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BERLINALE

WETTBEWERB

Sage femme / El Bar



Im Hauptprogramm der BERLINALE gab es beides: Einerseits traditionelles, gediegenes Erzählkino für die reiferen Zuschauer wie z.B. Volker Schlöndorffs neuen Film oder auch Sage femme (Der Kuss von Beatrice) vom französischen Regisseur Martin Provost, andererseits überdrehtes Achterbahnkino, das auf herkömmliche Tugenden wie Kongruenz oder Glaubwürdigkeit pfeifft, wie z.B. der spanische Beitrag El Bar [dazu später] - zunächst also zur küssenden Béatrice, gespielt von der noch immer Grandezza versprühenden Grande Dame des französischen Films, Cathérine Deneuve – einem Stammgast auf der BERLINALE:

Die eigentliche Hauptfigur der Story ist jedoch Claire (die andere Cathérine des französischen Starkinos, Cathérine Frot), die aus Überzeugung und Leidenschaft als Hebamme arbeitet. Claire wohnt in einem Plattenbau am Stadtrand von Paris und wirkt durch die schwierige finanzielle Situation und die Anstrengungen verhärmt, die ihr der Beruf und das jahrzehntelange Alleinerziehen des nun erwachsenen Sohnes abverlangt haben. Als sich nach über zwanzig Jahren urplötzlich Béatrice, die ehemalige Geliebte ihres verstorbenen Vaters, meldet, blockt die an sich hilfsbereite Claire zunächst brüsk ab. Denn sie macht die flatterhafte, leichtsinnige Béatrice dafür verantwortlich, dass die Ehe ihrer Eltern zerbrochen ist und ihr Vater den Freitod wählte, nachdem ihn Béatrice Knall auf Fall verlassen hat. Béatrice ist immer noch kapriziös und laut, aber auch todkrank. Da ihr eine riskante Operation bevorsteht, will sie mit Claire reinen Tisch machen, v.a. aber in den wohlmöglichen letzten Monaten ihres Lebens nicht alleine sein.

Claires hat ein zu weiches Herz, um den Wünschen Béatrice‘ zu widerstehen, und außerdem stellt sie überraschend fest, dass deren Temperament und Lebensfreude ansteckend wirkt. Die eine Frau lernt von der anderen, auch wenn die Vorzeichen für die Begegnung tragisch sind. Martin Provost (Séraphine, Violette) erzählt diese Fraue(n)geschichte(n) mitfühlend und mit den nötigen Prisen Humor und Dramatik. Doch trotz der wunderbaren Schauspielkunst seiner Darstellerinnen, zu denen sich für eine Szene auch eine weitere weibliche Filmlegende hinzugesellt, Mylène Demongeot (hierzulande bekannt als schöne Blondine aus den Fantomas-Serie der 1960er Jahre), bleibt die Tragikomödie unter ihren Möglichkeiten. Allzu vorhersehbar entwickelt sich das Gegen- zum Miteinander der beiden Hauptfiguren.





Sage femme | (C) Michael Crotto


*

Die spanische Farce El Bar ist erkennbar für ein jüngeres Publikum konzipiert, dass Filme hauptsächlich im Internet konsumiert und per Mausklick sekundenschnell von einem Format und einem Genre zum anderen wechselt. Diesen Sehgewohnheiten begegnet der renommierte Regisseur Alex de la Igelsia, indem er in seinem Film Elemente des Katastrophen- und Actionfilms, der Komödie, der Satire, des Dramas und des Kriminalfilms zusammenrührt und mit knalligen Effekten versieht, bei denen man als Zuschauer bisweilen den Kopf zur Seite dreht und sich sagt „au Scheiße“. Und das ist wörtlich gemeint, denn im hochtourigen Schlussfinale müssen die restlichen Überlebenden des Figurenensembles ihr Heil in den Abwasserkanälen Madrids suchen. Doch auch zuvor schont de la Iglesia seine Schauspieler nicht, sondern schickt sie durch eine Tour de Force, bei der den Figuren, aber auch den Zuschauern nicht ganz klar ist, ob sie Opfer eines Terroranschlags, einer Verschwörung oder eines Alptraumes geworden sind.

Schon der Vorspann mit riesenhaften mikroskopischen Aufnahmen sich ausbreitender Mikroben, Viren, Milben und anderen Minigetiers lassen nichts Gewöhnliches erwarten. Die mit fließender Handkamera gedrehte Eingangssequenz, in der bereits einige der Hauptfiguren quasi im Vorbeigehen vorgestellt werden, ist fast die einzige Außenaufnahme des Films. Zusammen mit einer jungen Frau landen wir in einer typischen spanischen Bar, die für das anschließende Kammerspiel der einzige Schauplatz ist. Ohne jedes Vorzeichen werden vor der Tür der Kneipe zwei Männer beim Hinaustreten erschossen. Der Rest der Gäste verschanzt sich im Lokal und beginnt, Überlebensstrategien anzustellen. Das Verschweigen der Vorfälle in den Nachrichten und die schlechte Erreichbarkeit aller Smartphones (beides nur leidlich realistisch) lässt Spekulationen blühen. Klar ist: Es muss sich um ein größeres Komplott handeln. Im Verlauf der Handlung zeigen die nach spanischer Großstadttypologie entworfenen und teils Klischees bedienende Figuren ihr wahres Gesicht: Wer ist rücksichtsloser Egoist, wer denkt solidarisch, wem brennen aus Angst und wegen seiner Vorurteile die Sicherungen durch?

So begrenzt die Schauplätze sind, so atemlos ist der Film inszeniert und geschnitten. Auch die Dialoge werden im Stakkato aufgesagt, sodass man die Untertitel kaum mitverfolgen kann. Das Figurenensemble wird Opfer der eigenen Missgunst und durch eigene wie fremde Hand im Umfang reduziert. Bis dann in besagtem Dreckwasser der Showdown ansteht. Wer sich an grellen Übertreibungen und unwahrscheinlichen Wendungen nicht stört, sondern dem zeitgenössischen Kino Freiheiten zugesteht, um mit der Online-Konkurrenz mitzuhalten, wird in El Bar sein Vergnügen haben. Diese Freiheiten, die den Film in eine Art Achterbahnfahrt verwandeln, unterminieren freilich auch, dass die Metaphern auf ein Versagen der westlichen Zivilisation durch Terrorangst, Verschwörungstheorien und mangelnde Humanität überzeugend vermittelt werden.





El Bar | (C) Berlinale


Max-Peter Heyne - 20. Februar 2017
ID 9862
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de


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