Von Liebe,
Armut und Geld
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Bewertung:
Anscheinend ist es ein zeitloses Phänomen, dass die Gier nach Geld der Liebe im Weg stehen und sie letztendlich vernichten kann. Dies ist knapp gesagt die Handlung in Sumpffieber, einem Roman, der vor 120 Jahren von Vicente Blasco Ibáñez (1867-1928) geschrieben wurde.
Das kleine Fischerörtchen El Palmar liegt an einem Kanal zwischen einem großen Reisanbaugebiet und der Sumpflandschaft Albufera vor den Toren Valencias. Damals wie heute leben hier Fischer und Reisbauern, doch heute lockt der 800-Einwohner-Ort mit guten Fischrestaurants und ist als Touristenziel durchaus beliebt.
Zur Zeit von Neleta und Tono, den beiden Liebenden im Roman, gab es diese Attraktion noch nicht. Reiche Valencianer kamen zur Jagd in die einzigartige Sumpflandschaft. Die Einheimischen unterstützten sie bei ihrem Treiben, durften selbst aber nur in Ausnahmen die Vogelwelt für ihre Kochtöpfe nutzen. Der Autor zeichnet die Menschen geradezu mit seinen Worten, zeigt über Jahre hinweg deren Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und macht sie uns damit sehr vertraut. Obwohl sie doch vergangenen Generationen angehören, stehen sie lebendig vor uns wie etwa Sangonera, der wasserscheue Herumtreiber und Lebenskünstler.
"Als Sangonera ins zwölfte Jahr ging, ließ er nach und nach den Verkehr mit den alten Kumpanen einschlafen. Sein Parasiteninstinkt riet ihm, die Kirche zu frequentieren als sichersten Weg, sich Eingang ins Pfarrhaus zu verschaffen. In einem Dorfe wie Palmar war der Cura ebenso arm wie der erste beste Fischer, doch Sangonera gelüstete es nach dem Messwein, den er in der Taverne viel hatte loben hören. Überdies aber kam ihm an Sommertagen, wenn der See in der Sonnenglut zu kochen schien, die kleine Kirche mit ihrem durch die grünen Fenster sickernden Dämmerlicht, den kalkweißen Wänden und dem roten Ziegelsteinpflaster, das die Feuchtigkeit des sumpfigen Bodens ausdünstete, wie ein verzaubertes Paradies vor." (S. 67)
Es ist ein Zufall, dass ich das 800-Seelen-Dorf Palmar und die Umgebung bereits zwei Mal besucht habe. Der spezielle Sumpf hat seinen Reiz behalten, und eine Fahrt mit einem Nachen durch die engen Kanäle zum See ist ein Erlebnis. Heute sind es weniger Enten als Reiher, die durch die Boote aufgescheucht werden, trotzdem lässt dieses Naturerlebnis die Schilderungen von Blasco lebendig werden.
Die Charaktere, die mich im Roman begleiten, passen für mich in diese Landschaft. Ich habe sie kennengelernt, die stolze Neleta, die nach ihrer zweckgebundenen Ehe gierig nach dem Erbe des reichen Gatten schielt. Und Tono, der egoistische und faule Lebemann, der sich von Neleta zu guter Letzt durch die Manege ziehen lässt. Oder Sangonera, sein versoffener Freund, dessen Ziel es ist niemals zu arbeiten und der seinen Lebensstil als Christ mit seinem Glauben verteidigt. Und da ist Paloma, der kauzige Dorfälteste, dem seine Fischerei über alles geht und der trotz seines Ansehens seinen Enkel Tono nicht dauerhaft in die Spur weisen kann. Sie alle erleben den Alltag in der Albufera, aber auch Dorffeste und andere Traditionen. Im Zentrum steht jedoch die bizarre Liebesgeschichte von Neleta und Tono, die spannende Kapriolen schlägt und einem unerwarteten Höhepunkt zusteuert.
Der Roman wirkt trotz seines Alters nicht aus der Zeit gefallen und bietet unbedingten Lesespaß. Verlag und Herausgeber wollen mit dem Buch und der konzipierten Reihe literarische Prosa aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende wieder zugänglich machen. Mit dieser ersten Ausgabe ist ihnen dies hervorragend gelungen.
Ellen Norten - 11. Januar 2023 ID 14556
Mediathoughts-Link zum
Sumpffieber
Post an Dr. Ellen Norten
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