Notizen aus
einer skurrilen
Stadt
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Bewertung:
„Unten, vor meinem Haus, verkauft ein Chinese gefälschte Rolex-Uhren.
Sind die Wasserdicht? Habe ich gefragt.
Er hat mit den Fingern gezeigt: drei.
Dreißig Meter tief?
Und er wieder mit den Fingern: drei.
Drei Meter?
Und er: nein, drei Minuten, dann kaputt.“
Ein leicht konfuser aber liebenswerter Erzähler, die verwinkelten und dichtbevölkerten Viertel von Palermo und jede Menge ungewöhnlicher Gestalten - das sind die Zutaten von Nino Vetris Geschichten. Seine Romane Lume Lume und Die letzten Stunden meiner Brille sowie der herrliche Erzählband Mamas wunderbares Herz gibt es nun zusammen im Dreierverbund in der edition.fotoTAPETA.
Der Musiker, Schriftsteller und Buchhändler beschreibt in den drei schmalen Büchern seine sizilianische Heimat, die von kauzigen alten Männern, Nachbarschaftshilfe, Multikulti und einer klaren aber versteckten Rangordnung geprägt ist. Es sind die kleinen Leute, die es Vetri angetan haben und die er als guter Beobachter mit viel Nachsicht und trockenem Humor beschreibt. Ihr Alltag voller Absurditäten bringt die Protagonisten dabei weniger durcheinander als den erstaunten Erzähler. Ein unsichtbares Netz scheint die Menschen zu verbinden, innerhalb dessen Informationen, Gegenstände oder Dienstleistungen auf geheimen Wegen ausgetauscht werden - eine Welt hinter der Welt.
Ob er auf der Suche nach einem bestimmten Werkzeug die Nachbarswohnungen abklappert oder nach der Übersetzung eines rumänischen Liedes durch die ganze Stadt zieht - Vetri erschafft mit seinen Beschreibungen ein augenzwinkerndes und poetisches Porträt der Sizilianer und der zahlreichen Einwanderer, die sich darunter gemischt haben und von denen einige gar nicht mehr genau wissen, woher ihre Vorfahren einmal kamen. In ihrem gemeinsamen inbrünstigen Festhalten am Katholizismus erkennen sie gemeinsame Wurzeln und erleben Verbundenheit. Wobei jeder seine eigenen Ansichten hat, wie man den Glauben leben sollte und was man laut der Bibel dürfe und was nicht.
„Die Madonna kann es in drei Varianten geben. Die eher sonnige Variante, mit einem schönen blauen Mantel und einem blonden Kindchen auf dem Arm; eine mit tragischem Blick in einem schweren schwarzen Samtcape, darauf ein Mamaherz, das von silbernen Schwertern durchbohrt wird; und eine Variante, die wir als Zwitter definieren könnten: unten ist sie blau, aber oben trägt sie das schwarze Cape mit dem wunderbaren, durchbohrten Mutterherz. Während der Osterprozession, um die Auferstehung Christi anzuzeigen, fällt dann das Cape und das Blau triumphiert, um, poetisch gesprochen, den Frühling zu feiern, der den schwarzen Schleier des Winters zerreißt. Unsere Madonna war von der immerwährend tragischen Variante. Sie hatte ein Mamaherz, das von Dutzenden Silberschwertern durchbohrt wurde, und einen Blick, ein von Schmerzen entstelltes Gesicht, das schwerlich zu ertragen war. Man konnte sie nicht ansehen.“
Im ersten Moment ist Vetri’s Stil aus Alltagssprache und wie spontan eingeflochtenen Gedanken etwas gewöhnungsbedürftig, aber man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass es ein ganz eigener Erzählrhythmus ist, der zu dieser chaotischen und ereignisreichen Stadt passt. Man hört förmlich den Lärm der brodelnden Mittelmeermetropole: den Verkehr auf den Straßen, die lauten Gespräche der Menschen, das Geschirrklappern aus den Wohnungen und die davon unterbrochenen Klänge von einigen unermüdlichen Straßenmusikern. Man möchte selbst gern in dieser Stadt leben und ihre Bewohner kennenlernen, jeden Tag ein wenig tiefer in diese interkulturelle und offenherzige Welt eintauchen, in der jeder von jedem etwas lernen kann und wo die Menschen bereit sind, stets neue Wege zu gehen, statt stur an gewohnten Mustern festzuhalten.
„Der Stand eines fliegenden Händlers, der Sachen vom Grill verkaufte, war beschlagnahmt worden. Und dazu hatten sie ihm eine empfindliche Geldbuße verpasst. Im Viertel nannte man ihn den Giftmischer. Alles Zeug, das verdorben ist und lang über die Zeit. Aber er war doch ein ehrbarer Kerl. Verkaufte nur an die von außerhalb, und nicht im Viertel, nur in der Stadt. Ja, tatsächlich, sagte ich. Ich wollte mal ein Stück Pizza bei ihm kaufen, aber er hat das schlicht abgelehnt. Ich gebe Ihnen keine. Und warum nicht? habe ich verdutzt gefragt. Sind Sie denn nicht aus dem Viertel? Sind Sie nicht ein Freund von Onkel Mario? Dann ist das nichts für Sie. Da siehst Du’s, ist ein ehrlicher Mann, der Giftmischer.“
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August Werner - 9. März 2017 ID 9897
Nino Vetri | Die Palermo-Trilogie
Klappenbroschur mit Banderole
Format: 22×13 cm
330 Seiten
25 € (D)|25,50 € (A)|27,50 CHF (CH)
edition.fotoTAPETA, 2017
ISBN 978-3-940524-63-8
http://www.edition-fototapeta.eu/die-palermo-trilogie
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