Kritischer
Blick auf
den Reformator
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Bewertung:
Was wäre, wenn - diese Frage ist in den allermeisten Fällen eigentlich überflüssig. Da es sich um hypothetische Ereignisse handelt, sind die Konsequenzen daraus zum einen rein theoretisch und zum anderen eigentlich auch - uninteressant. Letzteres gilt allerdings nicht für das Buch von Michael Lösch: Wäre Luther nicht gewesen, stellt er die Frage und gibt gleich mehrere Antworten darauf, denn das Buch wimmelt vor historischen Fakten und Analysen. Dabei ist Luther nur eine Figur in seiner Zeit, und es wundert, dass gerade er mit seinen 95 Thesen einen solchen Ruck auslösen konnte.
Zur rechten Zeit am rechten Ort, könnte darauf eine Antwort lauten, denn der neu erfundene Buchdruck sorgte für eine nie dagewesene Verbreitung von Büchern und damit auch der von Luthers Bibelübersetzung. Luther selbst hatte vermutlich nicht einmal mit dieser Wirkung gerechnet. Doch er hat den Leuten aufs Maul geschaut, und er schreibt für sie, das Volk.
Wir erfahren viel über den Gründer der evangelischen Kirche, und das ist nicht immer positiv. Nicht nur, dass Luther ein ausgesprochener Judenfeind gewesen ist – im Lutherjahr wird immerhin auch von anderer Seite an der Fassade der Lichtgestalt gekratzt – er hat durch seinen konservativen, obrigkeitshörigen Kurs die Geschichte der frühen Neuzeit äußerst negativ beeinflusst, so sieht es zumindest der Autor und untermauert dies mit historischen Tatsachen.
„Seit Luther entscheidet die Frage nach der richtigen Weltanschauung über Leben und Tod, sie bringt eine Verhärtung der Fronten und daraus die blinde Verfolgung Andersgläubiger. Und das reicht bis zu Adolf Hitler und Josef Stalin und darüber hinaus.“ (S. 21)
Michael Lösch ist der Sohn eines evangelischen Pfarrers und stammt aus Rumänien. Kritisch sieht er Luthers Verhältnis zur Obrigkeit. Der Reformator wendete sich gegen Rom und die Ablasszahlungen, doch war er keineswegs ein aufmüpfiger Untertan. Er reformierte das Verhältnis zum Papst und dessen Machtanspruch, die weltliche Obrigkeit durfte dabei jedoch nicht angetastet werden. So brachte er auch kein Mitgefühl auf, als bei Bad Frankenhausen mehrere Tausend Bauern, angeführt von Thomas Müntzer, brutal abgeschlachtet wurden.
Dass die Bewertung Luthers kritisch ausfällt, ist bereits dem Untertitel des Buches zu entnehmen. Namen von Zeitgenossen Luthers ziehen an uns vorbei: Erasmus von Rotterdam, Giordano Bruno oder Giovanni Boccaccio. Die historischen Figuren treten in ihrem sozialen wie kirchlichen Netzwerk auf, umringt von der unübersichtlichen politischen Situation in Europa. So taucht man ein in eine Zeit von Gewalt, Armut und Schrecken. Und Luther sieht die Reformation in diesem Rahmen, Waffengewalt ist für ihn dabei ein legitimes Mittel, wie das folgende Zitat zeigt:
„Wenn wir Diebe mit dem Galgen, Räuber mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer strafen, warum wenden wir uns dann nicht mit Waffengewalt gegen die Lehrer des Unrechts, die Kardinäle, Päpste und das ganze römische Sodom, und waschen unsere Hände in ihrem Blut?" (S. 187)
Luther ist eben nicht nur der demütige Mönch, Demut kennzeichnet sein Verhältnis zu Gott, Selbstbewusstsein und Sendungsbewusstsein sein Verhältnis zur Gesellschaft.
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Bevor ich das Buch gelesen habe, wusste ich wenig über den Reformator. Und natürlich ist dieses Buch eine einzelne Stimme, andere Autoren mögen zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen. Jetzt im Lutherjahr erscheinen genügend Bücher zum Thema. Die Reformation jährt sich zum 500. Mal. Diese zeitliche Distanz und die Ereignisse der Folgezeit erlauben Lösch folgendes Resümee:
„Die Verhältnisse der deutschen Geschichte betrachtend kann man mit Fug du Recht sagen, dass die Glaubensauseinandersetzungen von damals die Entwicklung zum deutschen Parlamentarismus entscheidend gehemmt haben.“ (S. 239)
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Ellen Norten - 7. Februar 2017 ID 9825
Michael Lösch | Wäre Luther nicht gewesen
Das Verhängnis der Reformation
Ein Thesenbuch
Broschiert, 239 Seiten
EUR 14,90
E-book EUR 12,99
dtv premium 2017
ISBN 978-3-423-26138-8
Weitere Infos siehe auch: https://www.dtv.de/buch/michael-loesch-waere-luther-nicht-gewesen-26138/
Post an Dr. Ellen Norten
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