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Provokation als Berufung – Chomskys lebenslanger Kampf für die abweichende Meinung in der Öffentlichkeit

Von Mohammed Khallouk


Die Sprache als Instrument, den Intellekt zur Geltung zu bringen

Über Jahrzehnte galt der 1928 in Philadelphia (Pennsylvania, USA) geborene Linguist Noam Chomsky als der bedeutendste Intellektuelle der Vereinigten Staaten, obwohl seine gesellschaftspolitischen Statements in den wichtigsten Presseorganen des Landes nur selten zur Geltung gebracht werden konnten. Der Grund scheint darin zu liegen, dass man dort seine Äußerungen, besonders jene zur amerikanischen Außenpolitik als Gefahr für die eigenen Konzerninteressen erachtet. Da er dennoch immer wieder Kanäle aufspürt, seine Sichtweisen an die Öffentlichkeit zu tragen, bleibt dem gewöhnlich regierungskonformen Establishment offenbar nichts anderes üblich, als seine Thesen als „Unsinn“ oder „realitätsfern“ abzuqualifizieren. Chomsky sieht darin jedoch geradezu einen Ansporn, seine Bekundungen publikumswirksam nach außen zu tragen.

Die Sprache erkannte der Sohn des ukrainisch-jüdischen Einwanderers und bedeutenden amerikanischen Hebreisten William Chomsky schon frühzeitig als wertvollste Eigenschaft des Menschen. Sie ermögliche es uns, unsere Gedanken einem Gegenüber mitzuteilen und diesen dadurch ebenfalls zum Nachdenken anzuregen. Als bedeutendste linguistische Pionierleistung Chomskys gilt folglich, der behavioristischen Tendenz in der amerikanischen Sprachwissenschaft ein Ende gesetzt zu haben und erstmals die kognitiven Fähigkeiten beim Spracherwerb in den Mittelpunkt zu stellen. Mit Hilfe einer Metasprache definierte Chomsky einzelsprachliche Ausdrücke und leitete aus dieser Metasprache Klassen von Grammatiken ab, die er in einer Hierarchie (die fortan nach ihm als Chomsky-Hierarchie bezeichnet wird) einordnete. Ihn imponierte, wie Kinder auf der ganzen Welt sich in der Lage zeigen, eine und sogar mehrere Sprachen zu lernen, wobei ihm offenbar die alttestamentliche Hervorhebung der Sprache als Gott gegebenes Instrument an den Menschen zur Benennung und Einteilung der Umwelt stets vor Augen war. Mit der Sprache ist es dem Menschen demnach nicht nur möglich, sich von den Tieren abzuheben, sondern zugleich Macht über sie zu erlangen. Allerdings ist die Sprache auch das Werkzeug, die Deutungshoheit gegenüber seines Gleichen zu gewinnen und wird zum Medium, unerreichbar große Ziele zu verkündigen, um sich über andere Menschen und letztlich über Gott zu erheben. Diese Hybris hatte schließlich nach dem Bericht der Tora bereits in antiker Zeit zur Zerstörung der sprachlichen Einheit geführt und menschliche Konfrontationen hervorgebracht, die auf Missverständnissen fußten.

Jenen, die internationale Gemeinschaft zerstörerischen Überlegenheitsanspruch nimmt Chomsky im heutigen Israel ebenso wahr wie im imperialen Habitus der gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik und sieht hierin die Ursache für ein gewaltsames gegen die westliche Symbolik gerichtetes Feedback, das sich aus Missverständnissen speist und allgemein als „Zurückweisung des amerikanischen Freiheitsideals“ aufgefasst wird. Chomsky zufolge sei der 11. September 2001 nicht wie von der amerikanischen Mainstreamöffentlickeit propagiert, in erster Line ein „Anschlag gegen die Werte der Freiheit“, sondern er repräsentiere den Widerstand der Ditten Welt gegen eine von egoistischen ökonomischen Interessen geprägte amerikanische Politik, die das ausbeuterische kapitalistische System Nordamerikas auf globaler Ebene zu etablieren bestrebt sei. Besonders die Arabische Welt leide darunter, dass der Westen im Allgemeinen, sowie die USA und Israel im Besonderen zwar öffentlich Demokratie und Menschenrechte zum universell erstrebenswerten Ziel erklärten, diesen jedoch nur dort ihre Realisierung zugestehen würden, wo sie zu den eigenen Kapital- und Herrschaftsinteressen keinen Widerspruch herauszögen. Da man hier offenbar nicht die Macht besitze, den Widerstand über die Sprache in der Öffentlichkeit wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen, wechsle man Chomsky zufolge auf die medienwirksam inszenierte Gewalt. Obwohl auch ihm der Weg zur öffentlichen Präsentation seiner gesellschaftspolitischen Visionen und Erkenntnisse bezüglich der gegenwärtigen politischen Realität immer wieder von den interessengeleiteten Medienkonzernen zu versperren versucht wird, sieht Chomsky seine Pflicht als Intellektueller darin, seinen Gedanken über das gesprochene und geschriebene Wort die Ausbreitung zu ermöglichen.


Anhänger realitätsfremder Verschwörungstheorien oder Sprachrohr einer schweigenden Majorität?

Die Tatsache, dass Chomskys politische Ansichten weit links vom amerikanischen politischen Establishment liegen und er mit Bewegungen wie dem seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kaum noch in Erscheinung getretenen Anarchosyndikalismus sympathisiert, lässt ihn die Stigmatisierung als „politischen Sektierer“ oder „weltabgewandten Utopisten“ anhaften. Man bezichtigt ihn, sich so sehr im Denkmuster seiner Wissenschaft zu bewegen, dass er keinen Zugang mehr zu den Anliegen der einfachen Bevölkerung habe. Chomsky selbst ist hingegen davon überzeugt, dass umgekehrt die Mehrheit der politischen Amtsträger und Publizisten, von Wirtschaftsinteressen gelenkt, ihrerseits Positionen vertrete, die mit den Ansichten der meisten Amerikaner und ihren Ansprüchen an die Politik nicht konform gingen. Die Medien seien daher permanent bestrebt, diese Auffassungen zwar zu erforschen, jedoch durch die Überbetonung von Randereignissen wie beispielsweise dem äußerlichen Auftreten von Präsidentschaftskandidaten, dem politischen Willen der Mehrheit kein Forum zur Verbreitung zu bieten. In der Manipulation durch die Medien erkennt Chomsky daher auch eine der größten Bedrohungen für die insgesamt sehr geschätzte amerikanische Demokratie und das darin verbürgte Recht auf freie Meinungsäußerung. So fordert er die mündigen Bürger zum Erhalt ihrer staatlich garantierten Grundrechte auf, Kurse für geistige Selbstverteidigung zu besuchen, um sich gegen Manipulation und Kontrolle wehren zu können. Welchen Stellenwert Meinungspluralismus für Chomsky hat, bewies er bereits 1979 bei der Unterzeichnung einer Petition zur Redefreiheit des französischen Professors Robert Faurisson. Die spätere Unterstellung in Teilen der französischen Öffentlichkeit, Chomsky hätte mit Faurissons geäußerten Zweifel an der qualitativen und quantitativen Dimension der Shoa sympathisiert, entbehrten bei dem in einem bekennenden jüdischem Elternhaus aufgewachsenen „Antifaschisten seit Kindertagen“ selbstverständlich jeglicher Grundlage.

Im Beschneiden der Meinungsfreiheit, auch für politische Randpositionen wie jenen Faurissons, wähnte der libertäre Sozialist hingegen gerade jene Tendenz zum Unitarismus und Antipluralismus, wie er im Hitlerfaschismus und Stalinismus perfektioniert worden sei. Nur wenn jegliche Minoritäten ihre Ansichten und Anliegen in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen dürften, sei die Freiheit der Majorität dauerhaft gesichert. Schließlich gingen freiheitliche und pazifistische Bewegungen immer zuerst von Minderheiten aus, die jedoch die Gesamtgesellschaft an ihren Erkenntnissen teilhaben ließe und damit Massenrevolutionen den Weg ebne. Gerne erinnert Chomsky an die Versuche der Obrigkeiten im Ersten Weltkrieg, Kriegsgegner wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, als „Vaterlandsverräter“ bezichtigt, die öffentlichen Erläuterungen ihrer Zurückweisung der imperialen Kriegspolitik zu verweigern. Diese Versuche seien jedoch langfristig gescheitert und im gesamten Volk hätte sich eine Antikriegsstimmung mehr und mehr ausgebreitet, so dass den Herrschern, die weiterhin die Macht in den Händen zu behalten bestrebt waren, nichts anderes übrig geblieben sei, als die Kampfhandlungen zu beenden. Ihr Vietnamabenteuer hätten die USA seinerzeit auch nicht aus Einsicht nicht weiter fortgesetzt, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass die Antikriegsbewegung, die anfangs vorwiegend aus Studenten und linksgerichteten Akademikern bestand, sich bei einer Andauer der kriegerischen Aktionen zu einem für die Regierung und die staatlichen Organe nicht mehr zu kontrollierenden Massenaufbegehren ausgeweitet hätte. Schließlich sei jeder prinzipiell in der Lage, vom gesunden Menschenverstand ausgehend, zu erkennen, wie der humane Fortschritt vorangetrieben werden könne. Intellektualität assoziiert Chomsky nicht mit einer bestimmten akademischen Ausbildung. Er weist vielmehr darauf hin, dass sein eigenes akademisches Profil, um bei den meisten amerikanischen Hochschulen zur Lehre zugelassen zu werden, nicht ausgereicht hätte und lediglich die Sonderkonditionen des Massachusets Institute of Technology (MIT) ihm die Laufbahn zum anerkannten Linguistikprofessor und Kreateur weltweit beachteter sprachwissenschaftlicher Theorien ermöglicht hätten. Er erkennt an, dass es vielen aufgrund privilegierter Stellung, gesellschaftlicher Schichtzugehörigkeit und ihres Opportunismus leichter gegeben sei, sich mit ihren Ideen an die Öffentlichkeit zu wenden. Hiermit erwiesen sie sich keineswegs als intellektueller als ein Taxifahrer, der zufällig über die Dinge nachdenke und das möglicherweise klüger und weniger oberflächlich. Denn der Zugang zur Öffentlichkeit stelle sich immer wieder als eine Frage der Macht heraus. Die gegenwärtig in den USA Regierenden verträten zwar durchaus in den verschiedensten Politikbereichen von der Bevölkerungsmehrheit erkennbar abweichende Auffassungen, da sie jedoch über die politische wie die ökonomische Macht verfügten, besäßen sie das Potential, ihre Sichtweise als „Einstellung Amerikas“ schlechthin erscheinen zu lassen.


Pathologisierter Gegner Israels oder Kämpfer für Gleichberechtigung zwischen Juden und Arabern?

Die häufige Parteinahme Chomskys für arabische und palästinensische Positionen hat ihm den Leumund der „Schwarz-Weiß-Malerei“ im Nahostkonflikt und gelegentlich sogar eines „jüdischen Antizionismus“ eingetragen. Diese Stigmatisierung entstammt vor allem aus einer Unkenntnis über seine Biographie. So hatte er bereits als jung verheirateter, politisch interessierter Zeitgenosse den institutionellen Aufbau des jüdischen Staates intensiv verfolgt. 1953 ist er sogar zusammen mit seiner Frau, der im vergangenen Jahr verstorbenen Linguistin Carol Chomsky, nach Israel gezogen, um dort in einem linksgerichteten Kibbuz mitzuarbeiten. Trotz permanenter Differenzen mit den anderen Kibbuzmitgliedern hatte er eine Dauerexistenz dort ernsthaft in Betracht gezogen und distanzierte sich erst endgültig von diesen Plänen durch die plötzlich erkannten akademischen Karriereaussichten am MIT.

Seine Sympathie für den israelischen Staatsaufbau ging jedoch von Anfang an mit der gleichzeitigen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der ebenfalls dort lebenden Palästinenser einher. So hatte er sich bewusst einen der selten anzutreffenden Kibbuzim ausgewählt, in dem ein bedeutender Teil der Mitarbeiter keine Juden, sondern muslimische Araber waren. Er plädierte seinerzeit noch für das Konzept eines binationalen Staates mit einem jüdischen und einem arabischen Teil, die zusammen eine Konföderation bildeten. Mittlerweile hat er die von der internationalen Gemeinschaft favorisierte Zwei-Staaten-Lösung als einzige realistische Perspektive anerkannt. Der israelischen Politik und den sie unterstützenden US-Regierungen wirft er jedoch vor, trotz gelegentlich anderslautenden Äußerungen den Palästinensern einen lebensfähigen Staat grundsätzlich nicht zuzugestehen und nach wie vor der Wahnvorstellung eines „Großisrael in alttestamentlichen Grenzen“ anzuhängen. Hierbei sieht er die bewusste Zerstörung der materiellen wie physischen Existenz der Palästinenser und ihres Lebensraums als Methode. Er scheute sich nicht davor, im Zusammenhang mit den zu Beginn dieses Jahres erfolgten israelischen Luftangriffen auf palästinensische Dörfer im Gazastreifen den Begriff des „Genozids“ zu verwenden und sieht Vergleiche zur Tschetschenienpolitik Russlands oder der Kurdenpolitik der Türkei bzw. des Irak während der Herrschaft Saddam Husseins als legitim an.

Für den bekennenden Internationalisten Chomsky gilt das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das er nur als vorübergehend bis zur erstrebten „vollständigen Überwindung des Nationalstaates“ als relevant erachtet, für jede Nation gleichermaßen – für Juden ebenso wie für Araber und Palästinenser als legitimes Grundrecht. Wer dem Anderen seine Souveränitätsansprüche mit militärischer Gewalt und Repression vorenthalte, habe somit sein eigenes Souveränitätsrecht verwirkt. Er sieht es gerade für sich als amerikanisch-jüdischen Intellektuellen als Pflicht an, auf vom Staat Israel begangenes Unrecht die Aufmerksamkeit zu lenken ebenso wie er als „kritische Stimme Amerikas“ auf eine amerikanische Beteiligung an jenem Unrecht beständig hinzuweisen versteht. Nur durch die Provokation der Öffentlichkeit mittels Aufdeckung „unangenehmer Wahrheiten“ sei die Grundlage gegeben, den falsch eingeschlagenen Weg zu verlassen und den Keim für eine Zukunft in Solidarität und Mitmenschlichkeit zu pflanzen. Hierbei sieht er Israel ebenso moralisch gefordert wie die anderen Völker und Staaten, denn eine Globalisierung, die auf diesen universell gültigen Werten basiere, könne nur gelingen, wenn jeder seinen Beitrag in Schrift, Wort, im alltäglichen wie im politischen Handeln dazu leiste. Chomsky jedenfalls wird bis zu seinem Tod keine Ruhe geben. Er wird seine Finger beständig auf die dunklen Flecken der westlichen, christlich-jüdisch geprägten Gesellschaft legen, getragen von der Hoffnung, dass die dahinter stehenden, bereits in der alttestamentlichen Ethik gelegten Ideale nicht nur die öffentlichen Proklamationen der Herrschaftseliten, sondern darüber hinaus die westliche Politik bestimmen.

Mohammed Khallouk 2009
ID 00000004432


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