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Die Frage klingt banal und lässt sich doch kaum beantworten: Was für Lebewesen sind wir? Auch Noam Chomsky kann sie nicht letztendlich klären, doch er kann die Antwort einkreisen - aus seiner Sicht: In seinem Alterswerk zieht er die philosophische Summe seines Lebens. Der 1928 geborene US-amerikanische Wissenschaftler gilt als Begründer der modernen Linguistik, und so stehen Sprache und Spracherwerb im Mittelpunkt des Buches.

Tiere können nicht sprechen. Rico, der Hund, der 1999 bei Wetten dass? 77 Begriffe, später sogar 250 Wörter, unterscheiden konnte, war nur in der Lage dies auf verschiedene Gegenstände, in seinem Fall auf Spielzeuge, anzuwenden. Niemand konnte sich mit Rico indes für den nächsten Tag zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort verabreden, dies hätte Rico nicht verstanden. Abstrakte Begriffe wie Zukunft, Problemlösung oder Zugeständnis sind einem Tier nicht zu vermitteln. Damit hält Chomsky eine wichtige Unterscheidung bereit, die uns von anderen Lebewesen unterscheidet; wir können sprechen.

Womit sich die nächste Frage auftut: Wie lernen wir Sprechen? Auch wenn wir es alle erlebt haben, können wir dies vermutlich eben so wenig beantworten wie die titelgebende Frage. Anders als die Vertreter der behavioristischen Theorie, die annehmen, dass die Aneignung von Sprache ausschließlich über einen Lernprozess erfolgt, besagt Chomskys Theorie, dass man eine Sprache mittels der Entfaltung angeborener Fähigkeiten erlernt. Dazu führt er den Begriff der Universalgrammatik ein, die aus seiner Sicht darauf beruht, dass allen Sprachen eine Universalgrammatik gemein ist, über die jeder Mensch verfügt, da sie angeboren und somit ein Teil unseres genetischen Programms ist. Diese Universalgrammatik kann mit einem begrenzten Instrumentarium von grammatikalischen Regeln und einer endlichen Anzahl von Wörtern eine unbegrenzte Menge von Sätzen bilden, darunter solche, die noch nie zuvor gesagt wurden. Damit ist im Grunde schon alles gesagt. Sprache, egal welche, ist ein Werkzeug des Denkens. Und diese angeborene Fähigkeit entwickelte sich für Chomsky nicht langsam, sondern entstand in einem Ereignis, das unsere Vorfahren vor vielleicht 50.000 bis 80.000 Jahren erfuhren, als sie Afrika verließen.


„Bei der Sprache handelt es sich nicht um Laute mit Bedeutung, sondern um Bedeutung mit Lauten.“ (S. 55)


Doch Chomsky wäre nicht Chomsky, wenn er nicht auch in diesem Buch einen Seitenhieb auf die moderne Politik, insbesondere auf die der US-Amerikaner austeilen würde. Und so ist der bedeutende Forscher, der in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wohl zu den meistzitierten Persönlichkeiten zählte, in seinem Heimatland als Linker nicht unbedingt beliebt. Als ich 1992 als Wissenschaftsjournalistin bei einem Besuch am MIT (Massachusetts Institute of Technology) über den Pressesprecher einen Termin bei Chomsky zu bekommen versuchte, antwortete mir der MIT-Mann irritiert: „Bei Chomsky, der Mann ist doch Kommunist.“ Ich war verblüfft, mein Ansinnen den weltberühmten Forscher zu interviewen, erschien dem Pressesprecher geradezu unmoralisch, näher wollte er sich dazu nicht auslassen. Ich blieb natürlich hartnäckig, doch bedauerlicherweise war Chomsky damals nicht am Institut, sondern auf Reisen. Durch den kuriosen Vorfall ist mir jedoch die linke politische Ausrichtung des Forschers besonders präsent geblieben. Und auch wenn ich Chomsky bisher nicht persönlich kennenlernen durfte, haben seine Gedankengänge ihre Faszination auf mich über all die Jahre aufrecht halten können. In diesem späten Werk äußert er sich mit seinen fast neunzig Jahren immer noch so pointiert und doch so umfassend wie schon vor vielen Jahrzehnten.

Chomsky vermittelt keine leichte Kost. Akeel Bilgrami will uns diese in seinem Vorwort leichter verdaulich machen. Sein sorgfältig verfasster Text scheint mir dazu an dieser Stelle jedoch ungeeignet, doch nach der Lektüre des Buches liefert er eine gute Einschätzung, da sich die gelesenen Ausführungen nun leichter einordnen lassen. Für das Verständnis der Lektüre wäre es wünschenswert, die linguistischen Fachausdrücke in einem Glossar erklärt zu bekommen.

Statt dessen findet sich dort ein umfangreiches Quellenverzeichnis, Chomsky zitiert u.a. Quellen, die kaum bekannt sind und das Buch als sauber recherchierte wissenschaftliche Arbeit ausweisen. Für den Insider ist es damit eine exzellente Lektüre, für den Laien hingegen bleibt es schwere Kost, der es sich jedoch zu widmen lohnt.


„Die Bereitschaft, erstaunt zu sein, ist ein wertvoller Zug, den man kultivieren sollte – von der Kindheit bis zur fortgeschrittenen Forschungstätigkeit.“ (S. 49)
Ellen Norten - 3. November 2016
ID 9660
Link zum Verlag: http://www.suhrkamp.de/buecher/was_fuer_lebewesen_sind_wir_-noam_chomsky_58694.html


Post an Dr. Ellen Norten



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