Von echten
und falschen
Freunden
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Bewertung:
Es ist erschreckend, wenn Carl Mørck, der begnadete Ermittler in neun vorangegangenen Fällen in diesem Buch selbst hinter Gitter gerät und von fast allen seinen Weggefährten für schuldig gehalten wird – schuldig an Korruption und Rauschgifthandel.
Wie kann es sein, so fragt sich der Leser, dass ein langjähriges erfolgreiches Arbeitsverhältnis so wenig Vertrauen hinterlässt, wie kann es sein, dass eine Vorverurteilung seitens der Vorgesetzten binnen Stunden entstehen kann? Es grenzt an realem Horror, wenn sich die Ein- und Wertschätzung des sozialen Umfelds aufgrund eines zugegeben belastenden Fundes sofort ändert.
"In den sozialen Medien sprach sich niemand für ihn aus. Bei sämtlichen Einträgen, Neuigkeiten und Status-Updates auf Instagram, Facebook und Twitter überwogen die Hasskommentare bei Weitem, und auch wenn die Details der Anklage gegen Carl noch nicht publik gemacht waren, verurteilte ihn die Öffentlichkeit ohne die geringsten Beweise wegen Amtsmissbrauchs, Korruption, Tätlichkeit, Unzuverlässigkeit oder seiner vermeintlich dubiosen und kompromisslosen Jagd nach Ermittlungserfolgen. Keiner redete von seinen komplexen Fällen oder davon, wie er jahrelang dafür gesorgt hatte, dass Mörder gestoppt und rätselhafte Mordfälle aufgeklärt wurden. Binnen vierundzwanzig Stunden war Carl Mørck zum Synonym geworden für Betrug, für das Böse an sich." (S. 113)
Grund für die Diffamierung ist ein Koffer, den Mørck seit Jahren für einen Kollegen auf seinem Dachboden untergestellt hatte. Als der Kollege bei einem gemeinsamen Einsatz erschossen wird, gerät der Koffer und sein für Carl Mørck unbekannter Inhalt in Vergessenheit. Nun steht der Koffer plötzlich im Visier der Kriminalpolizei. Woher stammt dessen Inhalt, der immens großen Mengen an Rauschgift und Bargeld offenbart?
Alles spricht gegen Carl Mørck – oder für ein Komplott gegen ihn.
*
Wer die vorrangegangenen Fälle von Carl Mørck gelesen hat, dem sind seine Kollegen vom Sonderdezernat Q gute Bekannte geworden. Auch Vorgesetzte und Ermittler aus dem engeren und weiteren Umfeld von ihm sind uns wohl bekannt. Alder Olsen versteht es, die besonderen Charaktere seiner Protagonisten sehr detailliert zu schildern, umso mehr verstört es nun beim Lesen, wie schnell manche Vertrauensperson oder mancher Freund sofort die Seiten wechselt, zum Kläger gegen Mørck wird, ohne die geringste Hilfe für ihn auch nur in Betracht zu ziehen.
Lediglich seine allerengsten Kollegen Assad, Rose und Gordon glauben an seine Unschuld. Ob und wie Carl Mørck aus der Situation herauskommt, ist Inhalt von Jussi Adler Olsens neuem Buch Verraten, kann aber neben der eigentlichen Thrillerhandlung auch Ängste schüren, die über den eigentlichen Fall hinausgehen. Wer würde bei einer unvorhersehbaren Beschuldigung gegen einen selber zu uns halten? Welche Freunde, Familienmitglieder und Vorgesetzte würde ihr Vertrauen höher hängen als eventuelle Verdachtsmomente?
Der Autor hatte nach eigener Auskunft den gesamten Plot schon beim ersten Fall Carl Mørcks im Hinterkopf gehabt. Alle zehn Bücher sind vor diesem Hintergrund entstanden. Trotzdem ist es ihm gelungen jeden Band für sich allein zu einem packenden Thriller zu machen, ohne notwendige Kenntnisse über die anderen Fälle. So sind aus zehn Bestsellern nun ein Gesamtkunstwerk entstanden; ein halbes Polizistenleben, das für den Leser abgeschlossen wird.
Schade war für mich, dass die Gesamtlösung des Falles, der in die vorangegangenen Bände hineinreicht, aus meiner Sicht nicht die Spektakularität der Vorgängerbände erreicht, sondern sogar ein bisschen banal daherkommt. Aber das mag Geschmackssache sein. Schade ist aber in jedem Fall, dass es keine weiteren Thriller um Carl Mørck geben wird. Vielleicht nutzt sich jeder Ermittler irgendwann ab, auch wenn er und sein Umfeld noch so originell daherkommen, und so mag Adler Olsen den richtigen Zeitpunkt für das Ende von Carl Mørck gewählt haben.
Ellen Norten - 16. April 2024 ID 14702
dtv-Link zu
Verraten von Jussi Adler Olsen
Post an Dr. Ellen Norten
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