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BERLINALE

Resümee (1)

zum Wettbewerb u.a.



Jedes Jahr sage ich mir: Voller kann es doch eigentlich nicht mehr werden. Aber Pustekuchen, es gibt auch nach 65 Jahren Berlinale immer noch mehr Ansturm an den Kassen, mehr Gedränge vor den Kinosälen und Diskussionsarenen. Ein Grund ist sicherlich auch die ständig steigende Zahl von Menschen, die speziell in Berlin in der Film- bzw. Medienbranche arbeiten, aber auch die wachsende Zahl an Studenten. Ich hatte wohl einigermaßen Glück, denn als zu Beginn der Berliner Filmfestspiele tagsüber noch Minusgrade herrschten, musste ich nur dreimal für ein paar Minuten in einer Menschenmasse herumstehen. Da habe ich dann wieder einmal stumme Vorwürfe an (den mir persönlich nie vorgestellten, längst verstorbenen) Kollegen Wolf Donner gen Himmel gesandt, der die Berlinale anno 79 vom Juli in den Februar verlegte, um gegenüber Cannes bessere Karten zu haben.

Ein generelles Lob ist den Organisatoren, Technikern, Vorführern, Betreuern und Ticketkontrolleuren zu zollen, die angesichts der schieren Zahl an Menschen und Terminen weder den Überblick noch die Nerven verloren haben, sondern es (manchmal zu meinem Leidwesen) fertiggebracht haben, stets pünktlich mit der Projektion zu beginnen. Auch ist Gedränge nicht immer nervig. Manchmal lernt man beim Hineintrotten in den Kinosaal oder in den Nachbarsitzen auch nette (und hübsche!) Leute kennen, mit denen man Tipps austauschen kann. Freilich sind die Geschmäcker verschieden, aber wenn jemand vor Langeweile und unsinniger Dramaturgie warnt, ist da meistens was dran.




Gedränge auf der BERLINALE - Foto (C) Max-Peter Heyne


Das Herzstück des Festivals, der Wettbewerb, präsentierte sich nach den ersten Tagen leider nicht so überzeugend wie die Organisation. Viele Kolleginnen und Kollegen waren angesichts des Eröffnungsfilms bereits gereizt. Die internationale Koproduktion Nobody wants the Night der spanischen Regisseurin Isabel Coixet führte Beweis, dass nicht jeder Film einer Frau besser sein muss als die von Männern – zumindest in dieser Hinsicht herrscht Gleichberechtigung. Für eine größere Zahl an Filmen von Frauen engagierte sich eine Gruppe deutscher Filmemacherinnen, indem sie sich in einer durchsichtigen Plastikkugel direkt vor dem mondänen Hotel Ritz postierten. Eine auffällige Aktion, die ebenso wie die „ProQuote“-Forderung sehr unterschiedlich bewertet wurde – auch von betroffenen Künstlerinnen.

„Nobody wants the film“ – das konnte Frankreichs Superstar Juliette Binoche nicht verhindern, die auf der Leinwand als erste Frau im grönländischen Eis immerhin dafür sorgte, dass das Berliner Winterwetter wenigstens gefühlt etwas milder wirkte. Das thematisch offenbar sehr ähnlich gelagerte Emanzipationsmelodram Queen of the Desert von Altmeister Werner Herzog wurde bald darauf von Kollegen als noch schmonzettiger und das Thema verschenkend gebrandmarkt, sodass ich meine Karte umtauschte. Frauen, die im Eis oder in der afrikanischen Sahara ihren Mann stehen, haben ja eigentlich Potenzial für Großes. Doch letztlich wirkten jene Filme emotional viel stärker, die mit viel weniger Aufwand gedreht worden waren, darunter viele der Gewinnerfilme.

Ich selbst hatte jedenfalls Glück und erwischte mit dem kammerspielartigen englischen Wettbewerbsfilm 45 Years über ein altes Ehepaar, das unversehens in eine Krise gerät, einen wirklich anrührenden, sehr subtil inszenierten und mit Charlotte Rampling und Sir Tom Courtenay (Die Einsamkeit des Langstreckenläufers, das müsste es bei den Älteren klingeln) hervorragend gespielten Film. Auch das raffinierte Spiel mit dem Mythos Sherlock Holmes in Mr. Holmes, der als 92-jähriger (Ian McKellen) auf seinen größten emotionalen wie beruflichen Misserfolg (bei einer Lady) zurückblickt, war vorzüglich gespieltes, englisches Qualitätskino. Leider lief er außerhalb der Konkurrenz, aber in diesem Jahr waren diese zusätzlich ins Hauptprogramm gehievten Produktionen endlich einmal nicht durchgehend qualitätsvoller als die innerhalb des Bärenwettbewerbs.

Wie in der Achterbahn ging es weiter, wobei viele der späteren Gewinnerfilme zur Halbzeit des Festivals liefen und sich am Ende des Wettbewerbs wieder viele Filme fanden, die ihrem interessanten Thema nicht gerecht wurden. Dass im ärmsten europäischen Land, Albanien, Mädchen und Frauen auf dem Land geknechtet und bevormundet werden, ist beklagenswert. Aber wer derlei unselige Traditionen und den Kampf um mehr Gleichberechtigung so angestrengt und langatmig erzählt wie die italienische Regisseurin Laura Bisputi in Vergine Giurata (Sworn Virgin), darf sich nicht wundern, wenn Verleiher oder Zuschauer darum einen Bogen machen. Schade auch, dass alle in den letzten Tagen des Wettbewerbs präsentierten asiatischen Filme mehr oder weniger abschmierten. Natürlich ist es lobenswert, wenn mal ein vietnamesischer Film läuft (Big Father, Small Father and Other Stories), der durchaus auch einige schöne Momente und Bilder aufweist. Aber die Aneinanderreihung von Alltagssituationen einer Gruppe junger Leute mangelte es wie so vielen Wettbewerbsfilmen an Dramaturgie, Geschlossenheit und überzeugenden Identifikationsfiguren.
Dies galt leider auch für den neuen Spielfilm des englischen Multitalents Peter Greenaway. Die historisch überlieferte Episode, wie der russische Stummfilmregisseur Sergej Eisenstein beim Drehen eines Films in Mexiko nicht zu Potte kommt (Eisenstein in Guanajuato), war mit weniger visuellen Spielereien gespickt als Greenaways Filme aus den späten Achtziger und Neunziger Jahren – wenn man eine explizite schwule Sexszene davon ausnimmt, die offenbar als Schlag ins Gesicht der heutigen russischen Tugendwächter gedacht ist. Aber gerade wegen dieser gewissen Zurückhaltung im Optischen wäre die emotionale Grundierung seiner Figuren wichtig gewesen.

Nachvollziehbare Psychologie und dramaturgische Kraft und Kohärenz wurde vor allem im japanischen Beitrag des Regisseurs Sabu, Chasuke’s Journey, vermisst. Denn hier war die Ausgangsidee so charmant und bestechend: Für die Schicksale der Menschen auf Erden ist eine Gruppe himmlischer Drehbuchautoren zuständig, die alle zusammen an einem gigantischen Script schreiben. Eines Tages will sich der Teebursche der Schreiberschar nicht mit dem Unfalltod einer schicksalsgebeutelten jungen Frau abfinden, den ein gehässiger Autor ins himmlische Drehbuch gepinselt hat, und springt auf die Erde. Nur wenig Zeit bleibt dem jungen Mann, positiv in die "Geschichte" einzugreifen. Der Film ist gespickt mit Anspielungen auf moderne Filmklassiker wie Der Himmel über Berlin, Der Mann, der vom Himmel fiel oder Titanic. Aber weder überzeugt die Figur des Pseudo-Engels, der allzu tapsig wie eine Comicfigur durch den Film stolpert, noch die zerfaserte Dramaturgie, die ihre Grundidee aus den Augen verliert und sich in Details verliert.

Nüchtern betrachtet erzeugt also die Mehrheit der Wettbewerbsfilme allenfalls im Rahmen eines Festivals ein gewisses Interesse. Außerhalb dieses Rahmens werden sie kein globales Publikum (bzw. einen Verleih) finden. Das bedeutet indes nicht, dass der Wettbewerb in diesem Jahr qualitativ so schwach war wie in den vorangegangenen Jahren. Mindestens die Hälfte der Filme war sehenswert, was sich dann ja auch in einer breiten Preisvergabe wiederspiegelte. Die flammende Rede, die Festivaldirektor Dieter Kosslick am letzten Tag vor der Verleihung der Preise der diversen unabhängigen Jurys hielt, und in der er für friedliche, demokratische Lösungen für die drängenden, religiösen und politischen Konflikte anmahnte, gereicht ihm zur Ehre. Doch deswegen ist nicht gleich jeder Film, der ein wichtiges soziales und politisches Anliegen hat, es aber filmisch nicht überzeugend vermitteln kann, im Wettbewerb dieses großartigen, aber überladenen Festivals gut aufgehoben.
Max-Peter Heyne - 16. Februar 2015
ID 8439
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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