Poesie
der Ab-
gründe
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Bewertung:
Die im Dunkeln sieht man nicht. Doch auch im Sonnenlicht bleiben sie oft unsichtbar. Nur die Sonnenspiegelungen der Literatur zeichnen gelegentlich ihren Schattenriss. Jan Costin Wagners Erzählungen legen diese Silhouetten des abgründigen Menschenlebens offen. Mit harten filmischen Schnitten, prägnanten Dialogen und einer Erzählerstimme, die im Ohr bleibt.
Ein fremder Mann steht im Schatten eines Baumes auf der anderen Seite der Straße. Stundenlang beobachtet er das Haus von Harford und Lena. Zunehmend irritiert über den Fremden, dessen Blick starr auf die Fensterfront gerichtet ist, suchen sie vergeblich das Gespräch mit ihm. Auch die Polizei vermag den Mann nicht aus seiner Lethargie zu entreißen. Die ganze Nacht über steht er dort, bis den Beunruhigten die erlösende Erkenntnis wie Schuppen von den Augen fällt.
Jan Costin Wagner, der sich weltweit einen Namen als Kriminalautor machte, beweist in diesem Erzählungsband aufs neue seine bemerkenswerte Wahrnehmungsfähigkeit und sprachliche Brillanz. Dabei erzeugt sein Erzähler bisweilen eine unerhörte Nähe, um kurz darauf in eine erschreckende Distanz zurückzufinden.
Vor allem ist Wagner ein disziplinierter Erzähler, der sich einer eleganten Multiperspektivität bedient, so dass der Kern der jeweiligen Emotion fassbar wird. Dadurch wird nachvollziehbar, auf welche Weise sich Menschen verlieren können, um sich verändert und deformiert wiederzufinden. Indem Wagner stilsicher von den unterschiedlichen Arten des Selbstverlustes erzählt, hebt er seine Figuren, die man im Dunkel ihrer Abgründe verloren wähnte, unvermittelt in das Licht einer erhellenden poetischen Sprache.
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Jo Balle - 28. November 2015 ID 9012
Jan Costin Wagner | Sonnenspiegelung
Geschichten von Leben und Tod
192 S., geb.
18,99 € (D) | 19,60 € (A)
Galiani Verlag, 2015
ISBN: 978-3-86971-112-6
Weitere Infos siehe auch: http://www.kiwi-verlag.de/buch/sonnenspiegelung/978-3-86971-112-6/
Post an Dr. Johannes Balle
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