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Irgendwie kommt niemand auf die Idee, Bäcker zu befragen, wie es war, als sie ihr erstes Brot buken, oder Verkäuferinnen, wie sie sich an ihrem ersten Tag hinter der Supermarktkasse gefühlt haben, und daraus eine Anthologie zu machen. Aber ein wenig interessanter sind die Erinnerungen von Schriftstellern an ihr erstes Buch schon als die Homestorys von Adeligen oder von so genannten Prominenten, mit denen zahllose Magazine Woche für Woche eine im wirklichen Leben zu kurz gekommene Leserschaft abfüttern. Und wenn der Titel Das erste Mal nicht den Geschlechtsverkehr meint, sieht man sich auf wohltuende Weise in die Irre geführt.
Der österreichische Journalist Wolfgang Paterno ist, worauf er im Vorwort ausdrücklich hinweist, nicht der Erste, der Autorinnen und Autoren über ihr erstes Buch berichten lässt, also gibt es offenbar Bedarf nach Auskünften über eine Arbeit, die sich vom Brotbacken und vom Kassieren im Supermarkt ein wenig unterscheidet. Eigentlich könnte man meinen, dass es die ersten und die späteren Bücher selbst wären, die zu interessieren haben, aber offenbar sind es auch die Personen, die sie geschrieben haben. Auch Bücherleser pflegen, wie es scheint, die Kammerdienerperspektive. Und weil das Buch über die ersten Bücher in einem österreichischen Verlag erschienen ist, sind die Beiträger Österreicherinnen und Österreicher. Was ja an sich weder ein Verdienst, noch eine Schande ist.
Zum Glück nehmen sich die meisten Auskunftgeber nicht wichtiger, als es ihnen die Aufgabenstellung abverlangt. Die Statements kommen selbstironisch daher (Kathrin Röggla), selbstkritisch (Robert Schneider), detailverliebt (Robert Menasse), mit lyrischen Ambitionen (Karin Peschka), ausführlich, mit einem Hang zu poetologischen Verallgemeinerungen (Hans Platzgumer), essayistisch ausfransend (Franz Schuh), in Form eines informativen historischen Überblicks (Bodo Hell). Bescheidenheitsfloskeln haben sich fast alle dankenswerterweise gespart. Dass die Befragten zu einem großen Teil Autorinnen und Autoren benennen, denen sie nachgeeifert, die sie bewundert haben, liegt auf der Hand.
Sabine Gruber liefert die Antworten aus einem fiktiven Interview. Das gestattet ihr, einzelne Aspekte ohne Übergang anzusprechen, Überlegungen allgemeiner und persönlicher Art an einander zu reihen. Überhaupt merkt man den meisten Beiträgen an, dass sie selbst ein Stück Literatur sein wollen. Dennoch signalisieren viele mit dem ersten Satz, dass sie sich auf die Fragestellung einzulassen bereit sind, wie einst beim ersten Schulaufsatz, bei dem man sich keine Themenverfehlung leisten durfte. Wir können davon ausgehen, dass jene, denen die Frage nach dem ersten Buch so lästig erscheint wie jene nach dem ersten Geschlechtsverkehr, gar nicht erst geantwortet haben.
Thomas Rothschild – 24. November 2019 (2) ID 11841
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