Der Sammler
im Kalten Krieg
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Vieles lässt sich am öffentlich-rechtlichen Fernsehen kritisieren. Aber es hat auch Verdienste aufzuweisen, an die man um der Gerechtigkeit willen erinnern sollte. Dazu gehören die Auslandskorrespondenten, die in den Jahren des Kalten Krieges aus der Sowjetunion und aus Osteuropa berichtet haben. Sie waren fast alle überdurchschnittlich kompetent, journalistisch versiert und politisch urteilsfähig. Man kann ihnen vielleicht zu große Regierungsnähe vorwerfen – manchmal nahmen sich ihre Statements wie Paraphrasen der offiziellen Bonner Presserklärungen aus –, aber man kann auch gerade würdigen, dass sie die nicht unumstrittene, von Willy Brandt und Egon Bahr eingeleitete Ostpolitik, die Spannungen abgebaut und letzten Endes zur Wiedervereinigung geführt hat, unterstützt und verständlich gemacht, damit ein Gegengewicht gegen die ebenfalls im Fernsehen verbreitete Hetze – und Gerhard Löwenthal war für sie der radikalste, aber keineswegs der einzige Vertreter – gebildet haben. Erinnert sei an Persönlichkeiten wie Gerd Ruge, Fritz Pleitgen, Klaus Bednarz, Gabriele Krone-Schmalz, Dirk Sager, Thomas Roth. Auch Peter Merseburger in Ost-Berlin muss man dazu rechnen. Ihre Kollegen im Hörfunk sind nicht ganz so bekannt – das liegt am Medium. Weniger profiliert sind sie nicht unbedingt. Einer von ihnen ist Hans-Peter Riese, der für Zeitungen und Rundfunkanstalten unter anderem aus Prag und Moskau berichtet hat.
Es mag eine Koinzidenz sein, aber einige dieser Korrespondenten haben neben ihrem politischen Interesse eine Neigung für kulturelle Themen, eine Affinität zu den Künsten bewiesen. So auch Hans-Peter Riese. In seiner Prager Zeit hatte er persönliche Kontakte zu den Künstlern am Ort. Was die Klischees des Kalten Krieges ja verschwiegen: in der Tschechoslowakei wie übrigens in Polen gab es – auf fast allen Gebieten, bis hin zum Film und zum Jazz – selbst in den kulturpolitisch restriktivsten Jahren eine ansehnliche Zahl von Künstlern, die den Vergleich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in westlichen Ländern nicht zu scheuen brauchten. Wo wäre in jenen Jahren der deutsche Forman, der deutsche Menzel, die deutsche Chytilová, der deutsche Wajda, der deutsche Kawalerowicz, der deutsche Polański, der deutsche Jiří Stivín, der deutsche Miroslav Vitouš, der deutsche Komeda, der deutsche Wróblewski?
Hans-Peter Riese hat kontinuierlich Kunstwerke gekauft. Seine Sammlung ist nicht so groß, dass man ihr ein eigenes Haus bauen würde – schließlich ist Riese Journalist und nicht Schokoladenfabrikant –, und sie deckt keineswegs das Spektrum der tschechoslowakischen Kunst der Jahre ab, in denen Riese sein Büro in Prag hatte. Im übrigen konnte man damals Kunstwerke in Osteuropa zu Preisen erwerben, die man in Westdeutschland nur belächelt hätte. Selbst die Prager Antiquariate, in denen es auch jede Menge deutschsprachiger Bücher gab, wurden von deutschen und österreichischen Touristen überflutet, die sich über jedes Schnäppchen freuten und ihre Regale mit Klassikerausgaben füllten, die sie nie lasen.
Mit dem kulturellen Erbe der Deutschen, „die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verloren und sich als Folge von Flucht und Vertreibung westlich der Oder-Neiße-Linie ansiedelten“, von dem im Vorwort von Reisen. Entdecken. Sammeln die Rede ist, hat die im Kunstforum Ostdeutsche Galerie und der Universitätsbibliothek Regensburg untergebrachte Sammlung nichts zu tun, und auch, dass es sich bei ihr um „Zeugnisse der politisch nicht konformen ungegenständlichen Kunst, die im Verborgenen und unabhängig von den kommunistischen Regimen angefertigt wurde“ handle, entspricht, jedenfalls in dieser Pauschalität, eher dem rostigen Arsenal des Kalten Krieges als der Wahrheit. Fast komisch wirkt die Behauptung, eine von Nägeln durchbohrte Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit von Günther Uecker verweise sinnbildlich auf die Zensur im Ostblock, als hätte sich Uecker die Nägel für dieses Geschenk an Hans-Peter Riese einfallen lassen. Jiří Kolář zum Beispiel, der bedeutendste tschechische Pendler zwischen Grafik und (konkreter) Dichtung, war, nachdem er zur Zeit des Slánský-Prozesses inhaftiert worden war, in den sechziger Jahren im Prager Kulturleben durchaus präsent, und er konnte auch ausreisen. Unzählige Ausstellungen in ganz Europa und den USA zeugen von seiner für avantgardistische Arbeiten erstaunlichen Popularität. Jiří Kolář ist in Hans-Peter Rieses Sammlung würdig vertreten.
Und Uecker? Er steht zusammen mit Fotos von Barbara Klemm neben den tschechischen Künstlern in dem schmalen Buch, das zugleich als Katalog dienen sollte für eine noch bis zum 3. Mai geplante Ausstellung, die jetzt dem Coronavirus zum Opfer wurde.
Thomas Rothschild – 8. April 2020 (2) ID 12151
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