen die drakonischen Maßnahmen als Irrweg erscheinen. Denn so wenig Baron Zorn Vertrauen in seine Kinder hegt, vertrauen wiederum die Dörfler dem sich abschottenden Baron.

Aufklärung im übertragenden wie wörtlichen Sinne scheint mit der Ankunft eines selbsternannten, egozentrischen Nervenarztes (Patrick Magee) und seines jungen, pragmatischen Assistenten (Paul Jones) im Schloss Einzug zu halten. Zumindest versucht der Psychiater, mithilfe "moderner" Hypnosetechniken den tiefliegenden Traumata des Schlossherrn beizukommen. Assistent Carl fühlt sich zur Tochter des Barons hingezogen und ermittelt wegen der Mordserie in den Wäldern auf eigene Faust. Doch weder der Arzt noch Carl können die emotionale Eskalation zwischen den Generationen und den Geschwistern verhindern, die weitere Opfer kostet.

Am Ende greift auch der entfesselte Mob zu drastischen Maßnahmen, zu denen ihn ein fanatisierter, im Vergleich zum Schlosspersonal nicht minder verrückter Möchtegern-Priester angestiftet hat. Leider ist die anfangs noch kompakte Handlung dann schon ins Schlingern geraten, was weniger an der Vermischung von mystischen und psychologisierenden Elementen liegt als am unausgeglichenen Timing. Wo es ratsam gewesen wäre, die Handlung zu beschleunigen, hängt sie bisweilen unnötig durch. Zum Schluss übernehmen Gewalt und Blutrausch das Zepter und verdrängen die subtilen, assoziativen Aspekte der Story.

Offensichtlich hatte sich Drehbuchautor Wicking in seinem Bestreben übernommen, die damaligen neuen Freiheiten bei Hammer zu nutzen und Gruselgeschichten mit psychologischer Grundierung und größerer Komplexität zu erzählen. Trotz attraktiver Charaktere und Figurenkonstellationen blieb der innovative Ansatz in diesem Fall hinter dem vergleichbaren, kürzlich in ungekürzter Fassung auf DVD veröffentlichten, britischen Horrorthriller The Wicker Man zurück. Sehenswert ist er dennoch.





Frankensteins Schrecken | (C) Studiocanal


Frankensteins Schrecken (1970)

Nicht mit der Dracula-, sondern der Frankenstein-Serie hatte die Hammer Production schon 1957 (Frankensteins Fluch) das Monster-Erbe der US-Firma Universal übernommen und Peter Cushing (als Frankenstein) und Christopher Lee (als Monster) als "seine" künftige Horror-Superstars etabliert. Die Geschichten um die klassischen Gruselfiguren wurden stilistisch, teils auch dramaturgisch modernisiert und mit knallrotem Blut, brutalen Schockeffekten und einer kräftigen Prise Sadismus angereichert. Zehn Jahre später war auch nackte (Frauen-)Haut kein Zensurgrund mehr, sodass Brüste und Pos obligatorisches Beiwerk wurden, während sich die Drehbücher von den Originalvorlagen immer weiter entfernten.

Die Neuauflage des Hammer-Klassikers Frankensteins Fluch, der z.B. den jungen Martin Scorsese in einem New Yorker Billigkino in Schrecken versetzte, fällt insofern aus der Reihe, als dass nach fünf Filmen, in denen Cushing den berüchtigten Arzt spielte, die Rolle mit Ralph Bates neu besetzt wurde. Offensichtlich, um ein nachrückendes, jüngeres Publikum für die Filme zu gewinnen, war der sechste Teil auch eine Art "Reboot" und keine Fortsetzung der vorigen Teile. Übernommen wurde aber, dass Frankenstein im Laufe der Serie immer kaltblütiger und skrupelloser geworden war.

In Frankensteins Schrecken ist der eigentliche Faktor für Grusel und Faszination nicht das Monster (das erst im letzten und schwächsten Drittel der Handlung auftaucht), sondern der extrem narzisstische, mitleidlose Charakter von Baron Frankenstein. Dessen Experimente werden kaum noch von seinem Forschungsdrang gespeist, sondern von der arroganten Überzeugung, als Hochbegabter allen bürgerlich-moralischen Gesetzen und Regeln enthoben zu sein. Dies zeigt sich schon in seiner Schulzeit, in welcher der charismatische Adelssprössling sich einen Spaß daraus macht, dem Lehrer zu demonstrieren, wie überragend seine geistigen Fähigkeiten sind. Um herauszufinden, wie Leben geschaffen werden kann, geht Frankenstein junior über Leichen: erst die seines Vaters (George Belbin), dann die seines besten Freundes Wilhelm (Graham James) und schließlich seines Gehilfen (Denis Price) und dessen Frau (Joan Rice) sowie noch einiger anderer.

Von seinem Altvorderen übernimmt er nicht nur Status und Vermögen, sondern auch die Haushälterin/Bettgespielin Alys: Kate O‘Mara ist der erotische Blickfang in diesem Horrordrama, das ansonsten ganz auf den zugleich abstoßenden und faszinierenden Protagonisten ausgerichtet ist, den Ralph Bates als aalglatten, manipulierenden Dämon in Menschengestalt spielt. Das Monster in Menschengestalt ist hingegen ausgerechnet das, was den Film um einen Gutteil seiner Wirkung bringt (buchstäblich verkörpert vom Bodybuilder David Prowse, dem späteren Darth Vader in Star Wars, Episode IV-VI). Die Maskierung erinnert entfernt an das (seinerzeit durch Copryright gesicherte) Kantengesicht Boris Karloffs in den Universal-Filmen, wirkt aber hier in keiner Weise erschreckend, sondern allenfalls erschreckend albern und unfreiwillig komisch.

Im Vergleich zu den Morden, die der Baron selber mit Eiseskälte verübt, sehen die Attacken seines hilflos stampfenden und grunzenden Monsters nach billigem Blutrausch aus. Die Handlung bleibt zwar spannend und kurzweilig, aber der gepflegte Grusel, den Frankensteins Sadismus ausgelöst hatte, geht abhanden. Das Monster endet im Säurebad, der Lügenbaron entgeht seiner Strafe – das war wohl die offene Tür Richtung Fortsetzung, die allerdings nicht mit Bates, sondern wieder mit Cushing gedreht wurde. An Bates‘ famoser Darstellung kann es nicht gelegen haben.




Dracula - Nächte des Entsetzens (1970)

Natürlich sollte einer der Dracula-Filme bei einer Hammer-Edition nicht fehlen. Leider ist der fünfte Teil der Reihe mit Abstand der schwächste und auch im Vergleich mit anderen Vampirfilmen der damaligen Zeit (z.B. des beinahe zeitgleich gedrehten, legendären Blut an den Lippen des Belgiers Harry Kümel) ein schundiges Serienprodukt. Kein Wunder, dass Christopher Lee damals schon aufgrund der schwachen Drehbücher keine Lust mehr auf seine Dracula-Rolle hatte und nurmehr mitmachte, weil seine Hammer-Kollegen ohne ihn monatelang arbeitslos gewesen wären. Entsetzen löst hier allenfalls der Umstand aus, mit welch billigen und grellen Effekten Regisseur Roy Ward Baker (Einer kam durch, 1957) und Autor Anthony Hinds (als John Elder) sich zufriedengaben.

Gleich zu Beginn flattert eine erkennbar überdimensionierte, künstliche und an Fäden zappelnde Fledermaus in eine verlassene Kirche und sabbert Blut auf Draculas Cape, woraufhin der einst in Teil 4 der Serie dortselbst Verblichene ratzifatzi von Staub zu Fleisch wird und wiederaufersteht. Leider taucht das Zappelwesen, das aussieht, als habe es sich aus der Augsburger Puppenkiste verirrt, noch öfter auf, um Menschen wie eine wildgewordene Drohne von oben zu befallen: Kaum hat die männliche Dorfgemeinschaft spitzgekriegt, dass ihr blutdürstiger Nachbar wieder sein Unwesen treibt, brennt sie kurzerhand dessen Schloss nieder (ergebnislos, wie der erfahrene Horrorfilmfan aus den älteren Frankenstein-Filmen von Universal weiß). Noch bevor sie zurückkehren, fernlenkt der schlafende (!) Dracula Fledermausscharen auf die zurückgebliebenen Frauen des Dorfes, die im Reißzahnmassaker verbluten.

Was offenkundig als blutiger Exzess die Zuschauer schockieren sollte, wirkt angesichts des knallroten Blutes und der Fledermaus-Marionetten aufdringlich und lächerlich – wie so vieles in diesem schludrig entworfenen B-Picture. Auf nachvollziehbare Entwicklungen oder Logik wurde gepfiffen: Da landet ein junger Bonvivant (Christopher Matthews) nach einer kurzen, unbeabsichtigten Kutschfahrt gleich im Dracula-Dorf, aber in seinem nur wenige Reitminuten entfernten Städtchen hat man noch nie von dessen spektakulären Existenz gehört. Dracula tötet seine schöne Vampirbraut (Anoushka Hempel) – die den konventionellen Austausch von Körpersäften anstelle des Blutsaugens bevorzugt (!) – mit einem Krummdolch, doch er selbst zieht sich beim Showdown unbeeindruckt eine Eisenstange aus dem Bauch. In dieser Szene gehört noch ein von einer Fledermaus blutig zerkratztes Dekolletee der blonden Heldin (Jenny Hanley) zu den zweifelhaften Höhepunkten des Films.

Die Hammer-Experten zollen dem Film trotz aller Schwächen im Bonus-Clip zwar Respekt. Aber bei vollem Ernst betrachtet lässt sich abseits der Schauspieler und speziell Christopher Lees um blasierte Würde bemühte Darstellung nichts Positives über dieses B-Picture sagen, bei der auch die Sets und die Ausstattung nach billigem Studioramsch aussehen.




Das Grab der blutigen Mumie (1971)

Dieser (auch im Englischen) dämlich betitelte, aber dramaturgisch bemerkenswert originelle Hammer-Film basiert (Drehbuch: Christopher Wicking) auf einer der Novellen des Dracula-Autors Bram Stoker, der um die vorletzte Jahrhundertwende als Gast bei Oscar Wildes Vater, William Wilde (1815-76), von dessen Faible für Ägyptologie angefixt wurde. Stoker schrieb daraufhin eine Geschichte um eine verführerische junge englische Frau, die durch Seelenwanderung zur Reinkarnation einer antiken ägyptischen Heiligen, Queen Tera, wird: The Jewel of Seven Stars (dt.: Juwel der sieben Sterne, 1903). Tera war vermutlich eine unsterbliche Halb-Göttin, denn obwohl sie antike ägyptische Priester vergifteten und die rechte Hand abhakten, um sie im Jenseits zu lähmen, wurden die Geistlichen alsbald massakriert. Teras Leichnam aber verweste nicht, sondern blieb, man(n) darf sagen: in voller Pracht erhalten.

Dass Tera telepathische Kräfte entwickelt, die auch im London der 1970er Jahre an altägyptischen Forschern ihre blutige Wirkung entfalten, ist natürlich purer Mumpitz. Doch das raffinierte Spiel mit mysteriösen und mythischen Elementen und die visuelle Eleganz des Films lassen den Zuschauer die brüchige Grundidee der Story immer wieder vergessen – ganz abgesehen von den Schauspielern, die ihre sehr unterschiedlichen Charaktere mit großer Spielfreude auskleiden. Die üppige, leicht exotisch wirkende Valerie Léon als Margaret Fuchs gehört zweifellos zu den verführerischsten Darstellerinnen des an betörenden Frauenfiguren nicht armen Hammer-Filmkorpus.

Ähnlich großzügig mit Kajal geschminkt wie Amy Winehouse selig spielt Léon ihre Doppelrolle, besser gesagt: ihren doppelten Charakter, sehr überzeugend. Sie ist einerseits die naive Tochter des ängstlich-besorgten Prof. Fuchs (Andrew Keir), des am Geschehen hauptverantwortlichen Ägyptenforschers, und andererseits die moderne Wiedergängerin der herrisch-skrupellosen Tera, die mit etwas dämonischem Augenaufschlag Männern in ihrer Umgebung buchstäblich halsabschneiderisch gefährlich wird. Ein Mitstreiter Fuchs‘, der gerissene Corbeck (James Villiers) will mithelfen, dass Queen Tera bei günstiger Sternenkonstellation vom Geist und Körper Margarets Besitz ergreift, um Nutznießer ihrer unbeschränkten Mächte zu werden.

Ein schlechter Stern lag über den Dreharbeiten zu diesem eigentümlich reizvollen Film: Kurz nach Beginn der Dreharbeiten erkrankte die Ehefrau von Hammers größtem Star, Peter Cushing, schwer und starb wenig später. Cushing gab seine Rolle des deutschen Professors an Andrew Keir ab. Regisseur Seth Holt starb überraschend während der Dreharbeiten an einem Herzanfall; der Hammer-Chef Michael Carreras beendete die Produktion. Valerie Léons Karriere erhielt trotz der beachtlichen Leistung als Queen fatale keinen langfristigen Schub – schade!





Dr. Jekyll und Sister Hyde | (C) Studiocanal


Dr. Jekyll und Sister Hyde (1971)

Der mittlerweile kaum mehr spektakulär wirkende, aber auf Theater- oder Musicalbühnen (zurzeit z.B. im Staatstheater in Schwerin) sowie in Parodien als Dauerbrenner weiterlebende Krimi-Horrorroman von Robert Louis Stevenson über den fanatischen Wissenschaftler Dr. Henry Jekyll, der sich mittels einer synthetischen Droge in den heimtückischen, mordlüsternen Dr. Hyde verwandelt, wurde von Hammer Productions zweimal verfilmt: 1960 unter der Regie von Terence Fisher, der kurz zuvor die erste Hammer Dracula-Version gedreht hatte, in einer werkgetreuen, aber auch reichlich konventionellen Version (Schlag 12 in London – The Two Faces of Dr. Jekyll) und als diese originellere, hintersinnigere Variante (Regie: Roy Ward Baker).

Hammer-Star Ralph Bates spielt einen besessenen, aber nicht so unsympathischen Arzt wie im Frankenstein-Film. Dr. Jekyll will dem Geheimnis der Verlängerung des Lebens auf die Spur kommen und sucht dies mittels weiblicher Hormone, die er zunächst von kürzlich verstorbenen Frauen extrahiert und Insekten verabreicht. Diese verweiblichen daraufhin und Jekyll giert nach mehr frischem Östrogen, was ihn zu Jack the Ripper werden lässt. Er ersticht Prostituierte, um seine Forschungen voranzutreiben und testet die gewonnene Droge schließlich an sich selbst.

Der besondere Clou, dass sich Dr. Jekyll in eine verführerische Frau (heiß: Martine Beswick) verwandelt, verleiht der Geschichte angesichts der heutigen Debatten um Sexismus, Gleichstellung und Quoten eine unverhoffte Aktualität und Relevanz. So wirkt der Film zeitloser als viele andere aus dem Hause Hammer, obgleich auch er mit den üblichen Versatzstücken des Kriminal- und Horrorfilms jongliert (neblige Witterung, Schattenspiele, Stalking in dunklen Gassen). Hier ist das eine gefällige Garnierung, aber eben nicht der eigentliche Reiz. Stattdessen wird die Folie vom Serienmörder genutzt, um die (damals noch stereotypen) Auffassungen von Femininität und Maskulinität aufzumischen. Brian Clemens‘ sorgte als unabhängiger Produzent und Drehbuchautor für einen frechen, ironischen Ton, den er zur selben Zeit auch als Mastermind der Kultserie Mit Schirm, Charme und Melone pflegte.

Jekylls männlich-wissenschaftlicher Narzissmus kennt keine moralischen Schranken und macht ihn zum Anti-Helden. Aber erst als seine vermeintliche Schwester Mrs. Hyde lebt er die dämonische Kraft der Manipulation und Verführung aus. Pech nur, dass die Verwandlung – und damit das Versteckspiel vor seinem besten Freund (Gerald Sim) und der Polizei – von begrenzter Dauer ist. Die Idee der skrupellosen Femme Fatale verweist auf die sogenannte Film-Noir-Serie amerikanischer Thriller der 30er Jahre, wirkt hier aber nicht so frauenverächtlich, da der ursprüngliche bzw. eigentliche Täter ein Mann ist, der innerhalb einer streng hierarchischen, patriarchalischen Gesellschaft seine Position als Upper-Class-Mitglied gnadenlos ausnutzt.

Im Bonus-Clip berichtet Martine Beswick, dass sie und Brian Clemens vor einigen Jahren übereinstimmend bedauert hatten, dass sie das originelle Spiel mit den Geschlechterrollen nicht noch stärker ausgereizt haben. Ein sehenswerter Genre-Film zu einem ewig aktuellen Thema ist es dennoch.



Max-Peter Heyne - 16. März 2018
ID 10585
Hammer-Film-Edition
7 Einzel-DVDs im Schuber mit Booklet
insgesamt ca. 650 Minuten,
UVP: EUR 56,98

Die Box enthält:
Frankensteins Schrecken (1970)
Dracula – Nächte des Entsetzens (1970)
Doktor Jekyll & Schwester Hyde (1971)
Das Grab der blutigen Mumie (1971)
Dämonen der Seele (1972)
Furcht in der Nacht (1972)
Ehe der Morgen graut (1972)


Anbieter: Studiocanal


Weitere Infos siehe auch: http://www.studiocanal.de/dvd/hammer_film_edition-digital_remastered


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