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Lyrik

Der Anarchist

mit der

Gitarre





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Kurios. Die Opern Mozarts, die Symphonien von Beethoven und die Klavierstücke von Chopin sind lebendig, als wären sie eben erst komponiert worden. Die Songs der Beatles erkennt jeder nach den ersten drei Takten. Der Basin Street Blues gehört ebenso zur internationalen Alltagsfolklore wie der Marsch aus dem Film The Bridge on the River Kwai. Aber die französischen oder belgischen Autoren und Interpreten von Chansons, die englischen und amerikanischen Singer-Songwriter – Bob Dylan ausgenommen –, die italienischen Cantautori, die deutschen und österreichischen Liedermacher sind nach wenigen Jahrzehnten so gut wie vergessen. Woran liegt das bloß?

Georges Brassens (1921-1981) war einer der Größten. Er wurde, auch in Deutschland, bewundert und nachgeahmt. René Clairs hinreißender Film Porte des Lilas (Die Mausefalle) zog die Zuschauer nicht zuletzt wegen Brassens, der neben Pierre Brasseur spielte und einige seiner bekanntesten Chansons sang, massenhaft in die Kinos. Wenn es berechtigt war, Bob Dylan für seine Texte, auch ungesungen, den Literatur-Nobelpreis zu verleihen, so wäre Brassens ein zumindest ebenso würdiger Kandidat. Seine suggestive Stimme und sein eher schlichtes Gitarrenspiel sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Brassens ein Poet von Format war, in der Tradition von Villon und Rimbaud.

Jetzt hat der angesehene Übersetzer Gisbert Haefs sämtliche Chansons von Brassens ungereimt, aber dafür genau ins Deutsche übertragen, und der Wiener Mandelbaum Verlag hat sie in einer schönen, mehr als 600 Seiten dicken zweisprachigen Edition herausgebracht.

Die meisten Chansons erzählen – darin den Lieder von Franz Josef Degenhardt vergleichbar – Geschichten, andere sind Rollenlieder, die sich autobiographisch geben. Brassens skizziert, wieder in ähnlicher Manier wie Degenhardt oder Hannes Wader, einzelne, oft skurrile oder ausgegrenzte Figuren wie den Pauvre Martin, den Armen Martin, den Onkel Archibald, den alten Léon oder die Herbergsmutter Jeanne. Dabei bewegt er sich nah am Bestand des Poetischen Realismus, jener Strömung, mit der der französische Film vor der Nouvelle Vague Geschichte geschrieben hat. Häufig ist vom Tod die Rede, aber er hat bei Brassens nichts Bedrohliches.

Brassens bezeichnet sich selbst als Anarchist. Den Herrschenden ist es gelungen, den Anarchismus zu diskreditieren und in die Köpfe die Vorstellung von Bombenwerfern und Attentätern zu pflanzen. Die Chansons von Georges Brassens verdeutlichen, was Anarchismus tatsächlich bedeutet: Herrschaftsfreiheit, Missachtung von angemaßter Autorität, Bekämpfung von sozialem Unrecht. Zwischen Proudhon, Bakunin, Malatesta und Stirner gibt es da eine große Spannbreite. Brassens gehört zu der sympathischeren Sorte. Er ist unverblümt antiklerikal, will aber nicht „der Antichrist vom Dienst“ sein. Und er erinnert an eine Zeit, als die sexuelle Befreiung ein von der Linken angestrebtes Ziel war und noch keine verbissene neue Prüderie sich zum Ziel setzte, zu den bigotten Werten der katholischen Kirche zurück zu kehren.

Zum Anarchismus des Georges Brassens gehört auch die Verwendung „verbotener“ Wörter. Obszönität ist seit je eine Form der plebejischen und der literarischen Rebellion gegen die (Sprach-)Polizei. Armer Haefs. Wie will man das vermitteln in einer Gegenwart, da auch diese Selbstverständlichkeit vergessen wurde.


Thomas Rothschild – 10. Oktober 2021
ID 13198
Verlagslink zu den Chansons von Georges Brassens


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