Ein Jahr im
Kaleidoskop
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Bewertung:
Von Jimi Hendrix zu Mao Tse-tung, von Charles Bukowski zu Richard Brautigan und Peter Handke. Cassius Clay kämpft gegen Karl Mildenberger, die Beatles starten ihre Bravo Blitztournee, und im berühmten WM-Finale im Wembley-Stadion verlieren „wir“ gegen England. Starfighter und ein Raumschiff namens Orion hinterlassen Spuren am Firmament, und Gammler und LSD-Astronauten sorgen für ein nie gekanntes kulturelles Klima. Die 200 Seiten des Buches schaffen es kaum, die epochalen Ereignisse zu versammeln.
1966 liefert den späten Startschuß zu dem Sechzigern, die gemeinläufig erst mit dem Jahr 1968 ihre allgemeine Bedeutung erhalten. Doch die Initialzündung „in der die lange, steifleinerne Nachkiegszeit in ein Pink-Paisley-gemustertes Ende findet“ (Rückseite) liegt für Frank Schäfer bereits zwei Jahre zuvor. Der Autor, genau vor 50 Jahren geboren und ansonsten für Musik- und Literaturkritik gut, schreibt über sein Geburtsjahr und führt uns dieses facettenreich vor Augen.
Jeder Monat beginnt mit den No-1-Hits in Deutschland, England und den USA. Bis heute speist sich unsere Popkultur aus den Musikern dieser drei Nationen. Die Namen aus den Charts von damals sind immer noch bekannt: Beatles, Rolling Stones, Beach Boys, Manfred Mann, Nancy Sinatra und Freddy Quinn.
Anders steht es mit den Gammlern. Ihr Name dürfte dem einen oder anderen zwar noch geläufig sein, doch verwendet wird er nicht mehr.
"Im Juni kann Bundeskanzler Ludwig Erhard nicht länger zusehen und sagt den Gammlern den Kampf an. (...) Die Münchener CSU-Fraktion will aber auch etwas tun und stellt den Antrag das 'Gammlertum' auf das ihm 'zukommende Maß zu reduzieren'. Da geht sie einmal mehr im Gleichschritt mit der NPD, die in ihrem Parteiorgan 'Deutsche Nachrichten' vorschlägt, 'das ganze Problem radikal im Sinne des gesunden Volksempfinden zu lösen'. Dem wiederum verleiht Freddy Quinn gern seine volltönende Stimme. 'Wir' nennt er die gesungene Hetztirade mit vielen rollenden 'Rs'." (S. 94)
In essayistischer Form werden die Themen des Jahres 1966 aufgegriffen. In der Politik nimmt der kalte Krieg drastische Formen an, wenn Wasserstoffbomben abschussbereit in B 52- Bombern an der sowjetischen Grenze Patrouille geflogen werden. Im Vietnamkrieg fallen fast ein Viertel schwarze Soldaten, obwohl Schwarze nur elf Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, und die Linken feiern Mao Tse-tung und seine Kulturrevolution in China, ohne die fatalen Folgen zu erkennen.
Zu all dem musiziert Bob Dylan und LSD, die gerade entdeckte „Wunderdroge“ erweitert nicht nur das Bewusstsein mutiger Konsumenten, sondern beeinflusst auch die Mode jener Zeit. So beginnt und endet das Buch im Paisley-Muster, das hier ganz konkret den Einband des Buches ziert.
Frank Schäfer hat 1966 nicht bewusst erlebt, er hat aber intensiv recherchiert und die Ergebnisse gekonnt zusammengestellt. Dabei gelingt es ihm, eine Atmosphäre zu schaffen, die der damaligen wohl entsprechen dürfte. Ich erlebte sie damals noch als Kind und meine deutlich diesen Hauch von 1966 gespürt zu haben.
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Ellen Norten - 10. Juni 2016 ID 9372
Frank Schäfer | 1966
Das Jahr, in dem die Welt ihr Bewusstsein erweiterte
200 S., broschiert, m. 23 Abb.
EUR 19,90
e-book EUR 13,99
Residenz Verlag Salzburg Wien, 2016
ISBN 978-3-7017- 3381-1
Weitere Infos siehe auch: http://www.residenzverlag.com/?m=30&o=2&id_title=1821
Post an Dr. Ellen Norten
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