Ein Glücksfall
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Seit dem 5. Mai 2020 ist das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln (MOK) unter Einschränkungen wieder geöffnet. Die Sonderausstellung Trunken vor Nüchternheit kann leider noch nicht besucht werden. Derzeit ist auch nur knapp die Hälfte der Dauerausstellung zu sehen, dazu gehören aber das beliebte Glockenspiel, Mobiliar, Artefakte aus Korea und Japan, natürlich auch aus China, und die beeindruckende Plakatsammlung vergangener Ausstellungen. Vielleicht ist es gerade diese Überschaubarkeit, die einen Museumsbesuch spannend macht. Für alle, die mehr sehen wollen, haben wir den Katalog Alles unter dem Himmel besprochen, der mit wunderbaren Bildern auch aus der Dauerausstellung aufwartet und die Wartezeit auf einen uneingeschränkten Museumsbesuch versüßen kann.
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Einbezogen in die grüne Umgebung am Aachener Weiher in Köln zeichnet sich der Museumsbau des MOK durch Harmonie aus und verzichtet bewusst auf eine um Aufmerksamkeit heischende Architektur. Sein Erbauer war der japanische Meisterarchitekt Kunio Maekawa (1905-1986), für den Aufdringlichkeit einer Beleidigung gleichgekommen wäre. Für ihn hatte die Architektur, gerade bei einem Museumsbau, hinter der Kunst, die sie beherbergt, zurückzustehen. Die Offenheit und Klarheit der Raumbildung sowie die zurückhaltend eingesetzten architektonischen Mittel geben den Exponaten einen idealen Rahmen. Der 1977 eingeweihte Museumsbau ist mittlerweile denkmalgeschützt und wurde gezielt für ostasiatische Kunst gebaut, deren hohe Schriftrollen und große Skulpturen entsprechend hohe Wände benötigen, um wirken zu können. Das große Foyer und der japanische Garten im Innenhof tragen zur gediegenen und entspannten Atmosphäre bei. Die Museumsdirektorin Adele Schlombs hat sich erfolgreich gegen westlich ausgerichtete Modernisierungsversuche gewehrt und das Gebäude bei notwendigen Umbaumaßnahmen in seiner ursprünglichen Intention bewahren können. Dabei ist das MOK keineswegs altmodisch, denn Maekawa gilt als Begründer der japanischen Nachkriegsarchitektur.
Da ist es klar, dass im Katalog Alles unter dem Himmel auf die Entstehungsgeschichte des Museums eingegangen wird, das in großen Teilen auf der Sammlung des Ehepaares Adolf und Frieda Fischer beruht, die mehrere Jahre Ostasien bereisten auf der Suche nach neuen „Sinnhorizonten“ und 1913 in Köln das erste Museum gründeten, in dem ihre beachtliche Sammlung untergebracht war. Die heutige Direktorin Schlombs, die das Museum seit 1991 leitet, betont immer wieder, dass man allein schon aufgrund der hohen Marktpreise heutzutage keine solche Sammlung mehr beginnen könne. Und seit das Museum für Asiatische Kunst in Berlin geschlossen ist und die Sammlung dem Humboldt-Forum überlassen wurde, ist das MOK das einzige Museum seiner Art in Deutschland. Die Provenienzforschung findet auch dort statt, aber hier steht die Beutekunst nicht so sehr im Vordergrund, weil es z. B. in China schon seit dem 12. Jahrhundert einen Kunsthandel gibt, die Werke also mehr oder weniger rechtmäßig erworben werden konnten. Man kann dabei auch sehr viel Glück haben, wie bei dem „Goldjungen“, so der Spitzname des daoistischen Unsterblichen Liu Hai, der das Buchcover ziert. Den konnte das Sammlerehepaar Schürzeberg verhältnismäßig günstig beim Nachverkauf einer Auktion erwerben, während der sein eigentlicher Wert unterschätzt worden war.
Der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer nennt das MOK in seinem ausführlichen Beitrag im Katalog einen „Glücksfall“: „Das ganze ostasiatische Museum atmet den Geist der Neugier und Anerkennung des Fremden, der Bewunderung und des ernsthaften Studiums des Anderen und damit der Einsicht, dass wir Menschen uns nicht selbst genügen, sondern Begegnung mit dem Anderen suchen, weil wir sie brauchen.“ Dieses Studium begann vor rund 100 Jahren und die Sammlungen von Adolf Fischer und anderen begründeten die ostasiatische Kunstgeschichte in Deutschland, die zu einer wissenschaftlichen Disziplin avancierte. Schmidt-Glintzer fragt sich, ob nicht schon das Sammeln selbst der Anfang eines Gesprächs zwischen den Kulturen gewesen sei.
Als er folgende Zeilen schrieb, hat Schmidt-Glintzer von der derzeitigen Corona-Krise nicht wissen können, umso mehr gehen sie in ihrer Hellsichtigkeit unter die Haut: „So sehr die Erde samt ihrer Umgebung der Menschheit gemeinsames Schicksal ist, so sehr lebt sie aber nicht nur von Öffnung, sondern auch von Unterscheidung, von Austausch und Verzicht, von Verbindung und Abgrenzung, von Vorteilsnahme und Gewährung von Geschenken. Spuren davon lassen sich in einem Weltmuseum abbilden.“
Alles unter dem Himmel - der Katalog wie auch die gleichnamige Ausstellung von 2019 - verschaffen einen Überblick über die Ankäufe, Schenkungen und Leihgaben der letzten 40 Jahre. Sie sind nicht chronologisch, sondern nach Sammlungsschwerpunkten sortiert und kontrastierend dargestellt. „Es ist ein Parcours durch die ostasiatische Kunstgeschichte“, schreibt Schlombs im Editorial. „Japanische Avantgarde-Kalligrafie trifft auf buddhistische Skulptur und Plastik aus dem China des 6. bis 18. Jahrhunderts, Zen-buddhistische Malerei wird mit diesseitsbezogener Grabkeramik der Tang-Dynastie konfrontiert.“ Während des Boxeraufstands 1900/01 waren deutsche Marinesoldaten in China stationiert und haben teils eigentümliche Gegenstände mitgebracht, die sehr stark vom kolonialistischen Blick geprägt sind. Auch dem Konfuzianismus und der chinesischen Literatenkunst wird Raum geboten.
Der Katalog ist reichhaltig bebildert und seine Entstehung geht auf einen großzügigen sachgebundenen Spendenanteil eines Gönners zurück. Auch dies ist ein wunderbarer Glücksfall. Da die Ausstellung Alles unter dem Himmel ohne Leihgaben und nur aus den eigenen Beständen erschaffen wurde, ist der Katalog eine wichtige Dokumention der im MOK befindlichen Schätze. Zudem ist der Kauf des Katalogs eine gute Gelegenheit das Museum zu unterstützen und gleichzeitig ein wunderbares Nachschlagewerk zu besitzen.
Helga Fitzner - 7. Mai 2020 ID 12219
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