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Buchkritik

Die Deutschen:

Europas

Habenichtse



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„Die Mittelschicht schrumpft, sie verdient weniger, der Aufstieg in die soziale und ökonomische Mitte fällt schwerer – und die Kinder werden es nicht besser haben.“ (Alexander Hagelüken, Das gespaltene Land

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Arm und Reich klaffen in Deutschland weiter auseinander als in anderen Industriestaaten, so die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Alexander Hagelüken ist leitender Redakteur für Wirtschaftspolitik bei der Süddeutschen Zeitung. Er bilanziert in Das gespaltene Land mit Hilfe zahlreicher Faktenchecks und Studien, dass nirgends in der Währungsunion Besitztum so ungleich verteilt ist wie hierzulande. Die Altersrente der Bürger erreicht hier im Schnitt nur 60 Prozent des vorherigen Einkommens. Bei Mittelverdienern in Italien, Spanien und Griechenland erreicht sie hingegen 82 Prozent. Leider nennt Hagelüken hier, wie sooft im Buch, keine genauen Geldbeträge, was die Einordnung und Überprüfung seines Vergleiches erschwert. Während Italiener, Spanier und Griechen nur 30 bis 34 Jahre arbeiten, haben die Deutschen bis zur Rente im Schnitt 37 Jahre gearbeitet, so Hagelüken. Während 70 bis 80 Prozent der Italiener und Spanier ein Eigenheim haben, wohnen nur 40 Prozent der Deutschen in einer eigenen Immobilie. Zwei Drittel des gesamten Vermögens liegen bei den reichsten zehn Prozent der Deutschen. Nach einer Studie der Zentralbanken besitzt das Gros der Deutschen jedoch weniger als halb so viel wie der Schnitt der Euro-Bürger.

Die Schere zwischen Arm und Reich bedeutet hierzulande eine große soziale Schieflage. Chancengerechtigkeit bietet die Bundesrepublik keine, dafür aber zunehmend Aushilfs-, Teilzeit oder Ministellen. Auch frische Hochschulabsolventen hangeln sich mitunter von Praktikum zu Praktikum. Dax-Vorstände verdienen hingegen 57 mal so viel wie ihre Mitarbeiter, und Vorstandschefs großer Konzerne gar das 150fache eines unqualifizierten Arbeiters, weiß Hagelüken. Der SZ-Redakteur besucht für sein Buch Angehörige der reicheren und der ärmeren Bevölkerungsschicht. Er bewunderte im noblen Landkreis Starnberg am Starnberger See die zweitmeisten Krankenhausbetten im Land und fünfmal so viele Internisten wie die Gesundheitsplanung vorsieht. Am Industriestandort Pirmasens begegnet ihm hingegen hohe Arbeitslosigkeit. Reichtum ermöglicht eine höhere Lebensqualität. Minderwertige Wohnungen, eine schlechtere medizinische Versorgung und stressigere Arbeit verkürzen hingegen die Lebensdauer:


„Matthias Richter und Thomas Lampert forschen seit langem über Ungleichheit und Gesundheit. Der eine als Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Uni Halle, der andere als Leiter des Fachgebiets Soziale Determinanten der Gesundheit am Robert-Koch-Institut in Berlin. Sie machen eine Gruppe von einem Viertel der Bevölkerung aus, die eines oder mehrere der folgenden Merkmale aufweist: geringer Bildungsabschluss, geringer Lohn, monotone und/oder schwere körperliche Arbeit etwa auf dem Bau, in der Fabrik, als Lasterfahrer. Wer in dieser Gruppe lebt, erkrankt weit häufiger am Herzen, an der Leber, an Arthrose, an Krebs. Hat eher Bluthochdruck, Knochenschwund oder einen Schlaganfall. Hat also eher Krankheiten, die das Leben verkürzen.“ (S. 52)


Derzeit scheint der Kapitalismus als Wirtschafssystem alternativlos. Hagelüken fragt jedoch, ob es immer ein "rich people’s capitalism" sein muss. Zweieinhalb Millionen Kinder unter 15 wachsen in Familien auf, die Hartz IV bezieht oder einkommensarm sind. Wenn der Ungleichheit im Bildungssystem entgegengesteuert werden soll, müssen benachteiligte Kinder gezielt gefördert werden. So könnte die Gesellschaft möglicherweise auch einem Fachkräftemangel begegnen. Die Wirtschaftsleistung ist hierzulande niedriger als nötig, weil die Ungleichheit in Deutschland so hoch ist. Eine Verteilungsgerechtigkeit würde das Wirtschaftswachstum fördern. Arbeitnehmer konsumieren mehr, wenn sie mehr verdienen. Doch der Liberalismus begünstigt nach wie vor die Reichen. Während die Hälfte der Deutschen so gut wie nichts besitzt, machen Firmen dank neoliberaler Steuersenkungen mehr Gewinne. Erbschaftssummen der Superreichen werden mit gerademal 2 Prozent Steuersatz besteuert. Während Reiche über den Kauf von Aktien und Häusern noch reicher werden, gibt das Gros der Gesellschaft sein Geld den Banken und Versicherungen für Niedrigzinsen und bleibt arm. Im Ändern des Anlageverhaltens sieht Hagelüken einen Weg, mehr Verteilungsgerechtigkeit herbeizuführen und den Reichen das Aktienmonopol streitig zu machen:


„Aktien werfen auf lange Sicht deutlich mehr ab als andere Anlageformen, ohne viel riskanter zu sein. Wer Aktien besitzt, partizipiert am Herzstück des Kapitalismus, den Firmen und ihren Gewinnen. Deshalb lässt sich der kapitalistische Trend zur Ungleichheit austricksen, wenn eben nicht nur ein paar Bürger die Unternehmen besitzen. Sondern alle.“ (S. 209)


Hagelüken sieht das Sozialgefüge gefährdet, da das Gros der Steuern und Sozialbeiträge eben nicht von den Reichen getragen wird. Ein neuer Gesellschaftsvertrag müsste quantifizierbare Ziele formulieren. Die Parteien sollten mit Blick auf die Ungleichheit in der Gesellschaft nicht mehr so unentschieden auftreten. Hagelüken entlarvt die Rente mit 63 oder das Ehegattensplitting als auf die Dauer untragbar und sieht zukünftigen Generationen mit Sorge entgegen. Er warnt insbesondere vor der Frustreaktion sozial benachteiligter Milieus:


„Die AfD beutet eine tief sitzende Unzufriedenheit aus, die mit stagnierenden Einkommen der Mittelschicht zu tun hat und dem Abstieg von Geringverdienern. Wenn das Eigene nicht reicht, wird der Fremde zum Feind, weil er sogar vom wenigen noch etwas wegnehmen könnte. Die AfD erntet die politischen Früchte der Ungleichheit im Land.“ (S. 121)


Alexander Hagelükens Das gespaltene Land verdient eine Nominierung für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2017, auch damit dem Werk eine große Aufmerksamkeit insbesondere seitens politischer Entscheider zuteil wird. Der Autor wiederholt seine engagierten Hauptthesen etwas zu oft, die Voraussetzungen für zitierte Studienergebnisse und Statistiken bleiben trotz Quellennennung manchmal etwas unklar, und auch kleine Tippfehler (S. 153, S. 155) sind ein geringfügiges Manko dieser hellsichtigen und spannenden Analyse. Unter Einbezug vieler relevanter Studien zeigt Hagelüken jedoch glaubhaft, wie gefährdet die Demokratie und Marktwirtschaft hierzulande aufgrund der voranschreitenden Ungleichheit in der Gesellschaft sind. Noch vor der Bundestagswahl im Herbst diesen Jahres sind insbesondere die sozialeren Parteien SPD, Linke und Grüne gut beraten, die Überlegungen Hagelükens in ihren Wahlprogrammen zu berücksichtigen. Es gilt, ein Konzept für eine Umverteilung für mehr soziale Gerechtigkeit vorzulegen, das die Antriebskräfte des Wachstums erhält. Einige interessante Vorschläge hierfür hält Hagelükens Werk bereit.
Ansgar Skoda - 3. Juli 2017
ID 10121
Alexander Hagelüken | Das gespaltene Land
Wie Ungleichheit unsere Gesellschaft zerstört – und was die Politik ändern muss

Klappenbroschur, 240 S.
EUR 12,99
Knaur Taschenbuch, 2017
ISBN: 978-3-426-78895-0


Weitere Infos siehe auch: http://www.droemer-knaur.de


Post an Ansgar Skoda

skoda-webservice.de



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