Inge Keller las
Die Schöpfung
von Franz Fühmann
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Inge Keller - Foto: F. Becher
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Inge Keller, ungefähr im gleichen Alter wie Franz Fühmann (1922-1984), las am Sonntagvormittag dessen Erzählung DIE SCHÖPFUNG. (Dass sie hiermit ihres 60 Jahre jungen Bühnenjubiläums am DT, wo ihre Lesung stattgefunden hatte, auch gedachte, ging in Anbetracht der suggestiven Wucht und Aktualpräsenz dieses Paradebeispiels deutscher Nachkriegsprosa beinah unter...)
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In der auktorial geschriebenen Geschichte ist von Ferdinand Wildenberg, einem jungen Wehrmachtssoldaten, der seine allererste Front- und Kriegserfahrung macht, die Rede. Mit einem Trupp von Gleichgesinnten gerät er in ein verlassenes griechisches Fischerdorf; die Partisanen haben die Einwohner rechtzeitig genug vorm Einfall der Deutschen gewarnt gehabt... Die Invasoren durchkämmen Haus für Haus, der stolze Wille der Eroberung sowie die gleichzeitige Angst vor bösen Überraschungen lässt diese Männer zielstrebig und ziellos gleichenteils agieren... Ferdinand stößt unverhofft, in einem jener durchzukämmenden Behausungen, auf eine im Sterben liegende Greisin; sie steht als seine Erstbegegnung mit dem Feind, an ihr arbeitet er sein von der Pike auf zurechtgestutztes und zurechtgebogenes Gedankengut vom deutschen Übermenschen ab; Worte wie "wie die Tiere hausen" oder "Untermenschen" drängen sich ihm, rück- und vorblickender Weise, auf; er konnte und er kann jenen Kultur- und Lebenkreis, in den er ungebeten (widerrechtlich) eingebrochen ist, nicht/nie verstehen - seine "instinktiven" Ressentiments wirken jetzt und hier; die Lehre von dem deutschen Übermenschen und den lebensunwürdigen Minderheiten, die es auszumerzen gälte, so wie er es Jahr um Jahr über die Volksempfänger eingebläut bekommen hat, greift jetzt wie'n donnergleiches Bibelwort - "... und hatte sich Ferdinand W. bislang nichts Rechtes bei diesem Wort vorstellen können, so hatte er nun mit eigenen Augen gesehen, was der Untermensch war, und er war einverstanden mit dem Gedanken, ihn auszurotten, wenn er auch wußte, daß es utopisch war."
Die Greisin stirbt ihm unter seinen Stiefeln.
Ferdinand fordert sie - seine Gefangene - demungeachtet auf, sich endlich zu erheben, dass sie abgeführt würde...
Am Schluss kippt Fühmann Alles; Ferdinand erblindet und erstarrt vorm wundersamen Auftreten der Schöpfung Mensch (der Schöpfung Mensch an sich) - "...war aus dem Nichts erschienen, und der junge Soldat, seine Waffe hochreißend, sah nur zwei brennende Augen und eine hochfahrende Hand, und in seinem Hirn war es wüst und leer und Finsternis, und er sah der Hand einen Blitz entfahren, ein ungeheures Licht zersprengte ihn und alle andern, und dann war nichts mehr als die große heilige Ruhe des siebenten Tages." (Franz Fühmann, DIE SCHÖPFUNG)
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Der Atem wollte Einem stocken.
Inge Keller machte - und womöglich überhaupt nicht unbeabsichtigt - auf eine Geisteshaltung aufmerksam, die (wieder?) irgendwie Salonfähiges, Stammtischhaftes sowieso, zu kriegen droht.
Ja und selbst wenn man Sarkozy / Sarrazin (Beispiel I / II) keine Fremdenfeindlichkeiten unterschieben wollte, bliebe dennoch - und nachdem sie ihren "unbedachten" Worten Taten oder keine Taten folgen ließen - dieser so und so nach lauter Scheiße schmeckende Volks- und Gefechtsküchengeschmack.
Wehret den Anfängen, sagte angeblich Cicero...
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Andre Sokolowski - 19. September 2010 ID 00000004837
Inge Keller liest Fühmann's DIE SCHÖPFUNG (Deutsches Theater Berlin, 19.09.2010)
Einrichtung und Mitarbeit: Hans-Martin Rahner
Bühne: Eberhard Keienburg
Licht: Heimhart von Bültzingslöwen
Ton: Fritz Schimmelpfennig
Inspizienz: Eria Kurth-Luxath
Musik aus Partita von Krzysztof Penderecki
Rechte: Hinstorff Verlag GmbH Rostock
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
http://www.andre-sokolowski.de
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