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nachDRUCK # 2

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Roman

Hassrede!





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Die Konservativen warnten im hiesigen Bundestagswahlkampf aggressiv vor einer Rot-Grün-Roten Koalition. Stichhaltig begründet wurden die Unkenrufe in den Medien kaum. Sie trugen trotzdem zu einem denkbar schlechten Ergebnis der Linken bei. Wohin driftet eine Gesellschaft, wenn sozial Schwächere keine wirkliche politische Vertretung mehr haben? Wie wird Gerechtigkeit in der Politik dann noch gehandelt?

Von einer tief gespaltenen und vollkommen polarisierten Gesellschaft im Deutschland der Zukunft erzählt Constantin Schreiber in seinem unterhaltsamen Romandebüt Die Kandidatin. Die Vision des Grimme-Preisträgers und Tagesschau-Sprechers trägt dabei düster-dystopische Züge. Die Kandidatin bietet auf verschiedenen Ebenen einen phantasievollen Ausblick, der auch auf aktuelle Empörungsdebatten in den sozialen Medien anspielt. Diese werden immer aggressiver und mit steigender Intoleranz geführt.

Der Haupthandlungsstrang handelt von der Titelfigur, eine junge Migrantin, Muslima und Feministin. Sabah Hussein kam als Flüchtlingskind nach Deutschland. Durch Ehrgeiz, Intelligenz und harte Arbeit schafft sie es nach ganz oben. Sie tritt als erste Muslimin für die ökologische Partei als Kanzlerkandidatin an. Constantin Schreiber erzählt hier die Erfolgsgeschichte einer gelungenen Integration in der Demokratie hierzulande.

Gleichzeitig wird auch aufgezeigt, wie Sabah Hussein machthungrig und geschickt die Klaviatur der grassierenden Identitätspolitik für eigene Vorteile nutzt. Ihren Aufstieg verdankt sie auch einer sogenannten Vielfaltsgesellschaft. Gesellschaftliche Chancen werden über Quoten und förderungswürdige Merkmale geregelt. Als ein wichtiges Vielfaltsmerkmal zählt die muslimische Religionszugehörigkeit. Die Kanzlerkandidatin, deren Perspektive der Roman meistens einnimmt, fordert darüber hinaus: „eine Hijab-Quote von fünfzehn Prozent für alle Spitzenämter in der Partei. Und dass der Listenplatz drei bei Wahlen immer für eine Frau mit Hijab reserviert würde.“ (S. 87)

Der Kampf gegen Diskriminierung schlägt dabei subtil in neue Diskriminierung um, denn nicht jeder verfügt über ein Vielfaltsmerkmal und auch einhergehende politische Rederechte. Das spielt den Rechten Bälle zu. Militante rechte Organisationen, sogenannte „Gated Communities“, erhalten zunehmend Rückhalt in der Bevölkerung:


„Es hat sich eine Gegengesellschaft etabliert, die gerne auch wohlhabende Asiaten oder Russlanddeutsche willkommen heißt, Hauptsache, man teilt die Ablehnung von Quoten, Sprachvorgaben, kulturellen Wandel, man hört klassische Musik, pflegt einen altmodisch anmutenden Kleidungsstil.“ (S. 48)


In diesen Gated Communities herrscht große Angst vor dem konservativen Islam in Deutschland. Die Kirche in Deutschland musste sich der gesellschaftlichen Gegenwart anpassen:


„In vielen Kirchen haben wir die Jesus- und Heiligenstatuen durch geschlechts- und herkunftsneutrale Figuren ersetzt.“ (S. 148)


Die islamische Religion ist jedoch weiterhin erhaben über mögliche Kritik an patriarchalen Strukturen und Bildern. Sie wird als mit Abstand weitverbreitete Religionszugehörigkeit sichtlich nicht nur von der Titelheldin gelebt:


„Es ist Freitagnachmittag. Man hört den Ruf der Muezzine. Die Läden schließen, Männer mit grellen Westen sperren die Sonnenallee ab, damit sich die Menschen auf der Straße zum Gebet sammeln können. Männer und Frauen rollen ihre Teppiche aus, nach Geschlechtern getrennt durch den Mittelstreifen. Sie knien sich hin, alle in Richtung der Kaaba in Mekka. Bevor sie mit dem gemeinsamen Beten anfangen, ist es für einen Moment ganz still.“ (S. 89)


Sabah Hussein fordert ein uneingeschränktes Verständnis für den Islam ein (S. 105). Sie sorgt dafür, dass selbst in ihrer Partei nicht jeder eine Plattform erhält, sich zum Islam zu äußern (S. 87). Im Zusammenhang mit beschränkter Kritikmöglichkeit am gelebten Islam ist interessant, dass die taz Die Kandidatin wegen angeblicher Ressentiments als „ein politisches Hasspamphlet, das Angst vor Migranten schürt“ verriss. Obwohl Kunst bekanntlich auch provozieren darf, wird eine ambivalente künstlerische Zukunftsvision des Islams hierzulande von einigen linksalternativen Medien offenbar nicht goutiert. So sind romanimmanente Polarisierungen auch in der gelebten Wirklichkeit virulent. Wenn in einer Zeitung (wie der taz) Constantin Schreiber als „selbsternannter Islam-Kenner“ gecancelt wird, dann wird implizit vorausgesetzt, dass der Islam nur von Träger*innen des Vielfaltsmerkmals „Islam“ kritisiert werden dürfe.

Constantin Schreiber arbeitete schon vor seinem Romanerstling journalistisch viel in der arabischen Welt und veröffentlichte auch einige Sachbuch-Bestseller zum Islam. Er begegnet seinen Figuren mit Sympathie. Gegen Ende wird deutlich, dass bereits teilweise bürgerkriegsähnliche und totalitäre Zustände herrschen. Überwachungsprogramme und Algorithmen entscheiden über Berufsperspektiven.

Die Kandidatin regt zu Fragen an, wie man mit Religion umgehen darf und wie man sich Gerechtigkeit in Bezug auf Vielfalt, Diversität und Mitbestimmung wünscht. Dabei ist Schreibers Werk manchmal etwas übertrieben und ein bisschen platt, wenn es Naivität der auftretenden Figuren suggeriert. Trotzdem zünden insbesondere die gewagten satirischen Ideen oft, etwa wenn die politische Agenda in der Kultur und im Film angekommen zu sein scheint:


„Sie liebt 007. Sie mochte schon James Bond, aber sie findet es prima, dass 007 jetzt eine diverse Agentin ist, eine schwarze, lesbische Frau mit Behinderung. So kommt die politische Agenda immer mehr im Mainstream an.“ (S. 115)


Ansgar Skoda - 29. September 2021
ID 13172
Verlagslink zu Die Kandidatin von Constantin Schreiber


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