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74. BERLINALE

PANORAMA /

FORUM

All Shall Be Well

Henry Fonda for President

Les Paradis de Diane



Der Gewinner des „Teddy“, der Auszeichnung für einen Beitrag mit schwul-lesbischer Thematik in der BERLINALE-Sektion Panorama ging diesmal an einen ruhig und verhalten inszenierten Spielfilm aus Hongkong, dessen Dramatik sich langsam entwickelt. Erzählt wird von Angie (Patra Au Ga Man), einer Frau Mitte 60, deren Lebenspartnerin Pat unerwartet stirbt. Regisseur Ray Yeung beschreibt, welche Konflikte Angie anschließend mit Pats Familie austragen muss. Zu Lebzeiten Pats waren deren Bruder, seine Frau und ihre Kinder „Tante Angie“ stets mit – wenn auch distanzierter – Sympathie zugewandt. Doch eine lesbische Partnerschaft ist selbst im hochmodernen Hongkong keine Selbstverständlichkeit, und Angie muss feststellen, dass ihr Status als engste Verwandte nach Pats Tod nicht viel gilt. Da sie ihre Beziehung zu Pat im Ausland nicht hat legalisieren lassen und kein unterschriebenes Testament existiert, sind die Zugänge zu den gemeinsamen Bankkonten verschlossen, werden plötzlich bürokratische Hürden sichtbar.

Das Schlimmste aber ist für Angie die Herabstufung zu einer lediglich guten Freundin der Verstorbenen, gegen die sie sich durchaus wehrt. Aber aus Angst vor der völligen Eskalation mit Pats Familie versucht sie, so gut es geht, zu lavieren. Mit großer Authentizität und Feinfühligkeit schürt Ray Yeung die der Geschichte innewohnenden Konflikte, ohne irgendeine(n) seine Charaktere in den Senkel zu stellen. Natürlich erzählt er aus der Perspektive Angies, aber es gibt keineswegs eine einheitliche familiäre Front gegen sie, die doch immer wie ein Teil der Verwandtschaft war.

Ein interessanter Aspekt der Story ist auch die Beschreibung der besonderen Spiritualität innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft Hongkongs, die allen sozialistisch-kommunistischen Bestrebungen der Politik zum Trotz eine wichtige Rolle im Alltag der Menschen spielt. Auch die Beerdigungsrituale und das Grab sind entscheidende Faktoren dafür, dass die Verblichenen im wahrsten Sinne des Wortes nicht von allen guten Geistern verlassen werden – und führen entsprechend zu ersten familiären Konflikten.

Ein ebenso präzise wie elegant erzählter Film, der die ältere queere Community Hongkongs in den Fokus rückt und der auch das Potential für eine Platzierung im Wettbewerb hatte.



All Shall Be Well | (C) mise en scene filmproduction


Bewertung:    



Drei Stunden über das Leben und Werk des amerikanischen Stars Henry Fonda? Ja – nicht nur ein eingefleischter Cineast und Freund der Filmhistorie kam in diesem Epos auf seine Kosten. Denn dem österreichischem Kurator, Autoren und ehemaligen Leiter der Wiener Film-Viennale Alexander Horwath, der im reifen Alter von beinahe 60 Lenzen seinen Debütfilm vorgelegt hat, ist es gelungen, die Geschichte eines Schauspielers, seiner Vorfahren und Kinder mit der Geschichte der USA und der modernen Medien solcherart zu verweben und gemeinsam zu reflektieren, dass daraus ein hochspannendes Kaleidoskop von den Stärken, Schwächen und inneren Widersprüchen einer bedeutenden Nation geworden ist.

Unterteilt in zahlreiche Kapitel, die zwar insgesamt der Chronologie der Besiedelung der USA und dem Leben des Familie Fonda folgen, aber immer wieder auch den Blick auf Nebenaspekte werfen, verdeutlicht Horwarth, welche historischen Entwicklungen und Ereignisse das Leben Henry Fondas geprägt haben. Die frühe, dornenreiche Theaterkarriere und das Erleben von Armut in seinem Umfeld beeinflussten Henry Fonda dergestalt, dass er zum Prototyp des linksliberalen, humanistisch agierenden Künstlers wurde und sich damit von vielen seiner Zeitgenossen und auch Hollywood-Kollegen unterschied. Zwar patriotisch denkend, aber mit einem Herz für die Schwachen und Ausgestoßenen – sinnbildlich verkörpert in seiner Rolle als Wanderarbeiter in der John Steinbeck-Verfilmung Die Früchte des Zorns (1940), lehnte Henry Fonda die Atombombenentwicklung und die politische Hexenjagd des Kommunistenhassers Senator McCarthy strikt ab.

Fonda, der mit dem ihm medial angehängten Ideal eines integren Intellektuellen wenig anfangen konnte, erhielt mit zunehmendem Alter immer seriöser geprägte Rollen, darunter eben auch als US-Präsident in Fail Safe (Angriffsziel Moskau, 1964), der das komplette New York der Zerstörung durch sowjetische Waffen opfern muss, um den Weltfrieden zu bewahren. Die Ausschnitte aus den Filmen belegen noch einmal eindrucksvoll, dass Fonda auch in repräsentativen, politischen Rollen stets ein Mann der leisen, nachdenklichen Töne war, dem das Zweifeln im Gesicht stand, bis er sich schließlich zu einer klaren, vernunftorientierten Entscheidung durchgerungen hatte.

Regisseur Horwath macht deutlich, wie sehr die USA dieses Typus und Nimbus der Elite inzwischen verlustig gegangen sind. Denn das Fonda von vielen Zeitgenossen ernsthaft als Präsident und Gegenbild zu Ronald Reagan (und nun, noch weitaus schlimmer, Donald Trumps) erkoren wurde, erscheint wie eine Ewigkeit her. Selten aber war ein Geschichtsunterricht so spannend wie dieser Film!



Henry Fonda for President | (C) Mischief Films, Medea Film Factory, Michael Palm


Bewertung:    



Ein schweizerischer Spielfilm, der mit einem Tabu bricht und eine verstörende Stimmung verbreitete: Regisseur Jan Gassmann und seine Kollegin und Autorin Carmen Jaquier erzählen von einer Schwangeren, die eine glückliche Beziehung führt und sich wohl auch auf das gemeinsame Kind freut. Nach der Entbindung aber wird Diane (Dorothée de Koon) nicht nur von der berüchtigten postnatalen Depression befallen wird, sondern einem Fluchtimpuls, der sie aus der Klinik treibt. Im Bestreben, so viel Distanz zwischen Kind und Mann wie möglich zu schaffen, gelangt Diane dank des nächstbesten Linienbusses – nur mit einigen Habseligkeiten und ihrem Mantel ausgestattet – von der kühlen Schweiz im milden Winter Südspaniens.

Wohl wissend, dass sie von ihren Angehörigen verzweifelt gesucht wird, taucht Diane in der Touristenhochburg unter, als sei sie eine Terroristin oder Straffällige. Ein Problem ist, dass ihr Unterkünfte nur bei Vorlage eines Passes gewährt wird (was ihren Aufenthaltsort preisgibt) und dass ihr Körper auf eine Mutterschaft eingestellt ist. So muss Diane ihre Brüste von Säuglingsmilch leeren und spezielle BHs organisieren. In ihrer misslichen Situation kommt der obdachlosen Diane eine Zufallsbegegnung zu Hilfe: Eine schon etwas demente alte Französin (Altstar Aurore Clément, die u.a. in Paris Texas spielte), die alleine in der Anonymität eines Hochhauses an der Küste lebt, nimmt sie auf und versorgt sie mit dem Nötigsten.

Die dramaturgische Atempause hält nicht lange an, denn sie löst Dianes grundsätzliches Problem, quasi ein falsches Leben im richtigen zu führen, nicht. Gassmann und Jaquier bieten im weiteren Verlauf teils mehr, teils weniger überzeugende Szenen, die illustrieren, dass Diane von ihren Beweggründen selbst überrascht und sich ein Stück weit selbst fremd geworden ist. Insgesamt unterlassen es die beiden, die Irrationalität ihrer Figur erklären zu wollen. Mit zunehmender Dauer der Odyssee wird ein Happy End unwahrscheinlich, aber wie die Geschichte ausgeht, hält die flirrende Spannung aufrecht.

Die Kamera ist bisweilen nervtötend nah an der rebellisch-störrischen Hauptfigur, die Dorothée de Koon meisterhaft nuanciert verkörpert. Ein Film, der seine Energie weniger aus dem Identifikationspotential, sondern der irritierenden Renitenz seiner Hauptfigur speist.



Les Paradis de Diane | © 2:1 Film


Bewertung:    


Max-Peter Heyne - 26. Februar 2024
ID 14633
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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