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Das Leben als Gegenveranstaltung

Die Humoristin Helene Hegemann – ihr zweiter Roman ist ein komischer Volltreffer


Helene Hegemann - Piep, piep, piep und alles hat sich lieb | Foto (C) Jamal Tuschick



Kurz. Kurz. Kurz. Die Kreuzberger St. Agnes Kirche war kurz sakral, erst kurz katholisch, dann kurz evangelisch. Ihre Schutzheilige, eine Adelige Roms, blieb auch nicht lange von dieser Welt. Der ehrgeizige Bau wurde säkularisiert. Trotzdem stutzt die hochfahrende Architektur das menschliche Maß. Sie kupiert die Formate der Selbstvergrößerung coram publico. Wer auch immer sich hier präsentiert, es steht Klein-Erna da. Zuerst zeigt sich das am Beispiel der Hanser Berlin-Chefin Elisabeth Ruge. Wie eine Fliege klebt sie an der Wand, man glaubt, die Praktikantin spricht - und denkt, was will die denn. Meine Aufmerksamkeit kriegt sie jedenfalls nicht. Besser, man kramt noch ein bisschen im Beutel und quatscht dem Nachbarn aufs Ohr. Man fotografiert das Ohr mit seinem Telefon für die Nachwelt und stellt sich schweren Fragen. Soll das Judith Hermann sein? Nein, das ist die Syphilis Monte von der rheinischen Rock’n’Roll-Review. Ist die alt geworden. Money von Dannen taucht auf wie die grüßende Hand aus dem Grab. Plötzlich wird klar, die vermeintliche Attention Whore ist Königstochter Elisabeth aus Ungarn. Die heilige Elisabeth. Gerade schickt sie „einen Gruß nach oben“, das sagt sie so, glatt durch die Decke in den Himmel über Berlin. „Es ist unsere Aufgabe als Verlag“, verkündet sie weiterhin, „Helene Hegemann die Geltung zu verschaffen, die sie als Autorin verdient.“

Elisabeth Ruge referiert den Stand der Debatte im Feuilleton: FAZ vs. taz. Die taz hält Helene Hegemanns zweiten Roman Jage zwei Tiger für großes Tennis, die FAZ nicht so. Ruge bemerkt, jemand habe auf Spiegel online behauptet, man müsse Helene Hegemann ernstnehmen – gegen die Laufrichtung von Neid und Herabsetzungseifer. Soweit ich weiß, hat sie noch keiner mit Bret Easton Ellis verglichen, und auch nicht mit Christian Kracht, um zwei ältere Superdebütanten heranzuziehen. Helene Hegemann wurde mit Axolotl Roadkill berühmt, bevor sie achtzehn war. Ein Plagiatsvorwurf richtete keinen Schaden an.

Die Autorin sitzt wie eingeflochten zwischen dem Schauspieler Lars Eidinger und Moderatorin Lara Fritzsche. Helene Hegemann legt los wie ein Lauffeuer, sie entschuldigt sich: „Zu schnell und zu hysterisch seit der Grundschule“ sei sie als Lautleserin. Bis dahin konnte ich nur: „Die 'Crème de la Crème' de la Scheiße sitzt ständig im Borchardt“ notieren.

Helene Hegemann kann nicht langsam, ich kriege die Charakterisierung „zu dick, zu unentspannt“ mit – so wie „hysterische Realschüler auf Jägermeister“, die gefährlich mit Steinen werfen. Gegen das Schulsystem rebellieren welche, indem sie sich „auf dem Schulklo besoffen und beleidigen.“

Lara Fritsche stellt eine Frage, die Helene Hegemann eine Möglichkeit gibt, deutlich langsamer Grundsätzliches zu äußern: „Den Hauptpersonen muss etwas Fundamentales passieren“, ich glaube, um sich neu erfinden zu können.

Jage zwei Tiger kürzt die Laibach-Zeile „Der Jäger, der zwei Hasen jagt, verfehlt beide. Wenn du schon scheitern musst, scheitere glanzvoll: Jage zwei Tiger!“ Im Roman verbinden sich drei Stränge mit einer Garderobe von Armani. Eine Mutter kommt im Lammlederkleid nach Hause, der Gatte checkt in Kaschmir ein. Gewohnt wird folgendermaßen: Das Haus „war eingerichtet nach den plausibelsten Standards einer mit Raffinesse gekoppelten großbürgerlichen Schlichtheit, also keine prollige Grandezza.“

Die Heldinnen heißen Samantha und Cecile - und da ist noch Kai, der mit elf seine Mutter verliert. Samantha fehlt ein Unterarm, sie gehört einem Zirkus an und interessiert sich für das Große und Ganze aka Weltkriege – und eben nicht für schmierige Käsebrote in der Literatur.

In der Kreuzberger Kirche liest Lars Eidinger die Stelle der ersten Begegnung von Kai und Samantha. Der vom Unfalltod der Mutter traumatisierte Kai „realisierte, wie stillos und inadäquat es sein würde, morgen beim Kinderpsychologen das Verhältnis zu seinem Vater mit dem spontan gewählten Abstand zwischen zwei Bauklötzen zu visualisieren.“ Ahnungslos verliebt er sich in die Mörderin seiner Mutter. Kai lernt dann noch die sich anschneidende und außerdem magersüchtige Internatselevin Cecile kennen. Cecile hat „niederschmetternd unemotionale Eltern“ mit KZ-Lautsprechern und dem sinnlostesten Ding aller Zeiten, einem Kunstwerk namens Ingwer, im hauseigenen Schloss. Sie träumt von Überschreitungen und probt mit älteren Männern.

Cecile zieht gelegentlich in eine Wormser Reihenhaus-WG. Da findet sie ein Drogenparadies, in dem schließlich die Rollstuhlfahrerin Pauline zur Regina wird.

Helene Hegemann schickt die grassierende Wirklichkeit in einen Veitstanz der Differenz. Jage zwei Tiger ist komisch genug, um gut zu sein.
Jamal Tuschick - 31. August 2013
ID 7102
Helene Hegemann - Jage zwei Tiger
Fester Einband, 320 Seiten
19,90 € (D) / 27,90 sFR (CH) / 20,50 € (A)
Hanser Berlin 2013
ISBN 978-3-446-24367-5


Weitere Infos siehe auch: http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-24367-5


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