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Rezension

Allen Ginsberg / Jack Kerouac - Ruhm tötet alles. Die Briefe

Bill Morgan und David Stanford (Hrsg.)
Rogner & Bernhard 2012
ISBN 978-3-95403-001-9




1944 schreibt der 17jährige Student Allen Ginsberg dem 22jährigen Jack Kerouac ins Gefängnis; er schreibt über Dickens, Austen und Gogols Dämon der Mittelmäßigkeit. Wenige Jahre später ist es Ginsberg, der hinter schwedischen Gardinen sitzt und geradezu prophetisch verkündet: „Fünf Jahre literarische Korrespondenz, das ist irgendwann einmal ein unbezahlbarer Schatz.“ Damals konnte Ginsberg höchstens ahnen, dass aus diesen fünf Jahren einmal 25 werden würden – die Jahre bis zum Tod Kerouacs 1969, in denen sich zwei ebenso schreibwütige wie lebenshungrige Männer lange Briefe schickten. Wenn Ginsberg Recht behält, dann haben die Beat-Experten Bill Morgan und David Stanford mit der Herausgabe von knapp der Hälfte der 300 Briefe aus den Sammlungen der Universitäten von Columbia und Texas der Allgemeinheit einen Schatz von unschätzbarem Wert zugänglich gemacht. Zwei Jahre nach der amerikanischen Veröffentlichung liegt der Band nun auch in deutscher Sprache vor.

Kerouacs und Ginsbergs Korrespondenz umspannt nicht weniger als drei Jahrzehnte und vier Kontinente. Es sind Briefe, die vom Banalen und vom Unerhörten erzählen, von Metaphysik und Religion, von Heroin und den persönlichen Prosagöttern. Als ginge das eine mit dem anderen einher, ist auch immer wieder die Rede von der ewigen Suche nach Liebschaften und nach Verlegern, die die beiden umtriebigen Schriftsteller irgendwie im Leben verankern sollen. Den franko-kanadischen Kerouac und den jüdischen Lyriker Ginsberg, diese beiden Galionsfiguren der Beat Generation, verbindet eine innige Freundschaft, die nicht nur großen Distanzen trotzt, sondern auch das Aufeinanderprallen zweier sehr eigensinniger Köpfe überlebt. Den gemeinsamen Nenner bildet zunächst die Idee von einer neuartigen Literatur, später wird es auch der Buddhismus sein.

Wenn „Papst Ginsberg“ im März 1952 an Neal Cassady und Jack Kerouac schreibt, sie drei bildeten „inzwischen den Kern einer völlig neuen historisch wichtigen etc. etc. amerikanischen Schöpfung“, scheint abermals Größenwahn und prophetische Gabe aus ihm zu sprechen. Im Rückblick ist es jedoch unbstreitbar: Die Keimzelle des Beat um Ginsberg, Kerouac und Kollegen läutet die Geburtsstunde der Popliteratur ein. Die Beat-Literatur und der von ihr inspirierte Lebensstil sollte nicht nur die Hipcats in den 50ern prägen, sondern auch die Hippiebewegung der 60er beeinflussen. Hinter den Kulissen indes begegnen wir nicht nur den jazzverrückten Querdenkern, sondern auch den Literaten, die streng mit sich und dem anderen ins Gericht gehen. Allen Ginsberg, Schöpfer des monumentalen, kontroversen Gedichts Howl, schreibt an Kerouac über dessen bahnbrechenden Roman On the Road im Jahre 1952, also fünf Jahre vor dem Erscheinen: „Es ist verrückt (nicht bloß genial verrückt) sondern unzusammenhängend verrückt.“ Mehr als einmal begegnen wir in den Briefen einem Kerouac, der nicht immer gegen Kritik immun ist, auch nicht, wenn sie von einem seiner engsten Weggefährten stammt.

Diese Spur von durchgeknallter Genialität zieht sich durch den gesamten Briefband. Wie die Werke beider Autoren, so sind auch ihre Briefe voller kryptischer Bezüge auf ihre ganz eigene Mythologie, die selbst die Herausgeber in ihrer ansonsten sorgfältig und klug kommentierten Ausgabe nicht immer aufdröseln können. Den Lesegenuss mindert das aber nicht im Geringsten. Denn gerade hier, in ihren Briefen, zeigen sich die Gründerväter der Beat Generation verletzlich, größenwahnsinnig, visionär und alltäglich zugleich. Die Berichte der beiden Ikonen über ihre unzähligen Reisen, ihre Bettgeschichten und frequenten Trips lesen sich wie Pop-Weltliteratur im besten Sinne, obwohl - oder gerade weil - die Freunde beim Schreiben selbst oft unter Drogen stehen oder zu tief in die Flasche geschaut haben. Furioser Slang-Gebrauch und rätselhafte Wortzaubereien, wie etwa die „große benebelte Dostojewski'sche Party” (Kerouac) wurden von Michael Kellner sehr souverän ins Deutsche übersetzt. In ihrem ungeschliffenen Zustand stehen so manche Briefpassagen Kerouacs bester, spontaner Prosa und Ginsbergs Glanzstücken drastischer Lyrik in nichts nach. Schade nur, dass nicht alle den Briefen beigefügten Gedichte konsequent in der Originalversion belassen wurden.

Besser vielleicht als so manche Biographie öffnet die Lektüre von Ruhm tötet alles auch die Augen dafür, dass sich beider Leben um das Treiben eines weit verzweigten Kollektivs herum organisierte. Denn Kerouac und Ginsberg isoliert als Wortführer einer Bewegung zu betrachten, wäre schlichtweg falsch. William Burroughs, Lucien Carr, Peter Orlovsky – um nur einige zu nennen – sie alle sind mehr als Nebendarsteller in der Geschichte der Beatniks. Dass eine große Anzahl der in den Briefen erwähnten Personen unbekannt ist, vergrätzt den unwissenden Leser aber nicht. Vielmehr macht es Lust, sich auf weitere Spurensuche zu begeben.

Die Veröffentlichung der Briefe, die der 1997 verstorbene Ginsberg nicht mehr erleben durfte, freut Literaturwissenschaftler ebenso wie eingefleischte Fans und Liebhaber der Beat-Literatur. Die Lektüre der Briefe ist nämlich nicht nur auf intellektueller Ebene bereichernd, sondern vor allem auch ganz banales Vergnügen am Verbotenen: Wie schön, so ganz legitim die Briefe anderer lesen zu dürfen, zumal so kurzweilige. „Dein liebevolles Monster“, beendet Kerouac einen seiner Briefe; sein Freund setzt unter das Antwortschreiben die Worte „Deine hilflose Klette, A.“. Allen Ginsberg und Jack Kerouac ist es zweifellos gelungen, den Dämon der Mittelmäßigkeit auszutreiben.

Jaleh Ojan - 12. November 2012
ID 6343
Allen Ginsberg / Jack Kerouac - Ruhm tötet alles. Die Briefe
Hrsg. Bill Morgan & David Stanford gebunden mit Schutzumschlag
500 Seiten
Euro 22,95 €
Rogner & Bernhard
ISBN 978-3-95403-001-9
Erschienen Mai 2012



Siehe auch:
http://www.rogner-bernhard.de


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