Nicht Fisch,
nicht Fleisch
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Bewertung:
Basel 1869 – in der Schweiz trifft sich die internationale Arbeiterassoziation zu einem Kongress. Mit von der Partie ist der berühmte Anarchist und Revolutionär Bakunin. Zeitgleich arbeitet an der Universität der damals fünfundzwanzigjährige Philologe Friedrich Nietzche. Beide werden zu Akteuren, als zeitgleich ein Mord geschieht: Ein zwielichtiger Polizeispitzel und notorischer Ehebrecher wird am Rheinufer heimtückisch erschlagen. Kurz darauf bekommt der biedere Gendarmeriehauptmann Weiss vom Bürgermeister den Täter serviert, ein heimischer Arbeiter, der mit einer höheren Tochter vor Ort angebandelt hat und zudem Unterstützer des nur ungern geduldeten Arbeiterkongresses ist.
Unsympathisch und erdrückend wirkt die biedere und verkrustete Atmosphäre in Basel; die Bourgeoisie, die mächtigen Industriellen, die von der Seidenbandweberei leben und sich als „Geldadelige“ politischen Einfluss herausnehmen und im Mordfall ihren Verdächtigen präsentieren. So kann nur das persönliche Engagement von Louise Bachofen dem Unschuldigen helfen. Die Professorengattin bringt den jungen (in sie verliebten?) Nietzsche dazu mit seiner Logik den Verdächtigen zu entlasten.
„'Der Mörder hat ein Instrument benutzt, welches ein Loch in den Schädel schlagen kann. In den harten Hinterkopf allzumal. In den Schädelknochen Os parietale.' Nietzsche schaute streng um sich und machte tragische Handbewegungen, die zwar nicht nach Totschlag aussahen, aber dennoch bei den Zuhörern einen gewissen Effekt hatten. Louise Bachofen zog schaudern die Schultern hoch. Gendarmeriehauptmann Weiss lachte auf den Stockzähnen, er bewunderte den Professor, der ein solches Spektakel machen konnte und seine Zuhörer in den Bann schlug." (S. 204)
Eine Mischung von fiktiven und authentischen Personen ist ein literarischer Kniff, den ich persönlich nicht schätze, obwohl Wolfgang Bortlik in seinen umfangreichen Nachbemerkungen Zeit, Personen und Hintergründe akribisch zuordnet. Doch kann ein Autor den Charakter einer Person so ergründen, dass er diese als Akteur in einem belletristischen Roman auftreten lassen kann? War Bakunin wirklich der lebensfrohe Sympathieträger und Nietzche der virtuose Klavierspieler, den es gerne in das Haus der real existierenden Hausherrin Louise Bachofen zog? Das Buch kann sich aus meiner Sicht nicht entscheiden, ob es ein Kriminal-, ein Historienroman oder etwas noch ganz anderes sein will.
Kann ich also erwarten, dass ein Mörder dingfest gemacht wird, oder werde ich lernen, warum Karl Marx nicht zum Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation erschien und worin der Disput zu Bakunin lag? Beides erfüllt das Buch eben nur ein bisschen, und so bleiben weder ein spannender Krimi, noch ein interessantes Zeitdokument zurück.
Ellen Norten - 3. August 2020 ID 12381
Gmeiner-Link zu
Allzumenschliches von Wolfgang Bortlik
Post an Dr. Ellen Norten
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