Böser
Großvater
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Bewertung:
Ein Schriftsteller fährt seinen Großvater besuchen, um dessen neunzigsten Geburtstag mit ihm zu feiern; soweit erst einmal der simple Sachverhalt. Das Besondere daran: Der Autor hat keine Erinnerungen an diesen Großvater, noch an seine Familie – er wuchs im Kinderheim auf. Trotzdem lässt ihn diese Einladung kalt, Gefühle kommen erst ins Spiel, als er kurz vor seinem Ziel, dem Dorf Volkow, eine schwere Autopanne erleidet. Die Gegend ist wie ausgestorben, denn sie liegt am Rand des Braunkohletagebaus, und der angesteuerte Ort wird in Kürze abgerissen.
Die Stimmung ist bedrückend, und dies setzt sich bei der Geburtstagsfeier des Großvaters fort.
"Der Alte musterte ihn schweigend.
Elias nippte verlegen an seinem Kaffee. Er fühlte sich unwirklich. Irgendwie neben der Spur. Ja, das traf es gut. Als würde er ein paar Meter abseits stehen und zusehen, wie er da saß, mit all diesen wildfremden Leuten an einem Kaffeetisch unter einer zerschlissenen Markise.
(…)
Elias bedachte die Runde mit einem schiefen Lächeln, obwohl ihm nicht im Geringsten danach zumute war. Er hatte keine Schwierigkeiten gehabt, das Haus zu finden (kein Wunder, es gab ja nur ein paar), und als er die Dorfstraße entlanglief, war ihm mit Ausnahme einer gebeugten alten Frau in schwarzem Kleid und einer zerzausten Katze niemand begegnet. Auch das, dachte er, war nicht weiter verwunderlich, schließlich schien sich ein Großteil der Dorfbewohner hier hinter dem Haus versammelt zu haben." (Stephan Ludwig, Unter der Erde, S. 26)
Skurrile Bewohner nehmen an dem eigentümlichen Kaffeetrinken teil, das ganze Unternehmen wirkt wie aus der Zeit gefallen. Dennoch, am Ortsrand von Volkow werden der verschlafen wirkenden Szenerie zum Trotz Neuwagen und landwirtschaftliche Fahrzeuge verkauft, eine Werkstatt bietet ihre Dienste an, doch wo sind die Kunden? Die angebotenen Traktoren passen in ihrer Breite nicht einmal über die einzige Brücke, die den Zugang nach Volkow ermöglicht. Ein unheimliches Ensemble, das von den Ruinen eines ehemaligen russischen Militärgefängnisses gekrönt wird.
Durch die Wagenpanne wird der Protagonist an diesem gespenstischen Ort festgehalten, der Großvater entpuppt sich als widerlicher Despot, und die ach so engagierten Nachbarn verfolgen mit ihren Hilfsangeboten eher eigene, wenig durchschaubare Ziele…
Eine Gradwanderung zwischen Fantasy und einem realistischen Krimi. So spannend der Thriller auch daher kommt, für mich wirkt das Szenario manchmal unglaubhaft. Ein bisschen weniger Fiktion hätte dem Thema einen realistischen Horror verliehen, für echte Fantasy weichen die Zusammenhänge wiederum nicht weit genug von der Wirklichkeit ab. So bleiben Ungereimtheiten zurück, auf die man sich als Leser einlassen kann oder auch nicht.
Der Grundgedanke, der dem ganzen innewohnt, ist jedoch spannend und aktuell. Stephan Ludwig gibt an, dass ihm die Idee zum Thriller bei einem Ausflug in die Lausitz kam. Tatsächlich scheint hier eine Reihe autobiografischer Daten des Autors den Roman mitzubestimmen. Wer Ludwig bisher von seiner Reihe um den hallensischen Kriminalinspektor Zorn und dessen Mitstreiter, den dicken Schröder kennt und schätzt, wird durch dieses Buch auf eine ganz andere Fährte geleitet.
Ellen Norten - 25. August 2020 ID 12410
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Unter der Erde
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