Von Rotzkotz,
Blitzkrieg und
Hans-A-Plast
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Bewertung:
Ich bin kein Punk und bin es nie gewesen. Geprägt von Woodstock schlug mein Herz für die Hippiegeneration, und doch habe ich 2006 einen ehemaligen Punk geheiratet, einen Punk aus Hannover. Das wäre eigentlich allein schon ein Grund sich das Buch vorzunehmen, doch auch ohne die themenstiftende Ehe ist das Buch wirklich lesenswert. Durch die Auswahl der Autoren wird ein Eintauchen in die Punk-Szene der achtziger Jahre in der niedersächsischen Landeshauptstadt möglich. Anders als in den sonstigen Punkhochburgen in Deutschland gab es dort keine Plattenlabel, und die so typische Szenemusik musste unabhängig oder in fernen Städten produziert werden. Wie dies die ach so wenig organisierten Punks trotzdem in die Wege leiteten, wird von Hollow Skai, dem Herausgeber des No Fun Fanzcines und dem gleichnamigen Plattenlabel beschrieben:
"Punk war nicht nur die längst überfällige musikalische Wachablösung alter Fürze wie Yes oder Jethro Tull, die neuen Bands den Weg nach oben versperrten. Nicht nur ein Aufbegehren von Jugendlichen aus den Sozialbauwohnungen von Satellitenstädten. Punk war ein Urknall, wie es zuletzt der Dadaismus 60 Jahre zuvor gewesen war, eine Explosion aller Sinne, eine Supernova in grauer Städte Mauern. Gesegnet ist der, der Punk in seinen Anfängen aus nächster Nähe verfolgen oder dabei mitmachen konnte. Amen." (Wie der Punk nach Hannover kam, S. 20)
Neben ihm kommen andere Ikonen der damaligen Szene zu Wort, sie beschreiben in kurzen Autobiografien, wie damals der Punk für sie zur Lebensperspektive wurde. Das macht das Buch zum Leseereignis auch für diejenigen, die weder in Hannover lebten oder viel mit Punk zu tun hatten. Der Punkt im Leben, an dem das Elternhaus verlassen wird, wo eine neue Freiheit winkt, wie diese wahrgenommen und welche Chancen sie letztendlich bietet, ist in seiner Wahrhaftigkeit lesenswert. Wie einfach es war, Mitglied einer Punkband zu werden, auch ohne musikalische Kenntnisse, selbst ein Instrument konnte rasch hinreichend erlernt werden. Oder die Arbeit an einem Fanscine, dass vielleicht sogar eine Eigengründung war; daneben die Gestaltung von Stickern, Plattencovern, alles war möglich!
"Die 1980 er hatten begonnen. Würden wir am Herzinfarkt beim Pogotanzen sterben? Würde ein Atomkraftwerk explodieren und die Erde unbewohnbar machen? Würden wir nur noch akustische Musik hören können, weil es keinen Strom mehr gab? Egal, solange die Musik laut genug war, würden wir nicht merken, dass die Welt zusammenbricht.
Wenige Tage später gehörte auch ich zu einer Band." (Annette Simons, Bärchen und die Milchbubis, S. 136)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Teil des Buches, der die Protagonisten in ihrer heutigen Lebenssituation schildert. Was ist aus Bärchen und den Milchbubies nach vierzig Jahren geworden? Viele der Punks sind heute noch künstlerisch tätig, andere haben das Jahr 2023 nicht mehr erlebt, sei es weil ein exzessiver Lebenswandel seine Spuren hinterließ, sei es aber auch einfach, weil Alter und Krankheiten dies bedingt haben.
Die alten Schallplatten, ihre Gestaltung, Poster oder Buttons sind heute Raritäten und werden zu hohen Preisen gehandelt. Deren Abbildungen, wie auch die zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Szene machen das Buch für den Insider zu einer wahren Zeitreise.
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Wie der Punk nach Hannover kam, ist ein echtes Dokument von einer Kultur, die damals und vielleicht heute noch von der Gesellschaft nicht immer ernst genommen wird – zu Unrecht, wie das Buch zeigt.
Ellen Norten - 12. Mai 2023 ID 14192
Verlagslink zu
Wie der Punk nach Hannover kam
Post an Dr. Ellen Norten
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