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Rezension

Steffen Möller - „Expedition zu den Polen“

Eine Reise mit dem Berlin-Warszawa-Express
Malik Verlag, 2012
ISBN 978-3-89029-399-8


Bitte beachten Sie folgende Durchsage: „Bei der Expedition zu den Polen handelt es sich weder um eine Reise in die Arktis noch in die Antarktis.“ Obwohl – manchmal scheinen die beiden Nachbarländer Deutschland und Polen fast noch weiter voneinander entfernt zu liegen als Nordpol und Südpol. Der Kabarettist und Autor Steffen Möller lebt seit 1994 als Gastarbeiter in Polen und hat schon einige Kulturunterschiede erlebt. Die hat er 2008 in seinem Buch Viva Polonia zu Papier gebracht, das überraschend zum Bestseller avancierte. Jetzt – pünktlich zur Fußball-EM – erscheint Expedition zu den Polen – Eine Reise mit dem Berlin-Warszawa-Express. Viel hat sich seit 1994 getan, als Möller das erste Mal nach Polen kam, um in Krakau einen Polnischkurs zu belegen. Der Deutsche blieb, wurde Kabarettist und Serienstar im polnischen Fernsehen. Er nimmt die polnischen und die deutschen Eigenarten und Untugenden aufs Korn, bleibt dabei aber immer menschennah. „Fast zwanzig Jahre lang war ich ein Träumer gewesen, ein naiver Idealist“, schreibt er. Seit das Statistische Bundesamt errechnete, dass 2009 Polen das drittbeliebteste Auswanderungsland der Deutschen war, (nach der Schweiz und den USA), fühlt Möller sich als „Pionier der neuen Zeit“.

Er nimmt uns im wahrsten Sinne des Wortes mit auf eine Reise, die durchaus Expeditionscharakter hat. Wir steigen um 6.40 Uhr in den Eurocity von Berlin nach Warschau ein. Die Reise beginnt – mit einer Verspätung! Während der Zug dann schließlich doch in Richtung Frankfurt/Oder fährt, weiht Möller uns in den ersten von mehren Kulturschocks ein, das „Negative Thinking“ der Polen. Das ist aber keine Depression, denn der Pole hält nicht die ganze Welt für schlecht, sondern nur seinen Staat. Aber da gibt es einen gewaltigen Aspekt zu beachten: „Polen als reine Idee dagegen – Polska! - ist heilig und des letzten Blutstropfens wert.“ Im Laufe der Fahrt werden wir ein paar der möglichen Gründe erfahren, die unter anderem in den mehrfachen Teilungen liegen mag, die Polen in den vergangenen Jahrhunderten erfahren hat und die zu einer großen Skepsis der Obrigkeit gegenüber geführt haben. Das drückt sich bis heute in einer gewissen Selbständigkeit aus. Während der Deutsche ein chronischer Schadensmelder ist, repariert der Pole selbst. Auch Steffen Möller schafft es während der Reise seinen deutschen Schadensmelderreflex zu unterdrücken und behebt den Schaden an einer Tür mit ein paar Handgriffen. Aber so völlig polonisiert ist er noch nicht. An die emotionale Intelligenz der Polen kommen Deutsche eher nicht heran. Diese Form der Intelligenz gibt es fern von Schulbildung und Wissensstand, betrifft alle Bevölkerungsgruppen und kann von Deutschen schon mal ein Einmischung ins Privatleben empfunden werden. Insbesondere medizinische Ratschläge von völligen Laien sind beliebt, was teilweise am überlasteten polnischen Gesundheitssystem liegt.

In Polen gibt es weniger Vereinzelung von Menschen, was auch an der Bereitschaft liegt, sich selbst mit ungeliebter Verwandtschaft zu arrangieren. Der Pole zeigt seinen Wohlstand – so er über welchen verfügt – nicht in Form von immer größeren Autos, sondern in der üppigen Bewirtung von Gästen. Möller gibt auch sehr praktische Tipps. In Polen spricht man sich schon sehr bald nach dem ersten Kennenlernen mit dem Vornamen an. Übersetzt wird Möller in Polen mit „Herr Steffen“ angesprochen. Das ist ähnlich, wie im englischen Sprachraum, aber „pan“ für Herr und das „pani“ für Frau wird vorangestellt. Genau genommen, wird er meisten mit „pan Steffek“ angesprochen, da die Polen ein ausgesprochenes Faible für Koseformen haben und Möller durch seine Fernsehkarriere als zweitbekanntester Deutscher gilt, gleich nach dem deutschen Papst.

Allerdings hängt in polnischen Wohnungen immer noch das Konterfei des polnischen Papstes Johannes Paul II. Die Liebe zu ihm ist ungebrochen, aber der Katholizismus verliert zunehmend an Einfluss, auch wenn das für Außenstehende nicht so aussieht. Es gibt innerkirchliche Diskussionen und Spaltungen, wie in anderen Ländern auch.

In Polen ist leider der Fußball keine Ersatzreligion mehr, weil in der Vergangenheit die Erfolge ausblieben. Mit dem neuen Warschauer Nationalstadion investiert das Land aber in eine Fußballzukunft. Polen musste sich als Gastgeberland nicht für die EM qualifizieren. Der Nationaltrainer Franciszek Smuda hat in Deutschland übrigens schon drei Provinzmannschaften trainiert und spricht fließend deutsch. Smuda zählt schon 62 Lenze, man lässt die EM also entspannt angehen.

Wer mehr über das Urstromtal, den „Maso-Schaffner Mirek“, einen polnisch-sprechenden Japaner sowie weitere illustre Reisende im Speisewagen, eine Kopie der polnischen Pop-Ikone Doda Elektroda oder den polnischen Alternativsport Pilzesammeln wissen will, wird an der Reiselektüre des Steffena Möllera (wie der polnische Genitiv auch für Männer lauten müsste) seinen Spaß haben. Lehrreiche Passagen dürften den Deutschen wie Bier und den Polen wie Wodka heruntergehen, da sie mit Anekdoten deutscher Planeritis und polnischer Antiplanung gewürzt sind.


Helga Fitzner - 1. Juni 2012
ID 6001
Steffen Möller, Expedition zu den Polen - Eine Reise mit dem Berlin-Warszawa-Express
Erschienen am 14. 5. 2012
288 Seiten
Klappenbroschur
€ 14,99 [D], € 15,50 [A], sFr 21,90
ISBN: 9783890293998
Malik Verlag



Siehe auch:
http://www.piper-verlag.de/malik/


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