Die Sanierung,
die Kosten
und die
Demokratie
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Bewertung:
Wenn ein Wiener nach Griechenland kommt, staunt er beim Anblick antiker Tempel: „Genau wie das Parlament“. Das Gebäude des österreichischen Nationalrats ist ihm vertraut, seit er als Volksschüler beim Stadtrundgang darauf eingeschworen wurde. Genau genommen lässt sich das von dem dänischen Architekten Theophil Hansen entworfene und 1883 eröffnete Gebäude tatsächlich als symbolische Manifestation des Nationalcharakters verstehen. Wie alle repräsentativen Bauwerke an der Ringstraße, die nach dem Abriss der Stadtmauer die Innenstadt umgeben sollte, verweist es in eine ferne Vergangenheit. Der Historismus ließ den Blick nach vorne nicht zu. Ein architektonisches Museum bewährt sich als steingewordener Konservatismus.
Jetzt wurde das Parlamentsgebäude, vor dem die griechische Göttin der Weisheit Wache steht, in jahrelanger, durch die Pandemie noch prolongierter Arbeit generalsaniert, und Park Books, spezialisiert auf Kunstbücher, hat eine aufwendige, reich illustrierte Dokumentation unter dem Titel Das österreichische Parlamentsgebäude - Facetten einer Erneuerung herausgebracht. Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die österreichische Öffentlichkeit mehr Interesse an den Ausgaben für den Umbau des Parlamentsgebäudes zeigt als für das Schmierentheater in seinem Plenarsaal. Der Präsident des österreichischen Nationalrats Wolfgang Sobotka, der kürzlich im Zusammenhang mit einer Korruptionsaffäre Schlagzeilen gemacht hat, ausgerechnet, lässt sich jedoch nicht davon abhalten, die Bausubstanz als Garanten der Demokratie zu feiern. So einfach ist das.
Es entspricht dem Charakter solch eines Bandes, dass er der Apologie verpflichtet ist und auf Kritik verzichtet. Die Skizzen sind ja auch tatsächlich interessant und weisen, wenn nicht in die Zukunft, so doch auf eine Gegenwart diesseits der Architekturgeschichte. Funktionale Sachlichkeit statt einer gotischen Kirche, die nicht gotisch ist, einem Renaissancetheater, das nichts mit Renaissance zu tun hat, und einem antiken Parlament, das nicht antik ist. Und damit niemand auf böse Gedanken kommt, stammt eine finanzielle Unterstützung des Projekts vom schweizerischen (!) Bundesamt für Kultur.
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Apropos: Vor zehn Jahren hat sich der Schweizer (!) Christoph Marthaler im Rahmen der Wiener Festwochen im damals noch unrenovierten Plenarsaal des Parlaments auf den Genius loci eingelassen, die zuverlässig faschistische Denkungsart und den anhaltenden Vernichtungswillen gegenüber allem, was fremd erscheint – gegenüber Behinderten, Juden, Zigeunern. Im zweiten Teil seines Projekts Letzte Tage. Ein Vorabend arrangierte Marthaler seine Figuren nicht illustrativ, sondern kontrapunktisch zu Kompositionen von jüdischen Komponisten, die verfolgt, deportiert und umgebracht wurden.
Davon ist in der Dokumentation keine Rede. Wen wundert’s. Das Haus ist saniert. Mit der Demokratie muss man es nicht übertreiben.
Thomas Rothschild – 26. Februar 2023 ID 14064
Park Books-Link zum
Österreichischen Parlamentsgebäude
Post an Dr. Thomas Rothschild
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