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73. BERLINALE

WETTBEWERB

Mal Viver / Le grand chariot



Mal Viver (dt.: "schlechtes Leben") heißt ein portugiesischer Film aus dem BERLINALE-Wettbewerb. Der Regisseur João Canijo porträtiert darin fünf Frauen einer Familie, die ein altes Hotel betreiben. Ein toxischer Generationenkonflikt mal ganz ohne Männer, obwohl man die Vorgeschichte dazu nicht im Detail erfährt. Der Film hat ein Gegenstück vom selben Regisseur in der Parallel-Sektion Encounters mit dem Titel Viver Mal (dt.: "schlecht leben"). Dieser Film erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Gäste des kurz vor dem Verfall stehenden Hotels. Dysfunktionale Familien an disfunktionalen Orten.
Zusammengenommen repräsentiert das einerseits den vorherrschenden Themenkomplex der BERLINALE und anderseits den allgemeinen Zustand des Filmfestivals und seiner Kino-Standort-Problematik.

Der Potsdamer Platz als Hauptstandort der Filmfestspiele versprüht seit jeher den Charme einer architektonischen Investoren-Hölle. Erst recht nach der Schließung zweier teilnehmender Kinos ist der zugige Unort mit einem ungenutzten Musical-Theater als Berlinale Palast, das demnächst das seit seinem Abriss durch Berlin nomadisierende Kudamm-Theater beherbergen wird, kaum noch als einladender Festival-Magnet zu verkaufen. Zum längeren Verweilen laden auch die Standorte Alexanderplatz mit dem Cubix-Kino und der noch zugigere Mercedes-Platz mit seinem Mehrzweckhallen-Charme nicht wirklich ein. Die dortige Verti Music Hall als Nachfolge für den nicht mehr teilnehmenden Friedrichstadtpalast ist mit ihrer Klappstuhl-Tribüne ein cineastisches Jammertal. Verschärfend kommt hinzu, dass man nach dem Ende der Vorstellung mit seinem gerade an der Bar gekauften Getränk freundlich aber bestimmt von den Sicherheitskräften auf den winterlichen Vorplatz hinausgetrieben wird. Publikumsfreundlichkeit sieht anders aus.



Zurück zum mehr oder je nach Geschmack auch weniger Erfreulichen, dem BERLINALE-Filmprogramm, das wie bereits erwähnt einiges in Sachen Familien-Harm- bzw. Disharmonien zu bieten hatte.

Im bereits erwähnten portugiesischen Wettbewerbsfilm Mal Viver kehrt eine junge Frau ins Haus ihrer Kindheit zurück. Sie hat gerade das Sterben ihres Vaters, der die Mutter früh verlassen hat, begleitet. Anstatt ihr Architekturstudium zu beenden, will sie lieber bildhauern. Nun jobt sie in jenem alten Hotel in Familienbesitz, das kurz vor der Pleite steht. Was man hier erlebt, ist die weibliche Variante toxischer Disharmonien über drei Generationen von Müttern und Töchtern hinweg. Zunächst sehr episch zeigt der Film, wie die junge Frau versucht, sich wieder in die stark hierarchische Struktur des rein weiblichen Familienbetriebs mit Mutter und Großmutter zu integrieren. Besonders die Mutter fremdelt mit der ebenfalls recht störrischen Tochter und sorgt sich eher um ihr Schoßhündchen.

Aber auch die Großmutter und Patriarchin des Familienbetriebs hegt wiederum einen ungeklärten Hass auf ihre Tochter. Hier ist niemand zur Liebe fähig, und auch die Cousinen, die im Hotel mithelfen, sind in diesen Leidenskreis eingeschlossen und haben kein eigenes Leben. In einigen Gesprächen zwischen den Frauen erfährt man nur sehr wenig über deren wahre Gefühle und Ängste. Man schweigt sich an, oder lebt in der Vergangenheit beim Ansehen alter Familienalben. João Canijo zeigt eine zerrüttete Familie ohne Liebe. Der blanke Hass trifft am Ende die Frau mit dem Hündchen. Die Großmutter verflucht sie geradezu in einer Situation, in der sich die Tochter ihr verzweifelt zu nähern versucht. Nebenher läuft der Alltag des Hotelbetriebs mit seinen wenigen Gästen. Auch ein großer Swimmingpool spielt hier eine entscheidende Rolle. Ein schwieriger, in seiner emotionalen Brutalität kaum auszuhaltender Film, der am Ende viele Fragen offen lässt.

Bewertung:    



Mal Viver | (C) Midas Filmes


*

Wesentlich positiver sieht der französische Regisseur Philippe Garrel die Familie eines Puppenspielers im Wettbewerbsbeitrag Le grand chariot. Jener große Karren ist die Puppenbühne hinter der mit dem Vater noch zwei Schwestern, ein Sohn und ein Freund des Sohnes mit ihren traditionellen Handpuppen Kinderherzen zum Lachen bringen. Die Mutter ist früh verstorben, aber die Großmutter, eine alte Kommunistin, kümmert sich liebevoll um die Familie ihres Sohnes und flickt auch die kaputten Puppen. Als der Vater, wie schon ein echter französischer Theaterpatriarch vor ihm, mitten in der Vorstellung plötzlich einen Herzinfarkt erleidet und im Krankenhaus stirbt, versucht der Sohn das Erbe anzutreten und die Theaterfamilie zusammenzuhalten. Der Film zeigt letztendlich aber das Auseinanderfallen der Truppe, ohne dass dabei die Familienverhältnisse schuld wären. Es sind ganz alltägliche Probleme, wie die ständige Geldnot, aber auch die verschiedenen Interessen der Familienmitglieder. Der Freund des Sohnes, ein erfolgloser Maler, verlässt seine Freundin, die gerade ein Kind von ihm geboren hat, für eine andere junge Frau und versucht sein Glück wieder als Maler. Ohne Galerieanbindung, die er ablehnt, bleibt er aber weiter erfolglos, was auch seine Beziehung in Gefahr bringt. Der Sohn des Patriarchen dagegen beginnt eine Karriere als Theaterschauspieler und verliebt sich in die Ex des Freundes, was deren Freundschaft allerdings keinen Abbruch tut.

Die Last des Erbes liegt nun auf den beiden Schwestern, die als Duo weitermachen, aber mit ihren einfachen Neuerungen der alten Puppenstücke das prekäre Tourneetheater kaum über Wasser halten können. Regisseur Garell, ein alter Bekannter auf der BERLINALE, hat hier mit seinen eigenen Kindern gedreht. Ein sehr französischer Film, der eher mit Leichtigkeit als mit großem Ernst und Tiefe diese Familiengeschichte erzählt. Nebenbei rückt der Film auch starke Frauen in den Mittelpunkt. So überzeugt der Lebenswille der für ihr Alter immer noch recht progressiven Großmutter. Eine der Schwestern erzählt von ihren politischen Aktionen für einen französischen Ableger der feministischen Frauengruppe Femen. Während die Männer ihrem künstlerischen Ego frönen, halten sie den Laden mit viel Enthusiasmus am Laufen, auch wenn der Große Karren am Ende sprichwörtlich zerbricht.

Bewertung:    



Le Grand Cariot | (C) Benjamin Baltimore - 2022 Rectangle Productions

Stefan Bock - 25. Februar 2023
ID 14061
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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