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nachDRUCK # 2

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Der Reiz der

eingefangenen

Vergangenheit





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Wer entsinnt sich nicht der Besuche bei der eigenen Familie oder bei engen Bekannten, bei denen die Mutter (es war kaum je der Vater) Kartons oder Alben aus Schubladen, Speisekammern oder Kellerräumen hervorkramte und einen schier endlos (so schien es einem jedenfalls) zwang, Fotos aus der näheren und ferneren Vergangenheit von Urlauben am Meer oder in den Bergen oder auch nur am Baggerteich, von den lästigen oder nicht einmal lebend wahrgenommenen Verwandten auf dem Nachttopf, beim Spaziergang im Park, auf der Schipiste oder, ganz banal, im Fotostudio mit aufgesetztem Grinsen und geschwellter Brust anzusehen und möglichst zu bewundern. Der Vorläufer der Diaschau und des 8-mm-Home Movie zählt zu den quälenden Erinnerungen, die einen bis ins hohe Alter verfolgen.

Aber geben wir es zu: Alte Fotografien, zumal wenn man nicht „Oh, der Onkel Max!“ jauchzen muss, um einer strengen Rüge zu entgehen, können eine erstaunliche Faszination ausüben. Manchmal wirken sie ungewollt komisch, manchmal unterstützen sie die historische Imagination, manchmal besitzen sie einfach die ästhetische Qualität eines Kunstwerks, das sich nicht grundsätzlich vom gemalten oder gezeichneten Bild unterscheidet.

Der Wienand Verlag, auf Kunstbücher spezialisiert, hat jetzt unter dem Titel Neue Wahrheit? Kleine Wunder! einen aufwendigen Band mit frühen Fotografien aus der Sammlung Hans Gummersbach herausgebracht. Er enthält neben den sorgfältig kommentierten Abbildungen Aufsätze mehrerer Autoren über die Ursprünge der Fotografie, über Fotografie und Karikatur im 19. Jahrhundert, über Stereodaguerreotypien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, über die frühe Reisefotografie sowie über Bilder vom Leben in Armut am Beispiel von John Thomsons und Adolphe Smith’s Street Life in London.

Breiten Raum nehmen unter den frühen Fotografien beziehungsweise der Daguerreotypien, ganz nach dem Vorbild der zeitgenössischen Malerei, Porträts, Landschaften und Städtebilder ein. Von der Vedute zur Fotografie scheint es bisweilen nur ein dem technischen Fortschritt verdankter kleiner Schritt zu sein. Neben den Fotografien zeigt die Sammlung auch Bilder und Karikaturen, die die Daguerreotypie zum Thema haben. Sie hat die Gemüter einst nicht weniger bewegt als heute das Handy oder das Streaming.

Kann man sich eine trefflichere Illustration zu einem englischen Roman des 19. Jahrhunderts vorstellen als das Doppelporträt Die Schwestern von William Edward Kilburn? Erzählt die Daguerreotypie Der Vertrag von Jabez Hogg nicht den Kern eines Bühnendramas? Und könnte der Dandy mit Zigarette nicht für ein Stück von Oscar Wilde Modell gestanden haben?

An die Genremalerei gemahnt die Daguerreotypie Die Schachspieler. Und die Arbeiten von Thomson und Smith dokumentieren eindrucksvoll die Anfänge der Sozialfotografie, die immer auch einen appellativen Charakter hat. Zu Recht weist Leonie Beiersdorf Susan Sontags These zurück, wonach die quasi-dokumentarische Fotografie nach dem Vorbild von Street Life in London auf das Leben anderer „herabblicke“. Sie tut es ebenso wenig wie knapp ein Jahrhundert später Ralph McTells Song Streets of London. Das eigentlich Beunruhigende liegt in der Tatsache, dass das Thema über so lange Zeit hinweg nichts von seiner Aktualität verloren hat.


Thomas Rothschild – 5. Oktober 2021
ID 13187
Wienand-Link zum Ausstellungskatalog Neue Wahrheit? Kleine Wunder!


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