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BERLINALE

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The Dinner / T2 Trainspotting



Nach einem gelungenen Auftaktfilm am ersten Tag der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin, dem der ebenso schmissigen wie eindringlichen Jazzmusiker-Biografie über den Gitarristen Django Reinhardt, Django [Kritik erfolgt zum Kinostart im August 2017], ging es an den ersten Festivaltagen auch mit weiteren, interessanten und sehenswerten Filmen im Hauptprogramm, dem Wettbewerb weiter: Das US-Familien- bzw. Psychodrama The Dinner und der Fortsetzung des britischen Kultfilm Trainspotting, T2 Traisnspotting (außer Konkurrenz).


* * *

The Dinner
USA, Regie: Oren Moverman, 120 Min.

Man merkt diesem mit schwergewichtigen und wichtigen Themen prall gefülltem Film an, dass es sich um Romanverfilmung handelt. Der Dramaturgie der Vorlage wirkt wahrscheinlich reich und nicht voll, weil sich Literatur über viele Seiten Zeit lassen kann, all diese Themen unauffälliger und wie nebenher in den Handlungsverlauf zu knüpfen. Aber dass der Film unelegant und sperrig wirken würde, kann man Regisseur Oren Moverman und seinem Team nun auch nicht vorwerfen, dazu ragen die Kameraarbeit, die Montage und v.a. die Leistungen der Darstellerriege zu deutlcih über das Normalmaß heraus. Der Film ist ein optischer und schauspielerischer Genuss, und dann nimmt man auch gerne die eine oder andere dramaturgische Abschweifung in Kauf.

Außerdem hat auch das Drehbuch die eine oder andere Raffinesse in petto, die für Überraschungen sorgen. So wird das Brüder- bzw. Familiendrama weitgehend aus der Perspektive des einen, Paul (einsame Klasse: Steve Coogan), erzählt – teils sogar per Erzählerstimme aus dem Off. Paul erscheint dank seines gallenbitteren Zynismus, mit der über den Kulturverfall der westlichen Gesellschaften, v.a. im Bereich Politik, Medien und Erziehung, und über seinen Bruder, einem karrieregeilen US-Kongressabgeordneten, herzieht, in der ersten Hälfte des Films als die mit Abstand sympathischste Figur. Und doch wird schon nach den ersten Szenen deutlich, 1.) dass der gebildete, feinfühlige Paul es mit seinen Attacken auf die bedenklichen Entwicklungen innerhalb der modernen Demokratien übertreibt und 2.) dass mehr hinter seiner Besserwisserei verborgen ist als es bei Pädagogen üblich ist. Nur sind zu diesem Zeitpunkt seine Beweggründe für die Nörgeleien noch nicht bekannt. Sein Bruder Stan (nobel und entschlossen: Richard Gere) wirkt mit seiner Fixierung auf politische Klüngelei und bürokratische Winkelzüge, dem unablässigen Handy-Gebrauch und seiner selbstbezogenen Art wie das Zerrbild des abgehobenen, sich in elitären und saturierten Zirkeln bewegenden Bundespolitikers, der sich mit seiner Verwandtschaft nur dann noch abgibt, wenn es unbedingt sein muss.

Und es muss sein, denn die beiden Söhne der so ungleichen Brüder haben, halb betrunken, halb im Übermut, ein schreckliches Verbrechen begangen, das die Zukunft beider Familien ruinieren würde, wenn es ans Tageslicht käme (was sich abzeichnet). Von dem Verbrechen, der Entstehung der Geschwisterrivalität und dem Zerwürfnis zwischen den Brüdern erfährt der Zuschauer erst peu á peu durch ineinander verschachtelte Rückblenden, die für die schon genannte Komplexität sorgen, die man wahlweise als Reichtum oder Überfülle auffassen kann. Was es zu bereden gibt, schwebt also wie ein Damoklesschwert über der Verabredung der Brüder mit ihren Ehefrauen (perfektes Casting: Laura Linney und Rebecca Hall) zu einem Dinner in einem Luxusrestaurant. In dem palastähnlichen Gebäude ist die Personalarmada stolz auf seine Molekularküche, mit der es seine betuchten Gäste verwöhnt. Doch genießen können die beiden Paare die lukullischen Köstlichkeiten nicht – zu vielfältig sind die Ablenkungen für den Kongressabgeordneten, der eigentlich nicht gestört werden will, aber selber zu inkonsequent ist, sich an diese Weisung zu halten.

Vor allem aber wiegen die Abneigungen zwischen den Brüdern und das Verbrechen der Söhne zu schwer, als dass sich die Ehepaare in der kurzen Zeit des Dinners zugunsten einer stabilen Lösung ihres Problems zusammenraufen könnten. Gegen Ende gewinnt ausgerechnet der schmierige Stan an moralischer Statur, indem er an den Anstand der Anwesenden appelliert – und sei es, weil er weiß, dass ein Herummogeln um unbequeme Wahrheiten ihm jede politische Glaubwürdigkeit kosten würde. Der Ausgang bleibt trotzdem offen. Dazwischen freilich wird ein vielschichtiges Mosaik (spezifischer) familiärer und (allgemeingültiger) gesellschaftlicher Verwerfungen entworfen, deren Bezüge – Alltagsgewalt, Vorurteile, Rassismus, ideologische und ökonomische Gräben – durch die zurückliegende Wahl in den USA zusätzliche Brisanz und Gewicht erhalten. Kein aufgesetztes Starkino, sondern ein ernstzunehmender Wettbewerbsbeitrag des anspruchsvollen US-Independent-Kinos.





The Dinner | © 2016 Tesuco Holdings Ltd


*
T2 – Trainspotting
Großbritannien, Regie: Danny Boyle, 117 Min.

Erfreulich auch, dass der britische Regisseur Danny Boyle mit der Fortsetzung seine Kultfilmes Trainspotting von 1996 die Qualitäten des Originals erreicht: T2 – Trainspotting besteht aus derselben Mischung aus aberwitziger Tragik, teils brachialer Komik, temporeicher Action und subversiver Gesellschaftskritik mit einem großen Schuss Bitterkeit wie sein Vorgänger. Auch T2 ist eine Romanverfilmung – allerdings veröffentlichte Kultautor Irvine Welsh seine Fortsetzung schon wenige Jahre nach Trainspotting (eine Umschreibung für einen Heroin-Trip), nämlich 2002 unter dem Titel Porno, der bei der Kritik im Gegensatz zum vorigen Roman durchfiel. Insofern war es eine gute Entscheidung von Regisseur und Drehbuchautor Danny Boyle (28 Days later, Slumdog Millionär), sich Zeit zu lassen, bis sein zeitweise zerrüttetes persönliches Verhältnis zum Hauptdarsteller Ewan McGregor wieder gekittet war, und sich mit gebührendem Abstand zum ersten Teil nur lose an der Vorlage zu orientieren (Drehbuch: John Hodge).

Denn natürlich wäre eine Fortsetzung ohne McGregor nicht denkbar gewesen, der den manierlichsten und ambitioniertesten der vier Junkies, Renton, gespielt hat, der seine Kumpane am Schluss von Trainspotting um ihre Beute betrogen hat. Und die Neugier ist nach nach 20 Jahren deutlich größer als sie es nach nur acht Jahren gewesen wäre, was denn aus den vier Anti-Helden aus der Stadtrandsiedlung der schottischen Hauptstadt Edinburgh geworden ist, nachdem Renton sich aus dem Staub gemacht hatte. Nun, nicht viel und nichts Gutes: Der gutmütige Schlacks Spud (Ewen Bremner) ist nach einem kurzen Versuch, eine bürgerliche Existenz zu führen, rückfällig geworden und hat dadurch Ehefrau und Sohn verloren. Simon „Sick Boy“ führt den heruntergekommenen Pub seiner Tante erfolglos weiter und erpresst zum Lebensunterhalt zusammen mit seiner hübschen bulgarischen Freundin Veronika (Anjela Nedyalkova) reiche Männer aus dem gehobenen Milieu, die Veronika zu Sado-Maso-Spielen ins Bett lockt. Der aggressive Gewohnheitsverbrecher Francis „Franco“ Begbie (Robert Carlyle) sitzt erwartungsgemäß eine lange Haftstrafe ab, kann aber fliehen und taucht bei seiner Exfrau unter, mit der er einen ansehnlichen Sohn hat, der keine Lust verspürt, in die kriminellen Fußstapfen seines Vaters zu treten.

Renton selbst wiederum ist nur kurzfristig mit der Beute glücklich geworden und kehrt – mehr aus Nostalgie als aufgrund konkreter Zukunftspläne – am Beginn des Films in die triste Edinburgher Vorstadt zurück, wo er gerade noch rechtzeitig einen Selbstmordversuch Spuds vereiteln kann. Während dieser Renton nach einer kurzen Schlägerei den Verrat von 1996 verzeiht (Spud erhielt einen Anteil von Renton), lässt sich Sick Boy nicht so einfach beruhigen. Und der psychopathische Begbie flippt bei der zufälligen Begegnung mit Renton auf einer verdreckten Männertoilette in einem Technoclub völlig aus und sinnt auf Rache. Dies gefährdet dann auch die Pläne von Renton, Spud und Sick Boy, mittels Geldern aus einem Strukturfond der EU (noch geht sowas in Britannien) den miefigen Pub in ein Hochglanz-Bordell zu verwandeln. Natürlich gibt es für die Fans des ersten Teils viele Anspielungen und optische Reminiszenzen, wenngleich die genaue Kenntnis des Vorgängers nicht nötig ist, um seinen Spaß an der rasanten, actionreichen Tragikomödie zu haben.

Was auch in dieser Fortsetzung beeindruckt, ist die Kunst Danny Boyles, Loser-Typen und Drogenabhängige in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, und dennoch eine mitreißende Geschichte zu erzählen, in der es nicht vor Elend und Verzweiflung strotzt, wie wir es aus realistischen Gesellschaftsdramen vornehmlich mittel- und osteuropäischer Provenienz kennen. Wie schon in Trainspotting strotzen die Anti-Helden trotz aller widrigen Umstände vor so viel Chuzpe und (krimineller) Energie, dass die Atmosphäre immer bis zum Anschlag aufgeheizt ist. Dazu findet der durch die dänischen Dogma-Filme berühmt gewordene Kameramann Anthony Dod Mantle aufregende Bilder mit wohldosierten, visuellen Effekten und teils krass realistischer, teils digital aufgepeppter Anmutung.

Mit geradezu dämonischem Vergnügen demontiert Danny Boyle seine ohnehin aufgeblasenen, machohaften Anti-Helden im Verlauf der Handlung immer weiter und zeigt, dass eine rundweg verächtliche, destruktive Haltung gegenüber den Sachzwängen einer bürgerlichen Gesellschaft – unabhängig von moralischen Erwägungen – in eine Sackgasse führt. Allein die am Rande mitwirkenden Frauenfiguren kriegen die Kurve, stellen sich als Mütter ihrer Verantwortung und sind damit die einzigen "erwachsenen" Charaktere. Mit einer bitteren Volte geht die scheinbar naiv-dümmliche Veronika als wahre Siegerin des kriminellen Geklüngels vom Platz.





T2 Trainspotting | © Sony Pictures Releasing GmbH

Max-Peter Heyne - 12. Februar 2017
ID 9833
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de


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